Die Verhandlungen über das Mehrjahresbudget zählen zu dem Kompliziertesten, was EU-Politik zu bieten hat. Foto: AFP

Tagelang verhandelten und stritten Europas Staats- und Regierungschefs über gewaltige Summen. Jetzt steht ein Billionenpaket. Ihre Beschlüsse könnten die EU über Jahre prägen.

Berlin - Die von den europäischen Staats- und Regierungschefs vereinbarte Summe ist historisch: 1,8 Billionen Euro sehen die Beschlüsse des Marathongipfels vor – das ist eine Zahl mit elf Nullen. Mit dem Geld wollen sie Europa und seine durch die Corona-Pandemie geschädigte Wirtschaft über Jahre prägen. An der Höhe der Mittel und den damit geplanten Ausgaben scheiden sich aber die Geister.

Was ist beschlossen worden?

Die Staats- und Regierungschefs haben sich einerseits auf den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der Europäischen Union verständigt. Dieser Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis 2027 beträgt 1074,3 Milliarden Euro. Hinzu kommt als Reaktion auf die schwere Wirtschaftskrise infolge der Corona-Pandemie ein Wiederaufbaufonds in Höhe von 750 Milliarden Euro, mit dem in den nächsten drei Jahren besonders schwer getroffenen EU-Staaten geholfen werden soll.

Wie funktioniert der Hilfsfonds?

Um Gelder aus dem Topf zu bekommen, müssen die Mitgliedstaaten zukunftsorientierte Reformpläne ausarbeiten, die in Brüssel bewertet werden. Setzen die Antragsteller ihre Programme nicht zur Zufriedenheit der anderen EU-Länder um, gibt es eine Diskussion der Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfel über die weiteren Zahlungen. 390 Milliarden Euro der Mittel sind Zuschüsse, die von den hilfsbedürftigen Staaten nicht zurückgezahlt werden müssen. Die restlichen 360 Milliarden Euro werden als Kredite vergeben.

Wie wird der Fonds finanziert?

Dafür nimmt die EU-Kommission erstmals an den Finanzmärkten massiv gemeinsame Schulden auf, die bis Ende 2058 beglichen werden sollen. Damit das Geld zurückgezahlt werden kann, will die EU neue Finanzquellen erschließen. Dazu zählen eine Abgabe auf Plastikmüll ab 2021 sowie eine Digitalsteuer und eine Einfuhrgebühr für Produkte aus Staaten von außerhalb der EU mit geringen Umweltauflagen.

Wie setzt sich der EU-Haushalt zusammen?

Das offiziell „Mehrjähriger Finanzrahmen“ (MFR) genannte Budget gliedert sich in sieben „Rubriken“ – vom Binnenmarkt über die Migration bis zur Verwaltung. Kritik wurde am Tag nach dem Gipfel daran laut, wie die Gelder auf diese Politikfelder verteilt werden sollen. Die Mittel für Binnenmarkt/Innovation und Digitales sinken etwa von jährlich 19,7 Milliarden Euro (2021) auf 18,4 Milliarden Euro (2027). Ein Plus auf 58 Milliarden Euro bis 2027 zeigt sich bei der Rubrik, die Investitionen und Jobs schaffen soll. Im Budget für die umstrittene Gemeinsame Agrarpolitik sind nach Angaben von Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) für den gesamten Zeitraum Ausgaben von 387 Milliarden Euro vorgesehen. Das macht eine Steigerung von einem Prozent aus. Davon fließen 291 Milliarden in Subventionen, die heute vor allem auf die bewirtschaftete Fläche eines Agrarbetriebs oder Bauernhofs abstellen. Auf freiwilliger Basis soll es eine Deckelung der Zahlungen von 100 000 Euro im Jahr für große Agrarbetriebe geben. Einen Aufwuchs wollen die Staats- und Regierungschefs für Migration und Grenzmanagement sowie für Sicherheit und Verteidigung. Die Ausgaben erhöhen sich dort auf zusammen etwa sechs Milliarden Euro. Deutlich zurückgehen wird hingegen das Budget für die außenpolitische Rubrik „Nachbarschaft und Welt“, das auf 12,8 Milliarden Euro jährlich gekürzt wird. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) räumt ein, dass der MFR „bedauerliche Kürzungen“ bei den Aufwendungen für Gesundheit, Migration und Entwicklungshilfe vornehme.

Was zahlt Deutschland davon?

Die Verhandlungen über den MFR zählen zu dem Kompliziertesten, was EU-Politik zu bieten hat. Die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf den neuen Finanzrahmen war diesmal besonders mühsam, weil durch den Brexit Mittel von etwa zehn Milliarden Euro im Jahr verloren gehen. Der Beitragsschlüssel errechnet sich nach dem Anteil eines Landes an der europäischen Wirtschaftsleistung. Im Fall von Deutschland sind das knapp 25 Prozent. In den kommenden Jahren entfallen auf Deutschland jährlich etwa Zahlungen in Höhe von 40 Milliarden Euro, das sind etwa zehn Milliarden mehr als bisher. Der deutsche Staat bekommt auf seine Zahlungen in das EU-Budget jedoch jährlich auch einen Rabatt von 3,67 Milliarden Euro, da Deutschland mehr in den europäischen Haushalt zahlt als es herausbekommt. Wie hoch der deutsche Beitrag genau ausfallen wird, lässt sich erst dann endgültig beziffern, wenn auch die Verhandlungen mit dem Europaparlament über den Sieben-Jahres-Haushalt abgeschlossen sind. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte nach dem Ende des Gipfels am Dienstag in den Morgenstunden, sie erwarte noch „sehr schwierige Diskussionen“ mit den Abgeordneten.

Werden Zahlungen an Werte gebunden?

Das war zumindest der Plan der EU-Kommission. Überlegungen zur Kürzung von Zahlungen aufgrund von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zielten auf Polen und Ungarn, gegen die entsprechende Verfahren laufen. Laut Gipfelbeschluss könnte es in solchen Fällen künftig Konsequenzen geben, wenn die Mitgliedstaaten dies mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Die Einzelheiten müssen jedoch noch ausgearbeitet werden. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban feierte das Ergebnis als Erfolg. Für die FDP-Außenpolitikerin Renata Alt ist somit „allergrößte Skepsis“ angebracht. Die „schwammigen Textpassagen“ ließen offen, ob Verstöße auch wirklich mit der Kürzung von Haushaltsmitteln bestraft werden könnten. „Da der neue Schutzmechanismus auch erst entwickelt werden soll, ist äußerst unwahrscheinlich, dass dieser jemals wirksam angewendet wird“, sagte die baden-württembergische Bundestagsabgeordnete unserer Zeitung. Insofern sei die Formulierung „ein zahnloser Tiger“.