Elke Heidenreich hat ein Buch über ihre Reisen geschrieben. Foto: dpa/Henning Kaiser

Zwei Sachbuch-Erfolge im April: Die Schriftstellerin und TV-Kritikerin Elke Heidenreich reist um die Welt, und der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt ist verliebt in die deutsche Sprache. Was die Bücher taugen? Unser Kolumnist Markus Reiter hat sie unter die Lupe genommen.

Ein einstmals bekannter Theaterkritiker einer großen deutschen Zeitung, inzwischen im Ruhestand, war berüchtigt dafür, Vorstellungen nach der ersten Viertelstunde zu verlassen, wenn er das Gefühl hatte, das alles tauge nichts. Er schrieb trotzdem eine Rezension, knapp und vernichtend. Man könnte es als Buchkolumnist ebenso halten: zehn, zwanzig Seiten lesen; die Buchdeckel genervt zuklappen und die Autorin oder den Autor in Grund und Boden schreiben. Es gibt eine Menge Künstler, darunter hochmögende Ballettdirektoren, die davon überzeugt sind, ganz genau so gehe der gemeine (Doppeldeutigkeit!) Kritiker am liebsten vor. Im Zweifel fliegt dann eine Ladung Hundekot durch die Luft.

Wäre dem so, stünde hier ein ziemlicher Verriss des neuen Buchs von Elke Heidenreich, einer Sammlung von Reisenotizen über Städte, die die Autorin im Laufe ihres Lebens besucht hat. Die ersten Kapitel von „Ihr glücklichen Augen. Kurze Geschichten zu weiten Reisen“ („Spiegel“-Bestseller Sachbuch Hardcover Platz 9, Hanser, 254 Seiten, 26 Euro) gehen dem Rezensenten nämlich gehörig auf die Nerven.

Reise um die Welt

Der Prolog präsentiert sich als eine bildungshuberische Aneinanderreihung von Schriftsteller- und Philosophenzitaten zum Thema Reisen. Heidegger! Teresa von Avíla! Paul Theroux! Cees Noteboom! Gottfried Benn! Die Worte des Liederdichters Paolo Conte flicht die Autorin gar unübersetzt auf Italienisch ein, das man als gebildeter Leser vermutlich verstehen muss. Die folgenden Seiten des Buchs sind reich an Verweisen darauf, wen Elke Heidenreich so alles kennt, mit wem sie befreundet ist und mit wem sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr befreundet ist.

Buchdeckel zu! Da lässt sich doch mühelos ein schmissiger Verriss schreiben. Allein, das wäre zum einen ungalant, zum anderen ungerecht. Ungalant, weil die Schriftstellerin, Hörspielautorin, Hörbuchsprecherin, Literaturkritikerin, Kabarettistin, Moderatorin, Journalistin und Opern-Librettistin (Wikipedia) Elke Heidenreich dieser Tage 80 Jahre alt geworden ist und sich in unserer Zeitung an ihrem Geburtstag für eine Würdigung leider kein Platz gefunden hatte. Das muss jetzt diese Kolumne übernehmen.

Denn ohne Zweifel gehört Heidenreich zu den prägenden Gestalten der deutschen Gegenwartsliteratur und ist zudem noch einem breiten Publikum vom Fernsehen bekannt. Andererseits schreiben auch prägende Gestalten hin und wieder miese Bücher.

Aber ein glatter Verriss wäre eben zudem ungerecht. Denn lässt man sich auf die Lektüre ein und sieht über die Heidenreich’schen Eitelkeiten hinweg, entfaltet „Ihr glücklichen Augen“ seinen ganz eigenen Charme. Zum Beispiel in der Geschichte aus Gent, in das die Autorin mit einer „großen Liebe“ (es gibt viele verflossene Lieben in diesem Buch) allein deshalb reist, um in der Oper eine Vorstellung von Leos Janaceks „Katja Kabanova“ zu sehen und zu hören.

Die Widerstandskraft der Sprache

Und dann ist das Haus restlos ausverkauft! Elke Heidenreichs Begleiter, so lesen wir, „wurde fahl, er sackte zusammen und ich sah den Menschen, den ich liebte, vor Kummer schrumpfen und ich brach in Tränen aus“. So groß war die Erschütterung, dass die Dame am Kartenschalter den beiden ein Ticket in die Hand drückte, auf dem nichts anderes stand als „Laissez-Passer“. Ein Passierschein für die Verzweifeltsten der Musikfreunde.

Überhaupt: die Oper. Ob in Siena oder Venedig, in Stockholm oder Palermo, in Wien oder Riga – überall sind Opernhäuser Orientierungspunkte der Autorin in der Fremde. Das hat Stil. Am Ende des Buchs muss der eingangs missgestimmte Rezensent zugeben: Es war eigentlich eine ganz nette Reise um die Welt mit dieser Elke Heidenreich – mit Freude am feinsinnigen Umgang der Autorin mit der deutschen Sprache.

Von Schriftstellern heißt es ohnehin, ihre Heimat sei die Sprache. Das gilt offensichtlich nicht allein für Schriftsteller. Immerhin schaffte es „Deutsch, eine Liebeserklärung“ auf Platz 10 der „Spiegel“-Sachbuch-Bestsellerliste (Taschenbuch, Piper, 12 Euro). Auf 256 Seiten fasst der Sprachwissenschaftler Roland Kaehlbrandt die „zehn großen Vorzüge unserer erstaunlichen Sprache“ zusammen. Das Buch ist lehrreich, man lernt eine ganze Menge über grammatische Strukturen und Wortbildung, und es ist angenehm unaufgeregt. Der Autor sieht keinesfalls die letzten Tage der deutschen Zunge heraufdämmern, sondern zeigt sich von der Widerstandskraft der Sprache überzeugt. Es gibt ein recht verständnisvolles Kapitel, in dem er den flapsigen Umgang mit der Wortstellung (zum Beispiel Hauptsatzstellung nach „weil“) verteidigt.

Wirkliches Herzblut legt Kaehlbrandt jedoch in das Lob der Standardsprache und ganz besonders der deutschen Bildungssprache. Na ja, Herzblut . . . Ein deutscher (Honorar-) Professor kann wohl nicht aus seiner Haut. Und so lesen sich in diesem Buch in dieser wunderschönen deutschen Sprache selbst Liebeserklärungen manchmal sehr professoral.