Die Erfolgsautorin Romy Hausmann hat einen Gedichtband geschrieben. Foto: © Astrid Deckert, /Astrid Deckert

Im Interview spricht die Stuttgarter Bestsellerautorin Romy Hausmann über Gebrauchtwagen, ehrliche Leserinnen, anfängliche Zweifel am eigenen Erfolg und wie sie die Netflix-Verfilmung ihres Romans findet.

Romy Hausmanns Wohnort ist fast eine Thrillerkulisse: Die Schriftstellerin lebt am Waldrand in der Nähe von Stuttgart. Hauptberuflich befasst sie sich mit Verbrechen. Ihr Thriller-Debüt „Liebes Kind“ landete nicht nur auf der Bestsellerliste, der Roman war auch die Vorlage für eine international erfolgreiche Netflix-Serie. Die Verfilmung hat bei den 52. International Emmy Awards gerade den Preis für die beste Miniserie/Fernsehfilm abgeräumt. Doch Hausmanns Erfolg kam nicht über Nacht. Die einstige TV-Redakteurin musste auch Niederlagen einstecken.

 

Frau Hausmann, Ihr Roman „Liebes Kind“ ist ein Bestseller und feiert derzeit auch als Netflix-Serie Erfolge in 90 Ländern. Hätten Sie 2019, als das Buch erschienen ist, gedacht, Sie hören noch einmal was davon?

Nein. Ein halbes Jahr vorher bin ich in Tränen ausgebrochen, als ich gehört hatte, wie viel ich für einen Gebrauchtwagen anzahlen muss. Als meine Literaturagentin angefangen hatte das Manuskript anzubieten, wollten es plötzlich zehn Verlage haben und es landete in einer Auktion. Ich war einkaufen im Supermarkt, stand mit einem Joghurt in der Hand da, als die Nachricht kam mit der Summe, die sie mir angeboten haben, und ich hatte Angst, dass der Verlag sich irrt.

Ein braves Cover

Aber das klingt doch nach einem Erfolg.

Vor „Liebes Kind“ hatte ich schon zwei Romane veröffentlicht. Die haben sich bis heute 300 Mal verkauft. Und ich dachte mir, wenn „Liebes Kind“ rauskommt, werden sie sehen, dass es sich nicht verkauft.

Die beiden anderen Bücher sind ebenfalls in einem großen Publikumsverlag erschienen, waren allerdings Frauenromane. Warum haben Sie das Genre gewechselt?

Mein Roman „Lisa heißt jetzt Lola“ hatte ein braves Cover, und einer der wenigen Menschen, die es gelesen haben, hatte es im Internet rezensiert. Die Leserin hatte sich damit richtig auseinandergesetzt und einen langen Text geschrieben, so was in der Art: „Romy Hausmann, du schreibst ja echt gut, aber was du machst, ist der absolute Psycho-Fuck. Bitte schreib was anderes. Höre auf deine Geschichten mit einem niedlichen Cover zu tarnen und zu behaupten, es seien Frauenromane, schreib was über den Axtmörder.“ Das war richtig auf die Zwölf und ich war tödlich beleidigt.

Aber die Frage ist doch: Hat Ihnen die Kritik geholfen?

Ich habe darüber nachgedacht, und was sie gesagt hatte, war überlegt und fundiert und ich dachte mir, ich probiere es mal. Viele Jahre später habe ich die Leserin auf Instagram gefunden und ihr geschrieben, dass ich „Liebes Kind“ wegen ihrer Rezension geschrieben habe und mich bei ihr bedankt.

Aus der Perspektive der 13-jährigen Hannah

Wodurch hatte sich das Buch vor fünf Jahren von anderen Thrillern unterschieden?

Was damals noch viel neuer war, war die Emotionalität, die Perspektive der 13-jährigen Hannah und dass die Geschichte mit einer Flucht und nicht mit einem Verbrechen anfängt. In der Kombination hatte sich das damals sehr neu angefühlt.

Perspektive ist das Stichwort. Sie schreiben multiperspektivisch, das heißt, Sie lassen mehrere Personen erzählen. Warum haben Sie sich für diese Erzählform entschieden?

Für den Leser ist es spannender, wenn man nicht weiß, wem man noch vertrauen kann, wer ist verlässlich. Ich versuche immer nah am echten Leben zu sein. Versucht jemand vielleicht seine Schuld zu verbergen und erzählt eine Geschichte ohne den Anteil, den er daran hatte und stellt sich selbst als Opfer dar. Das Gegenüber tut eventuell das Gleiche. Dann gibt es die gleiche Situation, die von zwei Menschen erzählt wird – und doch ist es nicht mehr die gleiche Geschichte. Es gibt keine Wahrheit, nur Perspektiven.

Ein gruseliger Gedanke.

Ja. Wenn ich raus gehe, habe ich keine Angst davor, einem Serienkiller zu begegnen. Die Wahrscheinlichkeit vom Blitz getroffen zu werden ist höher. Ich finde Verrat im kleinsten Umfeld, gerade im Familienkreis, viel gruseliger. Was ist, wenn du deinen Partner doch nicht so gut kennst?

„Das Team ist relativ nah am Buch geblieben“

Das Buch wurde als Serie verfilmt, ist zu einem internationalen Hit geworden und hat sogar den International Emmy in der Kategorie Serie gewonnen. Wie finden Sie als Autorin die Umsetzung?

Sie haben es toll gemacht. Das Team ist relativ nah am Buch geblieben. Klar, es gibt immer Dinge, die übersetzt werden müssen. Das Motiv des Täters war in der Serie zum Beispiel ein anderes. So würde ich es im Buch nicht schreiben, aber in der Serie funktionierte es vielleicht sogar besser. Es ist eine gute Mischung.

Aktuell ist Ihr Gedichtband „Princess Standard – a poetry collection“ mit 52 Gedichten erschienen, die sie auf einer Schreibmaschine geschrieben hatten.

Ich erfinde Verbrechen und dachte irgendwann, das sei, gerade, wenn man aus der Ich-Perspektive schreibt, anmaßend. Es war mein Horror, dass ein Opfer das lesen könnte und sagt, du bist respektlos und hast keine Ahnung. Deshalb wollte ich wissen, was Betroffene fühlen. Aus diesem Grund hatte ich an einem True Crime-Sachbuch und einem Podcast mit dem Forensiker Dr. Mark Benecke gearbeitet. Nachdem das Projekt beendet war, habe ich versucht, einen neuen Roman anzufangen, aber es war schwierig, kam mir so bedeutungslos vor. Das war mein Weg dieses True Crime Projekt zu verarbeiten.

Die gute alte Schreibmaschine

Aber warum die Schreibmaschine?

Wenn ich einen Roman schreibe, kann ich ein Happy End schreiben und für Gerechtigkeit sorgen. Im True Crime kann ich das nicht. Da muss ich die Situation hinnehmen, wie sie ist. Ich konnte nur zuhören und dokumentieren. Es war etwas Schlechtes, dass ich die Dinge so lassen muss, wie sie sind. Aber ich wollte den Gegenentwurf, dass es was Positives ist, wenn etwas so bleiben darf, wie es ist. Dann habe ich diese Schreibmaschine gefunden. Man tippt ein Wort und es ist da, man kann es nicht löschen, nicht verschieben. Es ist da und darf da sein.

Welchen Grund hatte es, dass Sie sich für Englisch und Französisch entschieden haben?

Wenn ich auf Deutsch schreibe, habe ich 100 Synonyme und das wollte ich nicht. Deshalb sind die Texte auch auf Englisch und Französisch. Ich wollte nicht nachdenken, sondern habe gemerkt, ich habe einen Gedanken im Kopf und verarbeite ihn jetzt und hier.

17 der Gedichte hat auch Martin Bechler von Fortuna Ehrenfeld vertont. Warum ausgerechnet diese?

Die Auswahl hat Martin getroffen. Ich habe zu ihm gesagt: „Such dir raus, was davon etwas mit dir macht.“ Ich wollte schauen, wohin sich ein geschriebenes Wort auswachsen kann, das auf einer ollen Schreibmaschine geschrieben ist.

Die Bestsellerautorin aus Thüringen

Flucht
Romy Hausmann wurde 1981 in Thüringen geboren und floh mit ihren Eltern nach Westdeutschland. Bevor ihr Thriller-Debüt „Liebes Kind“ Platz eins der Bestsellerliste belegte, arbeitete sie als TV-Redakteurin. Heute erscheinen ihre Werke, zu denen auch „Marta schläft“ und „Perfect Day“ gehören, in 26 Ländern. „Liebes Kind“ wurde vom Streamingdienst Netflix als sechsteilige Serie verfilmt und zum internationalen Hit. Bei den 52. International Emmy Awards gewann die Serie in der Kategorie Miniserie.

Heimat
Zu den weiteren Arbeiten der Autorin gehört ein True Crime Projekt, das aus einem erzählenden Sachbuch und einem Podcast mit dem Forensiker Mark Benecke besteht, sowie ein Gedichtband. Romy Hausmann lebt in der Nähe von Stuttgart. Mit Fortuna Ehrenfeld wird sie am 21. Februar 2025 mit Princess Standard im Theaterhaus Stuttgart auftreten.