Berthold Leibinger (1930-2018) Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Berthold Leibinger hat in Stuttgart und der Region mit seinem nie nachlassenden Einsatz für das Gemeinwohl ein Beispiel gegeben, betont Jan Sellner.

Stuttgart - Die Stadt pulsiert. Am Tag, in der Nacht. Besonders auch in der kommenden Nacht, der Stuttgart-Nacht, in der an mehr als 60 Orten gleichzeitig Kultur geboten wird. Ebenso am Sonntagabend im Gustav-Siegle-Haus, wo Joe Bauers Flaneursalon mit und in großem Stil sein 20-jähriges Bestehen feiert und damit auch das vielfältige Leben in dieser Stadt. Wohin man blickt: Stuttgart lebt; die Menschen vergnügen, verlustieren sich. Viele zieht es ins Freie. Der goldene Oktober passt dazu wie gemalt. Frei und facettenreich ist zugleich das Innenleben dieser Stadt. Ein Glück, dass es so viel davon gibt.

Die Kulissen des prallen Lebens bilden jedoch nur einen Teil der Wirklichkeit ab – obwohl sie scheinbar die Bühne beherrschen. Im Hintergrund steht immer auch eine Kulisse der Trauer. Denn mit jedem Atemzug erstirbt irgendwo etwas und geht unwiederbringlich verloren. Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen, hat Martin Luther übersetzt. Mit anderen Worten: Tod ist immer ein Thema. So wie Leben immer ein Thema ist. Dennoch fällt es schwer, mit Vergänglichkeit umzugehen, sie zu verstehen. Vor allem, wenn Menschen früh gehen müssen oder sonst wie aus dem Leben gerissen werden. Abschied nehmen ist und bleibt schmerzvoll, selbst im Angesicht eines erfüllten Lebens. Denn in jedem Fall ist da der Verlust von Gemeinschaft – unabhängig davon, wie man die Frage nach einem Leben nach dem Tod für sich beantwortet.

Ein Ingenieur des Gemeinwesens

Was wir verlieren, wenn ein Mensch stirbt, ist in dieser Woche einer breiten Öffentlichkeit schlaglichtartig deutlich geworden, als sich die Nachricht vom Tod Berthold Leibingers verbreitete. Eines Mannes, der in Stuttgart und weit darüber hinaus prägend gewirkt hat. Das drückt sich in den vielen Würdigungen aus, die seine herausragende Leistungen als Erfinder, Unternehmer, Wirtschaftsrepräsentant und Mäzen betonen. Es sind Nachrufe mit Ausrufezeichen, weil Berthold Leibinger eben nicht nur zukunftsweisende Maschinen entwickelt, sondern sich immer auch als Ingenieur des Gemeinwesens verstanden hat – sei es, dass er die Kultur förderte, sei es dass er sich selbst in der Gesellschaft einbrachte und Stellung bezog. Der gebürtige Korntaler, der die Firma Trumpf in Ditzingen zu einem Vorzeigeunternehmen gemacht hat und eine segensreiche Stiftung gründete, verkörperte Vieles – vor allem war er ein Mensch der inneren Werte mit einem nie nachlassenden Interesse an der Bonum Commune, dem Gemeinwohl.

Die Talente, die einem geschenkt sind, nutzen, sie entwickeln und damit Gutes tun, ist vielen Menschen möglich. Auch im Kleinen. Berthold Leibinger hat es im Großen getan – wie es seine Familie ebenfalls seit Langem beherzigt. Durch sein Engagement hat er Stuttgart und die Region bereichert und mitgeholfen, dass die Stadt heute kulturell lebt und pulsiert. Sein Tod, jeder Tod, ist Anlass, über das Leben nachzudenken. Vielleicht auch ein Anstoß, die eigenen, Möglichkeiten zu wägen, so bescheiden sie sein mögen, und sich für das Gemeinwesen einzusetzen.

jan.sellner@stzn.de