Thomas Berthold, Weltmeister von 1990 und ehemaliger VfB-Verteidiger, macht sich Gedanken zur aktuellen Krise der Roten. Foto: Baumann

In der Krise könnte sich der VfB-Trainer nach einem neuem Klub umsehen, so Thomas Berthold.

Stuttgart - Im Sommer 1997 gewann er gemeinsam mit dem heutigen Manager Fredi Bobic den DFB-Pokal für den VfB Stuttgart, von 1993 bis 2000 hielt er in 191 Bundesligaspielen die Knochen für die Roten hin und erzielte vier Tore - Ex-Nationalspieler Thomas Berthold (45) schaut sich zwar „nur einmal pro Jahr“ ein VfB-Spiel live im Stadion an, verfolgt seinen Ex-Klub dennoch weiter genau.

59,2 Prozent von 852 Teilnehmern einer StN-Umfrage bezeichnen die aktuelle sportliche Situation beim VfB derzeit als „tiefe Krise“. Und wenn der Klub weiter auf der Stelle tritt, sieht Berthold die Gefahr, dass VfB-Trainer Christian Gross sich nach einem anderen guten Verein umsieht.

Herr Berthold, der VfB Stuttgart hat die ersten drei Partien in der Bundesliga verloren und ist Tabellenletzter. Wie schätzen Sie die Situation ein?

Thomas Berthold: Tja, wissen Sie, mich verwundert das nicht besonders. Man muss sagen, dass der Klub in den letzten Jahren viel Substanz verloren hat. Er hat zwar durch Spielerverkäufe viel Geld eingenommen, aber besonders durch die Kosten des Stadionumbaus ist die Liquidität eingeschränkt.

Sie haben also erwartet, dass der VfB diese schlechten Ergebnisse einfährt, in Mainz und Freiburg sowie gegen Dortmund verliert?

Dass es schwer wird, habe ich mir gedacht. Aber klar ist, auch mit dieser Mannschaft kannst du in Mainz und Freiburg nicht verlieren. Der Punktestand ist jetzt natürlich mau.

Und das große Problem des VfB…

…ist das, dass nie ein adäquater Ersatz für Mario Gomez geholt wurde. Sicherlich hat sein Verkauf viel Geld eingebracht (etwa 30 Millionen Euro/die Red.), er hat aber drei Jahre lang immer mindestens zweistellig in der Bundesliga getroffen. Dieses Problem verfolgt den VfB. Ich habe persönlich nix gegen Marica oder Pogrebnyak – sie sind aber keine Torjäger. Auch Cacau ist das nicht.

"Mir fehlt Kreativität im offensiven Mittelfeld"

Viele trauern derzeit Nationalspieler Sami Khedira hinterher . Sie auch?

Klar war er ein Schlüsselspieler und wenn Real Madrid anruft, kannst du auch nichts machen. Aber er ist ein defensiver Mittelfeldspieler und da hat der VfB keine Sorgen. Mir fehlt Kreativität im offensiven Mittelfeld.

Dort durfte sich in der vergangenen Saison noch Aliaksandr Hleb versuchen.

Doch der ist jetzt auch weg! Er hat natürlich längst nicht das gezeigt, was er einst in Stuttgart gespielt hat, doch auch mit einer 80-Prozent-Verfassung kann er immer noch ein Spiel entscheiden – mit einer einzigen Aktion.

Fürs Mittelfeld hat der VfB Audel und Bah aus Frankreich, Gentner aus Wolfsburg und Camoranesi von Juventus Turin geholt, dazu Degen für die rechte Abwehr. Sind das sinnvolle Verstärkungen?

Dass Degen und Audel direkt  krank und verletzt sind, dafür kann ja keiner was. Das ist Pech. Und Camoranesi ist natürlich ein sehr erfahrener Spieler, aber auch er hat seine Stärken nicht in der Offensive. Insgesamt muss der VfB aufpassen, dass er diese kritische Phase nun einigermaßen unbeschadet übersteht.

Ansonsten bekommt er es etwa mit dem Abstiegskampf zu tun?

Nein, das glaube ich nicht. Trotz allem schätze ich den VfB am Saisonende auf Platz sechs bis zehn ein. Und wenn der Verein den Fans auch reinen Wein einschenkt und sagt, dass es diese Saison für ganz oben nicht reichen wird, dann glaube ich, hat dafür auch jeder Fan Verständnis. Finanziell sollte man sich nunmal nicht übernehmen, das macht der Klub richtig. Schalke 04 und Borussia Dortmund waren warnende Beispiele in den letzten Jahren

"Das ist ein gutes Omen"

Die sportliche Leitung bei Ihrem Ex-Klub hat kürzlich Ihr ehemaliger Mitspieler Fredi Bobic übernommen. Packt er’s?

Fredi ist jung und unverbraucht, ich hatte zu ihm immer Kontakt, auch als er zuletzt in Bulgarien (Geschäftsführer bei Chernomorets Burgas/die Red.) war. Ich drücke ihm die Daumen. Fredi soll den Kopf nicht hängen lassen, und er muss die Nerven behalten. Ich hoffe, der VfB kriegt in der Bundesliga am Samstag gegen Gladbach die Kurve.

Die Chancen stehen nicht schlecht: Sie haben in Ihrer VfB-Karriere von sechs Heimspielen gegen Borussia Mönchengladbach vier hoch gewonnen und nur eines im Dezember 1994 mit 2:4 verloren, seitdem hat der VfB sogar die letzten zwölf Heimspiele nicht verloren.

Das hört sich tatsächlich vielversprechend an, das ist ein gutes Omen. Also tippe ich auf einen klaren Sieg gegen Gladbach.

Und dann ist wieder alles in Butter und es geht dauerhaft aufwärts?

Auf jeden Fall würde dann ein Risiko wieder kleiner werden.

Welches Risiko?

Jenes, dass Trainer Christian Gross die Geduld verliert - hoffentlich hat er sie. Gross ist sehr ambitioniert und ehrgeizig. Und wenn er merkt, dass es nicht läuft, der VfB dauerhaft auf der Stelle tritt und er ein gutes Angebot von einem anderen guten Klub bekäme, dann könnte er wegwollen. So schätze ich ihn ein.