Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie zur Aussicht vom Bahnhofsturm. Foto: PPFotodesign.com

Peter Dübbers ist der Enkel des Bahnhofs-Architekten Paul Bonatz. Er fürchtet, dass der Bahnhofsturm, das „einzigartige Wahrzeichen“, durch die Bauarbeiten Schaden nehmen könne. Besonders, weil das Fundament wohl "auf Eichenpfählen ruht".

Stuttgart - Hier oben ist die Welt noch in Ordnung. Für die meisten Besucher jedenfalls. Sie haben regelrechte Glücksgefühle, wenn sie auf dem Dach des Bahnhofsturms die Aussicht genießen. Wenn Christian Futterer Stuttgarter und Zugereiste auf den Turm führt, kommt er selbst immer wieder ins Schwärmen. „Hier auf dem Dach über Stuttgart zu stehen, ist jedes mal etwas Besonderes für mich“, sagt der Turmführer, „man sieht auf einen Blick, was Stuttgart ausmacht. Diesen Rundumblick in den Kessel gibt es nur hier. Einfach imposant.“

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 Türme in Stuttgart

Wegen dieses Ausblicks kommt auch Peter Dübbers ein paar Mal im Jahr hierher. Meistens mit Bekannten, die ihn und Stuttgart besuchen. Aber zuletzt hat sich seine Gefühlslage nach der Aufzugsfahrt in die oberste Turmebene verändert. Seine Welt ist hier oben nicht mehr in Ordnung. Wenn er seine Blicke in alle Himmelsrichtungen schweifen lässt, befällt ihn Unbehagen. Die vielen blauen Rohre des Grundwassermanagements, die große Baustelle und die fehlenden Flügel des Bahnhofsgebäudes – all das stimmt ihn nachdenklich.

Peter Dübbers ist der Enkel des Bahnhofs-Architekten Paul Bonatz. Daher macht er sich vielleicht mehr Sorgen als andere. Er fürchtet, dass das „einzigartige Wahrzeichen“ durch die Bauarbeiten Schaden nehmen könne. „Mein Opa hat gesagt, dass der Turm auf 290 Eichenpfählen ruht. Wenn das stimmt, dann besteht Gefahr durch die Bauarbeiten.“ Falls die Pfähle mit Luft in Berührung kämen und Schaden nähmen.

OB Kuhn hat sich in die Fundament-Frage eingschaltet

Das ist eine Befürchtung, die inzwischen auch OB Fritz Kuhn (Grüne) zu einem mahnenden Brief an Volker Kefer vom Bahnvorstand veranlasst hat. Die Bahn dürfe die Frage, ob der Turm auf Eichen- oder Stahlbetonpfählen gründet, nicht wie ein Damoklesschwert über den Bauarbeiten schweben lassen, äußerte sich Kuhn. Die Bahn müsse für Klarheit sorgen und sagen, was sie im Fall von Senkungen des Turmes während der Bauarbeiten tun wolle. Wolfgang Dietrich, Sprecher für das Bahnprojekt Stuttgart–Ulm, bezeichnete das Thema daraufhin als „uralten Kaffee, nur neu aufgewärmt“. Statikgutachten hätten 2010 belegt, dass der Turm von Stahlbetonpfählen gestützt werde. Der Turm sei stabil. Falls er sich senken sollte, seien die Ingenieure gerüstet. Dann werde man Kuhn die Gegenmaßnahmen vorstellen. Die Botschaft der Bahn: „Der Nabel Schwabens“ (umbilucus sueviae), wie Bonatz und Friedrich E. Scholer ihren Entwurf nannten, wird auch künftig als optisches Zentrum der Stadt strahlen. Als solches hatte auch Bonatz sein Werk bezeichnet: „Als wichtigstes Glied im Stadtorganismus.“

Es ist das Stichwort, das den Bonatz-Enkel auf andere Gedanken bringt. Peter Dübbers, selbst Architekt, gerät regelrecht ins Schwärmen, wenn er über die Arbeit des Großvaters spricht. „Schauen Sie“, sagt er und zeigt auf die Königstraße, „die Hauptader Stuttgarts und der Turm bilden sozusagen eine Einheit, einen optischen Anschluss.“ Nicht nur der Bau sei eine große Leistung gewesen, auch seine Bezogenheit zum Umfeld: „Das war stilprägend und wird von den Stadtplaners heute noch gelobt.“

Die Idee, der Bau, die Wirkung – all das macht den Turm zu einem Anziehungspunkt in der Stadt. Aber durch die Einbindung in die Geschichte(n) der Stadt bekommt der Turm eine besondere Größe. Dazu fällt Dübbers eine Anekdote aus den deutschen Revolutionstagen ein: „Als die Spartakisten einen Umsturz versuchten und der König abgesetzt wurde, evakuierte man die Regierung im Bahnhofsturm.“ Oder die Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg. Dübbers meint die Tage, die das Antlitz der Stadt für immer veränderten. Vieles sank in Trümmer, aber der Turm blieb stehen. „Zwar ausgebrannt“, sagt er, „aber stolz und mächtig.“ So mächtig, dass sich vieles im Glanze dieser Pracht breit machte. Lang diente er als Hotel, bis heute ist er der beste Werbeträger der Stadt.

Peter Dübbers hat mit dem Stern längst seinen Frieden gemacht

Dübbers blickt nach oben und legt die Stirn in Falten. „Mein Großvater wollte diesen Stern nicht“, sagt er, „Bonatz wollte den Turm lieber so in Würde stehen lassen, anstatt irgend einen Lolly draufzusetzen.“ Die Einwände des Architekten verhallten. Der damalige Oberbürgermeister Arnulf Klett war Feuer und Flamme und meinte: Nur so könne der 56 Meter hohe Turm gerettet werden.

Tatsächlich hatte Witterung dem beschädigten Bahnhofsturm stark zugesetzt, der Verfall drohte. Doch die Reparaturkosten bezifferte man 1950 auf 500 000 Mark. Zu viel für die finanziell angeschlagene Bahn. „Da kam Friedrich Bauer, Inhaber des Reisebüros im Bahnhof, auf die Idee, den Turm für Werbezwecke freizugeben“, erzählt Dübbers. Keine drei Jahre später zogen zwei Gäule eine Kutsche vor den Südflügel – beladen mit dem Mercedes-Stern aus Stahl und Plexiglas. 1972 hat das Symbol des Automobile-Konzerns sogar noch an Strahlkraft gewonnen. Er wurde gegen einen größeren Stern ausgetauscht.

Peter Dübbers hat mit der Werbung längst seinen Frieden gemacht. Ein Bahnhofsturm ohne Stern ist wohl auch für ihn unvorstellbar. Undenkbar ist für ihn jedoch, „dass dieses Wahrzeichen erster Güte“ durch die Grundwasserabsenkung Schaden nehmen könnte. „Die Sache liegt mir einfach am Herzen“, sagt er und deutet an: Erst wenn er darüber Gewissheit habe, sei die Welt hier oben wieder in Ordnung.

In unserer Turm-Serie bereits erschienen:

Es schwankt und wogt der Killesbergturm

Musikhochschule - Der Turm der tausend Töne

Sprungturm im Inselbad - Die Mythen um den Zehn-Meter-Turm

Bismarckturm - Zwischen Heiratsantrag und Zerstörungswut

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