Heiterkeit in einer amerikanischen Uni – doch wenn die Studenten an die College-Gebühren denken, ist vielen gar nicht zum Lachen zumute. Foto: dpa

In diesen Tagen entscheiden Millionen junger Amerikaner, was sie nach der High School machen. Der College-Besuch gilt als goldene Pforte zu einer Welt aus Privilegien. Doch immer weniger können sich die Kosten leisten. Jeder zweite bricht ohne Abschluss ab.

Washington - Sloane zieht den großformatigen Umschlag aus dem Briefkasten. Absender ist die renommierte University of Virginia (UVA), das von Thomas Jefferson gegründete Kronjuwel der öffentlichen Colleges in den USA. Sloane reißt den Brief auf und stößt einen Freudenschrei aus: Zugelassen! Die beigelegte Faltbroschüre verspricht eine rosige Zukunft. „Du träumst nicht nur groß, sondern Du erreichst Großes“, umschmeichelt das College die 17-jährige, die sich in diesen Tagen entscheiden muss, ob sie das Angebot annimmt.

Die Wahl der richtigen Uni war für die jungen Amerikanerin ein nervenaufreibendes Abenteuer, das vor einem Jahr mit einem Zulassungstest und College-Besuchen begann. Vor sechs Monaten verschickte sie dann ihre Bewerbungen an mehr als ein halbes Dutzend Hochschulen. Jetzt kommen die Antworten.

Die UVA hebt in dem Zulassungsschreiben ihre Vorzüge hervor. Neben Reputation und Selektivität erwähnt sie die hohe Abschlussrate, die erwarteten Einstiegseinkommen für Absolventen und das Ehemaligen-Netzwerk von über 220 000 UVA-Alumni, „das Industrien und Kontinente umspannt“.

Der renommierte Bildungsforscher Steven Mitchell vergleicht die Zulassung zu einer Eliteschule mit dem Eintritt in einen Country-Club. Sie verschaffe Zugang zu den besseren Netzwerken. „Höhere Bildung beruht immer auf dem Paradox, das der College-Besuch für möglichst viele die Lösung ist“, beobachtet Mitchell. „Aber wir kennen auch das schmutzige Geheimnis, das mein College besser ist als Deines“.

93 Prozent aller Studienanfänger in den USA müssen sich verschulden

Der Preis für das Privileg, „endlos nach dem Besseren streben“ zu dürfen, findet sich im Kleingedruckten. Für Sloane, die im benachbarten Maryland lebt, würde die Uni 59 498 Dollar (rund 53 000 Euro) im Jahr kosten. Wäre sie in Virginia zu Hause, würde sie fast 50 Prozent weniger bezahlen. Ein solcher Nachlass ist die inzwischen gängige Praxis an den öffentlichen Hochschulen der USA, die nur noch Studenten aus dem eigenen Bundesstaat „vergünstigte“ Studienkosten von im Schnitt 23 410 Dollar (rund 20 000 Euro) anbieten.

Angesichts des Preisschilds der UVA fuhr die Einser-Schülerin zu den Schnuppertagen am Campus gar nicht erst hin. „Wir können uns das nicht leisten“, sagt sie frustriert. Neben Top-Punktzahlen beim Zulassungstest konnte Sloane von Mathematik über Spanisch bis hin zu Musik und Politik reihenweise Bestleistungen vorweisen. Nebenbei arbeitete sie in der Schülervertretung, bewährte sich als Managerin der Schulbühne und engagierte sich für Obdachlose und in der Jugendgruppe ihrer Kirchengemeinde.

Mit einem Einkommen von mehr als 52 000 Dollar (46 000 Euro) verdienen ihre Eltern zu viel, um staatliche Unterstützung zu erhalten. Aber bei weitem nicht genug, den vorgeschriebenen Eigenanteil an den Studienkosten zu tragen. Die für ihre Familie ermittelte Kennziffer „36 032“ entspricht dem Dollar-Betrag, der aus eigener Kraft aufgebracht werden muss. Egal wie.

Die Differenz zu den jährlichen Kosten von 59 498 US-Dollar könnte dann durch eine Mischung aus nicht-rückzahlbaren Finanzhilfen des jeweiligen Colleges und zinsgünstigen Studenten-Krediten gedeckt werden. 93 Prozent aller Studienanfänger in den USA müssen sich verschulden, um eine der mehr als 4000 öffentlichen oder privaten Hochschulen besuchen zu können.

Nach den Angaben des College Boards, dem Zusammenschluss der nicht-staatlichen Universitäten, dürften die Studenten in Sloanes Jahrgang bis zum Bachelor-Abschluss im Schnitt 70 000 Dollar (62 000 Euro) an College-Schulden angesammelt haben – Tendenz steigend. Die Kostenexplosion wird weitergehen, auch weil auf die öffentlichen Universitäten zusätzliche Lasten zukommen: Die meisten Bundesstaaten streichen ihre Mittel für die Bildung massiv zusammen. Stipendien an staatlichen Colleges gibt es kaum noch, privat finanzierte Universitäten bieten Stipendien an, die allerdings häufig nur ein Marketing-Trick sind. Sloane wurde von zwei Colleges in Boston und Miami jeweils 25 000 US-Dollar (rund 22 000 Euro) als Nachlass auf den regulären Preis von über 65 000 Dollar (knapp 58 000 Euro) angeboten.

Top-Jobs ohne einen höheren Bildungsabschluss - eine Illusion

Ihre Freundinnen machten ähnliche Erfahrungen mit anderen privaten Colleges. Auch sie landeten fast immer bei Kosten um 42 000 Dollar (rund 37 000 Euro). Das entspricht ziemlich genau dem vom College Board ermittelten jährlichen Durchschnittskosten für Privat-Universitäten.

Die Universitäten rechtfertigen ihre astronomischen Preise mit den hervorragenden Karrierechancen. Tatsächlich war der Abstand bei den Einkommen von High-School-Absolventen und College-Abgängern nie größer als heute. In den USA vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen, war auch früher schon die Ausnahme. Heute sind Top-Jobs ohne einen höheren Bildungsabschluss eine Illusion. Die soziale Mobilität steht und fällt mit dem Zugang zum College.

Dass dieser für immer weniger Amerikaner erschwinglich ist, stellt in fundamentaler Weise den amerikanischen Gesellschaftsvertrag in Frage. Unabhängig von ihrem politischen Standort haben die Angehörigen der US-Eliten das Nadelöhr Bildung schon lange als goldene Pforte zu einer Welt aus garantierten Privilegien entdeckt.

Das Land, das aus der Auflehnung gegen ererbte Vorrechte entstand, ist nach der Beobachtung des britischen „Economist“ auf dem besten Weg zu einer „neuen Aristokratie“. Die Schieflage durchzieht das gesamte Bildungssystem. Wohlhabende Amerikaner konkurrieren um Plätze in besseren Schulen. Sie ziehen in Gegenden, wo das Steueraufkommen höher ist und setzen darauf, dass dann die Schulen über einen bessere Ausstattung verfügen. Bezahlte Tutoren helfen, den Nachwuchs auf die Zulassungstests vorzubereiten. Und sie beschäftigen für Tausende Dollar College-Planer, die Strategien ersinnen, die Sprösslinge in die „richtige“ Hochschule zu lotsen.

Viele Studien belegen, dass die Leistungen der Kinder reicher Amerikaner im Schnitt höher sind als die der anderen. Sogar die Abschlussrate am College korreliert mit dem Einkommen der Eltern. 90 Prozent der Kinder aus den reicheren Familien haben nach spätesten sechs Jahren einen Collegeabschluss. Jeder zweite Student bricht das College ohne Abschluss ab – die Mehrheit aus finanziellen Gründen.

Politiker wie der Republikaner Paul Ryan oder die linke Senatorin Elizabeth Warren sprechen von einer College-Krise. „Millionen junger Menschen können keine Häuser kaufen, keine Autos, weil sie unter der Last der Ausbildungskredite ächzen“, klagt Warren. Der PEW Research Center fand heraus, dass auch die Familiengründung aus diesem Grund immer weiter in die Zukunft verschoben werden. 45 Prozent aller Graduierten kehren aus finanzieller Not nach dem Studium als Bumerang-Kinder zu ihren Eltern zurück.

Sloane möchte nicht dazugehören. Trotz der verheißungsvollen Zusagen, die sie in den letzten Tagen von einer Handvoll Elite-Universitäten aus dem Briefkasten fischte, gibt sie der von ihrem Bundesstaat subventionierten University of Maryland am Ende den Zuschlag.

Die rund 25 000 Dollar (22 000 Euro) an Kosten für Lehre, Unterkunft und Essen im Jahr, sind auch nicht gerade ein Sonderangebot. „Aber es ist die beste Alternative, die ich habe, um am Ende nicht auf einem Haufen Schulden sitzenzubleiben“.

Info: So viel zahlt man für Universitäten in Europa

Zeppelin Universität Friedrichshafen: Je nach Studiengang zahlt man an der privaten Universität im Bachelor 3700 bis 4450 Euro pro Semester. Für den Master sind es 3950 bis 4950 Euro – Wirtschaftswissenschaften oder Management sind am teuersten.

Jacobs University Bremen: Für ein Bachelor-Semester an der Bremer Privatuniversität zahlt man 12.455 Euro, inklusive Zimmer und Semesterticket. Ein Jahr Masterstudium kostet zwischen 10 000 und 20 000 Euro.

Universität Witten/Herdecke: Ein Studium der Humanmedizin an der einzigen Deutschen Privat-Uni für Medizin kostet rund 41 000 Euro. Ein Bachelor-Programm in Wirtschaft kostet hier bis zu 33 600 Euro.

Universität St. Gallen: Für Bachelor-Programme bezahlt man an der öffentlichen Elite-Uni als Nicht-Schweizer etwa 3022 Euro pro Semester, für Masterprogramme umgerechnet 3215 Euro.

London School of Economics and Political Science (LSE): Britische Universitäten werden nur zum Teil öffentlich gefördert und reguliert. Hier zu studieren kostet für EU-Bürger 12 000 Euro pro Jahr im Bachelor, und zwischen 5400 Euro und 40 500 Euro im Master. Studien der Wirtschaftswissenschafter oder Finanzen sind am teuersten.

École nationale d’administration (ENA) in Straßburg: Während normale Universitäten in Frankreich nichts kosten, zahlt man für ein Aufbaustudium an Elite-Unis wie der ENA, den „grandes écoles“, zwischen 7000 und 12000 Euro jährlich. (hsp)