Dieter Deuschle jagt in seinem Revier bei Esslingen Foto: Horst Rudel

Viele Jäger sehen in dem geplanten Jagdgesetz ein Diktat des Naturschutzes, sie fühlen sich gegängelt und ihre Tradition gefährdet. Dieter Deuschle sieht vieles gelassener. Ein Jagd-Ausflug.

Esslingen - „Grüß Gott“. Dieter Deuschle – Kniebundhose, Filzhut, grünes Jagdhemd – öffnet die Haustür und bittet in sein Wohnzimmer. Seine Frau bringt Kekse und Kaffee, Deuschle lässt sich auf dem Sessel nieder und schiebt seinem Jagddackel Arko mit dem Fuß ein getrocknetes Rinderohr über den Teppich.

„Wir Jäger sind ein eigenwilliges Volk“, sinniert Deuschle. Er kennt sich aus mit der Jägerschaft. Schließlich war er jahrelang Präsident des Landesjägerverbands. Die Meinungen der Mitglieder gehen auseinander. Das beginnt schon bei der artgerechten Fütterung der Jaghunde. Schweineohr oder Rinderohr? Innereien füttern oder besser darauf verzichten?

Momentan gibt es für die Jäger allerdings sehr viel wichtigere Fragen. Seit die grün-rote Landesregierung das Jagdgesetz für Baden-Württemberg novellieren will, um so den Tierschutz zu stärken, beschäftigen sich die Jäger im Südwesten mit ganz Grundsätzlichem: Die Jagdruhe für zwei Monate im Frühjahr, das Verbot von bleihaltiger Munition und ein zeitweises Fütterungsverbot sorgen für Frust bei vielen Waidmännern.

Mit Händen greifbar war der Ärger auf dem Landesjägertag in Oppenau. Ministerpräsident Kretschmann stellte sich der Diskussion und sagte später: „‚Das ist ein Hemden-Nassschwitz-Thema.“

Tradition der Jagd vererbt wie eine Armbanduhr

Für Dieter Deuschle bedeutet Jagd auch Politik, in erster Linie aber Tradition. Und Regeln, die er mit gesundem Menschenverstand nachvollziehen kann. „Die Jagd hat sich in den Jahrtausenden immer wieder verändert. Aber die Veränderungen müssen nachvollziehbar sein.“

Er erhebt sich von dem Sessel, um sein Jagdgewehr aus dem Keller zu holen. Geht vorbei an den Geweihen an der Wand und dem Bild von seinem Großvater, der ebenfalls passionierter Jäger und Bürgermeister von Esslingen gewesen ist. Manches vererbt sich in seiner Familie wie eine alte Armbanduhr: Die Politik und die Jagd gehören dazu. Beide bereiten ihm momentan Sorge.

Wie sehr die Debatte zwischen Naturschützern und Jagdfreunden die Gemüter erregt, zeigt sich auch im Internet. Auf dem offiziellen Beteiligungsportal der Landesregierung, das den aktuellen Gesetzentwurf zur Verfügung stellt, haben Leser beinahe tausend Kommentare hinterlassen.

Sie reichen von der Forderung nach einem „völligen Jagdverbot“ bis zur Drohung der Jäger, ihre Pachtverträge zu kündigen und die Waldgebiete verkommen zu lassen.

Moderator zwischen den Hardlinern

Solche radikalen Forderungen erhebt Dieter Deuschle nicht. Er will moderieren, trifft derzeit viele Politiker, sagt er. Dann geht es um Sachthemen, die das Gesetz betreffen: Um Totfangfallen, das Verbot wilde Katzen und Hunde zu schießen und vorgeschriebene Fütterungszeiten.

Gleichzeitig geht es aber um mehr. Viele Jäger sehen mit der Novellierung des Jagdgesetzes auch ihre Tradition gefährdet. Das beginnt bei den neuen Begriffen. Sprachliche Ungetüme wie das „Wildtiermanagement“, von dem jetzt die Rede ist, kratzen, so der Vorwurf, auch am eigenen Selbstverständnis. „Gesetz zur Einführung des Jagd- und Wildtiermanagement“ ist das der Entwurf überschrieben.

Einige Anzeichen deuten daraufhin, dass sich der Ton zwischen Jägern und Naturschützern wieder verschärft. In der momentanen Form kritisieren Fraktionsmitglieder der SPD den Gesetzentwurf vehement und drohen, ihm nicht zuzustimmen.

Vieles dürfte sich an dem aktuellen Referentenentwurf jedoch noch ändern. Der Ministerrat hat den grün-roten Entwurf des Gesetzes zur Anhörung freigegeben. Nach Pfingsten soll es zunächst weitere Gespräche geben.

Andernorts wurden die Gespräche bereits abgebrochen. Deuschle steigt in seinen Geländewagen und fährt in den Wald hinein. Die Gespräche, ja. Im regen Austausch, sagt er, habe er während der vergangenen Monate mit dem Chef des Naturschutzverbands Nabu gestanden. „Wir haben momentan aber keinen Kontakt mehr“, sagt Deuschle. Und schiebt nicht mehr so moderierend hinterher: „Wir müssen die Truppen auf unserer Seite zusammenhalten.“

Jäger verstehen Jagdruhe als „blanke Ideologie“

In dem Entwurf stehen eben zu viele Punkte, die ihm nicht in den Kopf wollen. Dass Jäger laut der neuen Verordnung nicht mehr im März und April schießen dürfen etwa, hält er für „blanke Ideologie“. „Es handelt sich genau um die Zeit, in der die Bauern die Maiskörner in den Boden einlassen.“ Wildschäden seien daher programmiert.

„Ich maße mir als Jäger nicht an, über den Naturschutz zu bestimmen. Aber ich möchte auch nicht, dass die Naturschützer über das Jagdrecht bestimmen“, sagt Deuschle. Er meint, ein „Misstrauen der Verwaltung den Jägern gegenüber“ auszumachen.

Von der Jagd auf die Jäger sprechen einige Waidmänner und sehen sich von Natur- und Tierschützern in die Ecke gedrängt. Zumindest sind die Jäger in der Unterzahl: In Baden-Württemberg hat der Landesjagdverband lediglich 30 000 Mitglieder, in Tier- und Naturschutzverbänden organisieren sich hingegen 210 000 Menschen.

Deuschle schlägt die Tür des Geländewagens zu und hängt sich das Gewehr um die Schulter. Er steuert den Hochsitz an und klettert die Holzleiter hinauf. Jagdhund Arko knurrt. „Ruhig, Arko“, sagt Deuschle und der Hund pariert. Die Dämmerung legt sich über den Wald, Deuschle blickt ins Dickicht.

„Hier her bringt man immer mit, was einen beschäftigt“, sagt er. Wenn er an das Jagdgesetz denkt und „dessen Reglementierungen“, sorgt er sich darum, dass die Jagd unattraktiver für den Nachwuchs wird. Und das sei sicher nicht Sinn und Zweck eines Gesetzes. Wohl eine Frage der Sichtweise.