Behinderte Berufsanfänger sind eine Minderheit: Nur jeder dreißigste Arbeitnehmer mit Behinderung war 2013 jünger als 30 Jahre alt. Foto: dpa

Jung, auf Jobsuche, schwerbehindert – diese Kombination ist eine Seltenheit. Denn 90 Prozent der Behinderungen treten erst im Laufe des Lebens auf. Arbeitgeber haben dabei hauptsächlich zwei Vorbehalte bei der Einstellung von Schwerbehinderten.

Stuttgart - 13 Monate Jobsuche, rund 50 Bewerbungen, etwa 30 Vorstellungsgespräche: für Simon Haller erfolglos. In ruhigem Ton berichtet der 30-Jährige, der in Wirklichkeit anders heißt, von seiner Stellensuche. Langwierig war sie, trotz einer Eins vor dem Komma seiner Abschlussnote in Psychologie an der Uni Heidelberg. Haller ist seit seiner Geburt gehörlos.

2014, als Hallers Bewerbungsmarathon begann, ging es rund 181 100 Menschen mit schwerer Behinderung genau so wie ihm: Sie waren nach Angaben der Agentur für Arbeit arbeitslos (Jahresdurchschnittszahl). Insgesamt lebten in Deutschland zum Jahresende 2013 rund 7,5 Millionen Schwerbehinderte.

Die Jobstarter unter ihnen treffen auf besonders große Hürden. „Berufseinsteiger mit einer Behinderung haben es schwerer als Menschen, die schon länger im Berufsleben stehen und währenddessen eine Behinderung erworben haben“, sagt Bert Rürup, ehemaliger Chef der Wirtschaftsweisen und Präsident eines Forschungsinstituts, das jährlich ein Barometer zur Situation von Behinderten auf dem Arbeitsmarkt erstellt.

Behinderten Berufseinsteigern fehle laut Rürup ein wichtiger Pluspunkt: „Für Arbeitgeber ist es ein positives Signal, wenn man in einem Einstellungsgespräch auf eine Berufskarriere hinweisen kann“, sagt der Wissenschaftler.

Jobstarter mit Handicap sind eine relativ kleine Gruppe, mit der Arbeitgeber wenig Erfahrung haben dürften: Nur jeder dreißigste schwerbehinderte Beschäftigte war 2013 jünger als 30 Jahre. Wer noch nicht bewiesen hat, dass er trotz Behinderung den Arbeitsalltag und den Umgang mit Kollegen meistern kann, stößt schnell auf Zweifel, so auch Hallers Erfahrung. „In den Gesprächen war die Haltung der Leute sehr defizitorientiert“, sagt Haller. „Ich hatte das Gefühl, dass nicht meine Stärken im Vordergrund standen, sondern eher irgendwelche Probleme, die eventuell auftreten könnten.“

Persönliche Berührungsängste der Personalentscheider

Klaus Schuldes von der Bundesagentur für Arbeit leitet den Arbeitgeber-Service für schwerbehinderte Akademiker. Aus seiner Erfahrung haben Arbeitgeber hauptsächlich zwei Vorbehalte bei der Einstellung von Schwerbehinderten: Die Vermutung, dass man sie, einmal eingestellt, nie wieder los wird – und persönlichen Berührungsängste der Personalentscheider.

Zumindest Bedenken zum Kündigungsschutz seien aber größtenteils unbegründet, so Schuldes. Zwar können schwerbehinderte Arbeitnehmer bei einer Kündigung das Integrationsamt einschalten. Dennoch wurde nach Informationen des Integrationsamts Baden-Württemberg im Jahr 2013 in rund 80 Prozent solcher Kündigungsfälle das Arbeitsverhältnis trotzdem beendet.

Berührungsängste dagegen lassen sich nicht so leicht durch Fakten ausräumen. Das hat auch Haller gemerkt. Er hat alles Mögliche versucht, um sie aus dem Weg zu schaffen. Ein Mal hat er eine Vertrauensperson mit zum Bewerbungsgespräch genommen. Seine Hoffnung: Die Begleiterin, mit seiner Gehörlosigkeit vertraut, sollte eine Art „Gebrauchsanweisung“ für das Gespräch mit Haller liefern und so das Eis brechen: Deutlich den Mund bewegen, Augenkontakt, nicht zu schnell sprechen, bitte.

„Ich habe mich unmündig gefühlt“

Geklappt hat es nicht. „Jemanden dabei zu haben, war für mich nicht einfach“, sagt Haller und senkt kurz den Blick. „Ich habe mich unmündig gefühlt.“ Als nächstes versuchte er, gerade dadurch aufzufallen, dass er Regeln bricht. Er verfasste kein zusammenhängendes Anschreiben mehr, sondern einen kreativeren Text.

Der ausschlaggebende Faktor war letzten Endes ein anderer. Seine ehemalige Praktikumsbetreuerin bei einem großen Software-Unternehmen empfahl ihn für eine Stelle im selben Konzern. Vor einigen Wochen hat er dort als Usability Engineer angefangen. Das bedeutet, dass er Computerprogramme selbsterklärender machen soll. Die Stelle entspräche seinen Studienschwerpunkten, so Haller. Trotzdem ist er nicht sicher, ob er sie auch ohne Empfehlung bekommen hätte.

Damit Arbeitgeber auch ohne persönliche Kontakte Schwerbehinderte einstellen, droht eine finanzielle Strafe, wenn sie es nicht tun. Firmen mit mindestens 60 Mitarbeitern müssen durchschnittlich fünf Prozent ihrer Stellen mit Schwerbehinderten besetzen. Ansonsten zahlen sie eine sogenannte Ausgleichsabgabe (siehe Infokasten). Nach Angaben der Agentur für Arbeit waren 2013 bundesweit nur 4,7 Prozent der Stellen mit Schwerbehinderten besetzt. In Baden-Württemberg waren es 4,5 Prozent, unter den privaten Arbeitgebern im Land 4,2 Prozent.

Die Behindertenbeauftragte der Stadt Stuttgart fordert, die Strafzahlungen zu erhöhen. Bisher liegen sie bei höchstens 290 Euro monatlich pro Arbeitsplatz, der nicht gemäß Quote besetzt wurde. „Das zahlen Firmen doch aus der Portokasse“, sagt die Beauftragte Ursula Marx.

Auch für Simon Haller könnte die Jobsuche in einigen Monaten wieder von vorne los gehen: Seine neue Stelle ist bis Jahresende befristet. Für die Zeit danach ist Haller aber zuversichtlich. Denn der neue Job liefert ihm die drei Zeilen im Lebenslauf, an denen der Berufseinstieg mit Behinderung oft scheitert: Arbeitserfahrung außerhalb des geschützten Raums.