Massenproteste gegen Freihandelsabkommen wie TTIP oder Ceta drücken massive Ängste der Menschen vor der Globalisierung aus und beflügeln nationalistische Parteien. Foto: dpa

Die große Mehrheit der Menschen mit Sympathien für rechtsnationale und populistische Parteien empfindet die Globalisierung als Bedrohung. Bildungsniveau, Einkommen und Alter sind zentrale Faktoren. Dies geht aus einer EU-weiten Erhebung der Bertelsmann-Stiftung hervor.

Stuttgart - Rechtspopulisten setzen die Demokratien in Europa seit Jahren unter Druck. Weil das Problem aber immer virulenter wird, ist mehr denn je Aufklärung gefragt. Eine EU-weit erhobene Studie der Bertelsmann-Stiftung, die dieser Zeitung vorliegt, gibt aufschlussreiche Antworten. Demnach profitieren die nationalistischen Parteien in besonderem Maße von der Furcht vor den ökonomischen Auswirkungen internationaler Verflechtungen. „Es sind vor allem Globalisierungsängste, die manche dazu treiben, sich vom politischen Mainstream ab und populistischen Parteien zuzuwenden“, betonen die Autorinnen Catherine de Vries von der Universität Oxford und Isabell Hoffmann, Projektleiterin der Bertelsmann-Stiftung. Vereinfacht gesagt: Je niedriger das Bildungsniveau, je geringer das Einkommen und je älter die Menschen sind, desto wahrscheinlicher sei es, dass sie Globalisierung als Bedrohung wahrnähmen.

Noch sieht eine knappe Mehrheit von 55 Prozent das weltweite Zusammenwachsen als Chance, aber schon 45 Prozent nehmen es als Bedrohung wahr. 35 Prozent der Befragten haben wirtschaftliche Ängste; bei 65 Prozent ist dies nicht der Fall. Zwischen einzelnen Ländern bestehen zum Teil gravierende Unterschiede: Besonders groß sind die Globalisierungsängste in Österreich und Frankreich – in Italien, Spanien sowie überraschend im Vereinigten Königreich sind sie relativ niedrig. Deutschland, die Niederlande und Ungarn liegen eher im Mittelfeld.

Die halbe Arbeiterschicht lehnt Globalisierung ab

Bildung und Gesellschaftsschicht spielen eine besondere Rolle: 47 Prozent der Befragten, die sich selbst der Arbeiterschicht zurechnen, fürchten sich vor der Globalisierung. Bei den Befragten aus der Mittelschicht sind dies nur 37 Prozent. Ebenso äußern sich 47 Prozent der Personen mit einem niedrigeren Bildungsniveau beklommen – aber nur 37 Prozent der Menschen mit höherer Bildung. Die Sorgen wachsen mit zunehmendem Alter, während es bei der Frage unwesentlich ist, ob jemand in städtischer oder ländlicher Umgebung lebt. Gleiches gilt für das Geschlecht.

Bekanntlich machen diese Faktoren besonders der SPD schwer zu schaffen, weil es sich bei der älteren Arbeiterschicht um ihre klassische Wählerklientel handelt. Folglich muss die Sozialdemokratie Wähler an die AfD abgeben. Ähnliche Beobachtungen machen die Gewerkschaften, obwohl sie eine internationale Politik propagieren und vor Rechtspopulismus scharf warnen.

Auch die Linke versucht, Honig zu saugen

Bei der Parteibindung zeigten sich sehr deutliche Unterschiede, schreiben Hoffmann und de Vries. Vor allem rechtsgerichtete Parteien profitieren demnach von der Furcht vor internationaler Verflechtung. In Deutschland haben 78 Prozent der Anhänger der Alternative für Deutschland (AfD) Angst vor der Globalisierung – in Frankreich trifft dies auf 76 Prozent der Wähler des Front National zu und in Österreich auf 69 Prozent der Anhänger der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Ähnliches gilt für 61 Prozent der Fidesz-Getreuen in Ungarn, aber nur für 50 Prozent der Ukip-Wähler in Großbritannien. Linksgerichtete Parteien, wie etwa Podemos in Spanien, ziehen ebenfalls diese Wählerklientel an, wenn auch in geringerem Maße. Dies erklärt latent fremdenfeindliche Vorstöße der Linken, speziell von Fraktionschefin Sahra Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine. Auch die von linken Bewegungen forcierten Auseinandersetzungen um TTIP und Ceta sind demnach für Anhänger der Rechtspopulisten interessant.

Spürbarer Wunsch nach Austritt aus der EU

Die Autorinnen der Studie stellen fest, dass diejenigen, die die Globalisierung als Bedrohung sehen, in einem Referendum eher einen Austritt aus der Europäischen Union unterstützen würden (47 Prozent) und sich weniger für eine Vertiefung der EU aussprechen (40 Prozent). Lediglich neun Prozent vertrauten den Politikern in ihrem Land und 38 Prozent zeigten sich mit der Demokratie in ihrem Land zufrieden. Darüber hinaus seien 57 Prozent der Menschen, die Angst vor der Globalisierung haben, der Auffassung, dass zu viele Ausländer in ihrem Land leben. Jedoch seien lediglich 29 Prozent gegen die Homo-Ehe und 34 Prozent der Auffassung, der Klimawandel sei ein falscher Alarm.

Oft keinen Kontakt zu Ausländern

Genauer hingeschaut haben Hoffmann und de Vries auch bei den Konfliktfeldern: Demnach seien die Unterschiede bei Wirtschaftskrise, Armut, Terror, Krieg und Kriminalität zwischen denen, die Angst vor der Globalisierung haben, und denen, die keine Angst davor haben, geringfügig. Lediglich beim Thema Migration sei eine klare Differenz festzustellen: 53 Prozent der Personen, die Angst vor der Globalisierung haben, verträten die Auffassung, dass die Zuwanderung eine große globale Herausforderung ist. 55 Prozent haben im Alltag keinen Kontakt zu Ausländern und 54 Prozent finden, dass sie sich wegen der Ausländer im eigenen Land zuweilen selbst fremd fühlen.

Hingegen vertreten nur 42 Prozent der Befragten, die die Globalisierung als Chance sehen, die Auffassung, dass die Migration eine große globale Herausforderung ist. Lediglich 43 Prozent haben in ihrem Alltag keinen Kontakt zu Ausländern und sogar noch weniger, nämlich 36 Prozent, fühlen sich manchmal entfremdet.