Nicht nur in Stuttgart fehlt es an Erzieherinnen. Foto: Tyler Olson/Adobe Stock

Mit einem Milliardenpaket und dem „Gute-Kita-Gesetz“ will Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) die Personalausstattung und die Betreuungsqualität in den Kitas nach vorn bringen. Impulse dafür hat sie sich bei der praxisorientierten Erzieherausbildung an der Hedwig-Dohm-Schule geholt.

Stuttgart - Yvonne Schweizer ist mit ihren 35 Jahren nicht gerade eine typische Schülerin an der Hedwig-Dohm-Schule im Stuttgarter Norden. In der praxisorientierten Erzieherausbildung (Pia) passt die gelernte Buchhändlerin, die selber eine fünfjährige Tochter hat, jedoch bestens in ihre Klasse. Denn bei dieser dreijährigen Ausbildung, die Praxis und Theorie miteinander verbindet und von Anfang an vergütet wird, ist das Teilnehmerfeld so gemischt wie nirgends sonst, reicht die Altersspanne von 19 bis 60 Jahren, haben viele zuvor einen anderen Beruf gelernt. Und die Abbrecherquote ist mit zehn Prozent vergleichsweise gering. Nun könnte das Pia-Modell, das 2012 in Baden-Württemberg eingeführt wurde, um dem Erziehermangel zu begegnen, bundesweit zum Exportschlager werden.

Vor dem Hintergrund der massiven Personalengpässe in den Kitas – auch in Stuttgart können allein deshalb Hunderte Kitaplätze nicht besetzt werden – hat es sich Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) vorgenommen, die Qualität der Kinderbetreuung zu verbessern und deutschlandweit ein verlässliches Angebot zu ermöglichen. „Wir werden eine Fachkräfteoffensive des Bundes starten“, kündigte sie am Montag bei einem Besuch an der Hedwig-Dohm-Schule an. „Bei den Pflegekräften haben wir deutschlandweit das Schulgeld abgeschafft – das müssen wir auch bei den Erziehern hinkriegen“, so Giffey. Und sie wolle als ihr erstes großes Projekt ein „Gute-Kita-Gesetz“ auf den Weg bringen. Ziel sei „noch mehr Qualität und weniger Gebühren“. Für Baden-Württemberg stellte sie einen dreistelligen Millionenbetrag in Aussicht. Zuvor wolle sie sich aber schlau machen, auch bei den Details, und sich „das baden-württembergische Erfolgsmodell mal angucken“.

Die Bundesministerin spricht mit den Schülerinnen – und wundert sich

Im Musiksaal der Hedwig-Dohm-Schule singen die 24 Pia-Schülerinnen und Schüler gerade das Igellied, als die Ministerin hereinkommt. Giffey ist unprätentiös, freundlich, reiht sich einfach ein in den Stehkreis, kommt schnell mit den Schülern in Kontakt. Vor allem will sie genau wissen, was gut läuft und wo es hakt. „Wer von Ihnen wäre nicht hier, wenn es keine Vergütung gäbe“, fragt die Ministerin in die Runde. Nahezu alle Hände gehen nach oben. „Was ist das Tollste an der Ausbildung?“, fragt Giffey. „Dass man alles gleich umsetzen kann“, sagt eine Schülerin. Dann berichten einige Teilnehmerinnen, ihre Lern- und Arbeitszeiten ließen sich schwer kombinieren mit ihrem eigenen Muttersein, man könne kleine Kinder doch nicht so lange in einer „Fremdbetreuung“ lassen. Da zeigt sich die Ministerin überrascht. „Fremdbetreuung“, findet sie, klingt „nicht so toll“ – zumal dies doch genau das Berufsfeld der Pias betreffe.

In der anschließenden Expertenrunde wurde deutlich: Es mangelt bei der Pia-Ausbildung nicht an Interessenten, sondern an der Bereitschaft der Einrichtungsträger, diese auszubilden. „Auf 90 Pia-Plätze hatten wir 450 bis 500 Bewerbungen“ berichtete Klaus Pieper, der beim Stuttgarter Jugendamt für Personalgewinnung zuständig ist. Dennoch hatte Dieter Göggel, Leiter der Dohmschule, Mühe, die beiden Pia-Klassen vollzubekommen. Das liege auch am komplizierten Aufnahmeverfahren. Denn Pia-Interessenten müssen sich nicht nur einen Schulplatz, sondern auch einen Ausbildungsplatz selber besorgen.

In Stuttgart wird die Personalsituation in Kitas angespannt bleiben

Jugendbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) verwies darauf, dass der Stuttgarter Gemeinderat im Juli die Regelung gestrichen habe, dass freien Trägern jede Pia zu 25 Prozent auf den Personalschlüssel angerechnet wurde: „Es gibt keine Kürzung des Förderbudgets mehr, rückwirkend zum Januar.“ Dennoch wird die Personalsituation nach Aussagen von Jugendamtschefin Susanne Heynen wohl weiter angespannt bleiben: „In Stuttgart ist es extrem schwierig, den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz einzulösen.“ Obwohl man Fachkräfte aus dem Ausland anwerbe. Zudem würden in den nächsten Jahren viele Mitarbeiter in Rente gehen. Eine Lehrerin berichtete von einem Klassentreffen ein Jahr nach den ersten Pia-Absolventen. Viele seien frustriert, weil ihre pädagogische Arbeit unter dem Personalmangel gelitten habe.

Yvonne Schweizer vermisst Wertschätzung für ihren neuen Beruf. An der Ministerin liegt das nicht. „Sie sind der Goldstaub“, sagt Giffey – „es ist eine nationale Aufgabe, dass Kinder gut frühkindlich gefördert werden“ .