Die Berufsberatung kommt jetzt in die Schule. Foto: FACTUM-WEISE/Andreas Weise

Die Agentur für Arbeit führt die „Lebensbegleitende Berufsberatung“ ein und setzt dabei auch auf Erfahrungen aus einem Modellprojekt in Urbach.

Urbach - Alida Baron und Melena Zehnder, beide 15, wissen schon jetzt, zu Beginn ihres zehnten Schuljahres an der Wittumschule in Urbach, ziemlich genau, was sie nach dessen Abschluss tun werden. Alida will am Wirtschaftsgymnasium in Schorndorf noch das Abitur draufsetzen, um studieren und sich dann als Lehrerin bewerben zu können. Melena hat bereits einen Ausbildungsvertrag als Industriekauffrau bei einem ortsansässigen Unternehmen in der Tasche.

Dass die beiden Jugendlichen – so wie die meisten ihrer Altersgenossen an der Urbacher Gemeinschaftsschule – ihren weiteren Schul- oder Berufsweg gut durchdacht oder sogar bereits in die Wege geleitet haben, hat offenkundig auch mit einem dort praktizierten Beratungsangebot zu tun. Seit zwei Jahren ist die Wittumschule eine von fünf Bildungseinrichtungen im Kreis, die modellhaft von einer engen Verzahnung mit der Agentur für Arbeit profitiert.

Mindestens einmal pro Woche kommt die Berufsberaterin

Mindestens einmal pro Woche steht dort die Berufsberaterin Karin Eichmann für Fragen der Schüler von der achten Klasse an parat. Dabei lotst die Expertin die Teenager nicht nur individuell durch den Dschungel der gut 350 möglichen Ausbildungsberufe, sie hält auch einen engen Kontakt zu den Lehrern und tauscht sich mit diesen aus. Tobias Deißler hat an der Schule dazu den Part des Berufsorientierungs-Lehrers übernommen. Gemeinsam schauen die beiden, wo die Stärken der jeweiligen Schüler am besten zur Geltung kommen könnten, zeigen Möglichkeiten und Alternativen auf.

„Früher, häufiger, in enger Abstimmung mit den Lehrern“ – genau dieses Konzept der Berufsberatung rolle die Agentur für Arbeit zurzeit bundesweit an den Schulen aus, sagt dazu Christine Käferle, die Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Waiblingen. „Lebensbegleitende Berufsberatung“ nennt die Behörde ihre Neuausrichtung, bei der sie jene Kapazitäten umschichten will, die dank guter Wirtschaftslage im Bereich der Jobvermittlung freigeworden sind. Der Fokus liege auf einer individuellen Beratung in der Schule, die ohne großen Aufwand oder lange Wartezeiten in Anspruch genommen werden könne.

Der Rems-Murr-Kreis ist laut der Leiterin des Staatlichen Schulamts Backnang, Sabine Hagenmüller-Gehring, schon vor vier Jahren zu einer Modellregion für die Verbesserung des Übergangs von Schule und Beruf erklärt worden. Nun profitiere man auch von den Erfahrungen, welche die fünf ausgewählten Einrichtungen in den vergangenen zwei Jahren beim „Beratungsort Schule“ gemacht haben.

Die Zeit reicht jetzt auch fürs Namenlernen

Für Karin Eichmann sind diese durchweg positiv. Jetzt könne man tatsächlich von einer Begleitung der Jugendlichen bis zu ihrem Abschluss sprechen. „Ich habe so viel Zeit für den einzelnen Jugendlichen, dass es auch zum Namenbehalten reicht“, sagt sie schmunzelnd. In den vergangenen zwei Jahren habe sie 380 Einzelberatungen gemacht – zwei Drittel mehr als im gleichen Zeitraum davor. Dank einer permanenten Abstimmung mit den Lehrern könne man auch kurzfristig darauf eingehen, wenn sich an der Entwicklung oder den Erwartungen der Schüler etwas ändere. Tobias Deißler: „Wir schauen jeden einzelnen Schüler genau an – und dabei nicht nur auf die Noten.“

Die Statistik scheint das Tandem Eichmann-Deiß und das neue Vorgehen zu bestätigen. In den jüngsten Abgangsklassen sind laut Deiß deutlich mehr Schüler nahtlos in eine Ausbildung vermittelt worden als früher: „So eine gute Quote hatten wir noch nie.“ Ob es letztlich passt, muss sich natürlich erst noch zeigen. Alida und Melena allerdings sind da zuversichtlich.

Lebensbegleitende Berufsberatung

Strategie
Die Lebensbegleitende Berufsberatung ist Teil einer neuen Strategie der Bundesagentur für Arbeit, die den Schwerpunkt in Richtung „Prävention“ verlagern soll. Dafür ist die Intensivierung der Aktivitäten in den Schulen sowie an Universitäten und Fachhochschulen geplant. In den weiterführenden Schulen sind ab diesem Schuljahr größere Kapazitäten für Sprechstunden und Infoveranstaltungen zur Verfügung gestellt worden.

Schule
Die berufliche Orientierung ist in Baden-Württemberg an allen allgemein bildenden Schulen seit 2016 Bestandteil des Stundenplans. Neben der Leitperspektive berufliche Orientierung wurde das Schulfach Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung an den weiterführenden Schulen eingeführt.