Sieht eigentlich ganz bürgerlich aus: Ennio Morricone, der Filmkomponist, der „Spiel mir das Lied vom Tod“ und andere Meisterstücke lieferte. Foto: dpa

Wer an Ennio Morricone denkt, sieht sofort rauchende Colts und galoppierende Pferde vor sich. Die Westernmusik des Filmkomponisten ist Kult. Mit fast 90 Jahren feiert der Italiener nun Abschiedskonzerte. Mit der Oscar-Jury hat er ein Hühnchen zu rupfen.

Rom - Der Lift zur Legende rattert in den obersten Stock. Die Tür zu einer Wohnung in einem grünen Außenbezirk von Rom öffnet sich, alte Möbel mit Büchern, Gefäßen, Erinnerungsstücken stehen im Eingang. Und Ennio Morricone selbst: Schwarzes Yves-Saint-Laurent-Hemd mit feinen weißen Streifen, bequeme Schuhe und schwarze Brille. Er ist klein. Zwischen Kunstwerken, Vasen, Kommoden, Lüstern, alten Schränken und Tischen droht der oscargekrönte Filmmusikkomponist fast unterzugehen. Aber seine Stimme ist fest, gibt ihm große Präsenz. Der Maestro ist bestens gelaunt, scherzt und begrüßt für das Interview mit Küsschen.

Am Vorabend hat er ein grandioses Konzert in den Caracalla-Thermen in Rom dirigiert. In der archäologischen Anlage klingen Morricones Hits wie „The Ecstasy of Gold“ noch einmal bombastischer. Fast 90 Jahre alt ist der Mann, dem die Welt die Musik für Filmklassiker wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, „Für eine Handvoll Dollar“ oder „Zwei glorreiche Halunken“ zu verdanken hat. Aber nicht nur die Western von Regisseur Sergio Leone, mit dem Morricone schon in die Schule ging, hat er mit seiner Musik veredelt.

Live kann was schiefgehen

In seiner 60 Jahre währenden Karriere hat Ennio Morricone für rund 450 Filme die Musik komponiert. Sein Werk ist nicht nur Inspiration und Material für Regisseure, sondern auch für Klassikkomponisten, Heavy-Metal-Bands und Handyklingelton-Verkäufer. Livekonzerte sind für ihn aber trotz seiner großen Erfahrung noch immer ein Grund zur Sorge.

„Ich bin nervös, weil es immer Unfälle geben könnte. Ein Instrument trifft den Ton nicht. Vielleicht merken es das Publikum nicht, aber ich merke es. Es gibt auch die seltenen Fälle, dass ich einen Fehler mache, dann fange ich mich sofort wieder“, sagt Morricone. Er gilt als Perfektionist, als geradezu Besessener – ein Musik-Junkie, ein Workaholic. Er komponiert jede Note selbst, spielt alles selbst ein. Seine Musik sei zuallererst da, „um Musik zu sein, und basta“. „Danach kommt der Dienst am Film, aber erst die Musik.“ Computer spielen bei ihm im Gegensatz zu anderen Komponisten wie dem deutschen Oscarpreisträger Hans Zimmer keine Rolle. „Zimmer hat ein vollkommen anderes System“, so Morricone. Auftreten wollte er mit ihm daher nie.

Sägenkreischen und Kojotengeheul

Wenn Morricone redet, schnarrt, schnalzt und schnurrt er, ahmt Geräusche oder Melodien nach. „Bbbrrrrrbrrrrrr“, so klang das Sägewerk hinter seinem Geburtshaus im römischen Viertel Trastevere. „Das Fenster in unserer Wohnung ging zu der Sägerei, wo sie mit unerträglichem Lärm die Baumstämme zersägt haben...brrrrrrrabrrr.... daran erinnere ich mich“, erzählt er. Ungewöhnliche Töne charakterisieren auch seine Filmmusik - so baute er für die Italo-Western auch Kojotengeheul und Schreie ein.

Als erstes Instrument spielte Morricone die Trompete. „Ich habe das nicht ausgewählt. Mein Vater hat Trompete gespielt, er hat gut verdient und damit die Familie gut ernährt.“ Deshalb habe ihm sein Vater auch dazu geraten. Später kam dann ein Studium der klassischen Komposition in Rom.

Rom und Morricone: unzertrennlich. Nach Hollywood, wo er auf dem Walk of Fame einen Stern hat, hat es ihn nie gezogen. Man habe ihm zwar eine Villa umsonst angeboten, aber das habe er abgelehnt. „Ich dachte, vielleicht ist das ein schlauer Fuchs, der denkt, wenn er mir eine Villa gibt, muss er mir weniger zahlen“, so Morricone. Englisch spricht er trotz seiner vielen Engagements in Amerika nicht. Er habe es vergeblich versucht zu lernen, bekennt er. Jetzt sei es wohl zu spät dafür.

Von den Oscars enttäuscht

Hollywood riss sich trotzdem um ihn. Quentin Tarantino zum Beispiel nutzte seine Musik in mehreren Filmen wie „Kill Bill“ oder „Inglourious Basterds“. Erst spät jedoch komponierte Morricone eigens die Musik für einen Film von Tarantino. Dieser Soundtrack für „The Hateful Eight“ brachte Morricone dann endlich den Oscar, für den er zuvor fünf Mal nominiert war. 2007 hatte er immerhin den Ehrenoscar für sein gesamtes Lebenswerk Lebenswerk, aber eben erst 2016 einen für die beste Filmmusik.

Wie war das Gefühl? „Ich erinnere mich besser an die Gelegenheiten, als ich ihn nicht bekommen habe“, grummelt Morricone. „Weil ich immer dachte, ich hätte ihn verdient. Alle wussten, dass ich ihn verdient habe.“ Aber ein anderer Komponist habe gewonnen - der habe allerdings keine Originalmusik vorgelegt. „Sie haben alles falsch gemacht.“ Darum wollte er 2016 zur Zeremonie in Hollywood erst gar nicht mehr anreisen: weil er zuvor so oft enttäuscht worden sei. Preise hat er allerdings genug gewonnen: Alle seien wichtig gewesen, auch wenn der Oscar am meisten Öffentlichkeit bringe.

Wer mag ihn denn nicht?

Im November wird Morricone 90, für Filme komponiert er nicht mehr. Man muss mittlerweile etwas lauter mit ihm reden, aber ansonsten ist er vollkommen fit und wach. Keine Spur vom mürrischen Maestro, der sich über das Wort „Spaghetti-Western“ und immergleiche Journalistenfragen über Sergio Leone ärgert. Im Januar kommenden Jahres wird er in Deutschland sein letztes Konzert geben. „Mir scheint, in Deutschland mag man mich nicht so recht, da hatte ich wenig Konzerte“, sagt er. Als seine Übersetzerin ihn darauf hinweist, dass es in Deutschland sehr wohl sehr viele gut besuchte Konzertegebe und er dort sehr beliebt sei, erwidert der Mann, der auch schon in Stuttgart am Dirigentenpult stand, lachend: „Haha, waren es dann vielleicht die Schweizer?“