Die Anhänger von Bernie Sanders lassen nicht locker: Sie sehen ihn immer noch als geeigneten Präsidentenkandidaten für die Demokraten.
Washington - Roxanne Decktor nimmt einen Schluck vom dünnen Diner-Kaffee und redet sich Mut zu. Die Sache sei noch längst nicht entschieden, sagt die Frau, lacht grell auf und nickt dabei mit ihrem Kopf so sehr, dass ihre schwarzen Haare einen wilden Tanz beginnen. Bernie Sanders, ihr Favorit, müsse sich bei der Vorwahl der Demokraten am Dienstag in Kalifornien und New Jersey nur achtbar gegen Hillary Clinton schlagen. Dann könne es doch noch sein, dass Sanders der Präsidentschaftskandidat der US-Demokraten wird und bei der Wahl im November Donald Trump besiegen wird, „dass es nur noch so kracht“. Dann würde Roxanne Decktors größter Wunsch wahr.
Es sieht ganz danach aus, als werde es nicht so kommen, wie es sich die Sanders-Aktivistin aus dem Städtchen Woodstown im US-Bundesstaat New Jersey wünscht. Ex-Außenministerin Hillary Clinton hat am Wochenende die Vorwahlen der Demokraten auf den Virgin Islands und in Puerto Rico gewonnen. Ihr fehlen nur noch wenige Stimmen, um die absolute Mehrheit der Delegierten auf ihre Seite zu ziehen und sich im Juli auf dem Parteitag in Philadelphia zur Kandidatin der Demokraten wählen zu lassen. Schon am Dienstagabend, wenn die Wahllokale in New Jersey und drei Stunden später dann in Kalifornien schließen, dürfte es soweit sein. Das Establishment wird aller Voraussicht nach siegreich sein. Die von Bernie Sanders beschworene „politische Revolution“ dürfte ausfallen.
Hoffen auf die Super-Delegierten
„Pah“, sagt Roxanne Decktor jetzt verächtlich: „Umfragen!“ Da gebe es schließlich immer noch die sogenannten Super-Delegierten. Das sind Parteimitglieder und Parteifunktionäre der Demokraten, die unabhängig von den Ergebnissen der Vorwahlen in den einzelnen Bundesstaaten entscheiden dürfen, ob sie Clinton oder Sanders in den offiziellen Wahlkampf gegen Trump schicken wollen. Zwar hat die Ehefrau des früheren Präsidenten Bill Clinton auch in dieser Delegiertengruppe derzeit einen gewaltigen Vorsprung vor dem Senator aus dem Neuengland-Staat Vermont. Doch weil die Super-Delegierten ihre Meinung ungestraft ändern dürfen, hoffen Sanders-Anhänger wie Roxanne Decktor auf einen Stimmungswechsel. Da müsse sich nur die Überzeugung durchsetzen, dass Sanders viel größere Chance als Clinton habe, Trump zu besiegen. Der Kampf gehe jedenfalls weiter, sagt die Aktivistin aus Woodstown.
Der 74 Jahre alte Bernie Sanders, der sich als „demokratischer Sozialist“ bezeichnet, ist in diesem Wahlkampf auf der linken Seite des politischen Spektrums in den USA mindestens so eine Ausnahmeerscheinung, wie es Donald Trump auf der rechten Seite ist. Mit seinen Forderungen nach einer allgemeinen Krankenversicherung, einer Zerschlagung der Großbanken, kostenlosen Universitäten und militärischer Zurückhaltung begeistert er vor allem die jungen Leute in den USA. Aber auch Roxanne Decktor, die schon 62 Jahre alt ist, findet den 74 Jahre alten Sanders faszinierend. Sie hat sogar ihren Hund nach dem Senator benannt. „Sanders hat die Leute aufgeweckt“, sagt sie: „Es wird wieder über Gerechtigkeit gestritten.“
Clinton und die Vertrauenswürdigkeit
Hillary Clinton dagegen sei schlimmer als Trump, sagt die Aktivistin aus Woodstown/New Jersey: „Sie hat das in ihrer langen Karriere als Politikerin schon bewiesen, er hat bisher nur ein lautes Mundwerk.“ Zahlreiche Umfragen belegen, dass die Ex-Außenministerin das Problem hat, bei vielen Wählerinnen und Wählern als vertrauenswürdig zu erscheinen. Clinton sei unbeliebt, wirke abgehoben und nicht zuverlässig, sagt Roxanne Decktor und zählt Beispiele auf. Erst habe Clinton für den Irak-Krieg von George W. Bush gestimmt, dann habe sie aus Opportunitätsgründen den Krieg verurteilt. Erst habe sie für das transpazifische Freihandelsabkommen des amtierenden Präsidenten Barack Obama geworben, jetzt sei sie vehement dagegen, weil die normalen Amerikaner auch skeptisch geworden seien. Und warum Clinton partout nicht die Manuskripte der Reden veröffentlichen wolle, die sie vor Wall-Street-Bankern gehalten habe, verstehe sie nicht, sagt Decktor: „Wenn sie doch angeblich nichts zu verbergen hat.“ Und noch die E-Mail-Affäre und, und, und...
In diesen Tagen der Entscheidung, in denen klar wird, dass es wahrscheinlich nichts wird mit der Revolution, können die Anhänger von Bernie Sanders ihre Frustration kaum noch verbergen. Joseph Stowers etwa sagt, er sei von Obama enttäuscht und werde ganz gewiss nicht für eine Fortsetzung der Obama-Politik unter Hillary Clinton stimmen. Stowers hofft zwar darauf, dass der überraschende Erfolg von Bernie Sanders auch Clinton ein wenig nach links treiben werde. Aber sicher ist sich der 64 Jahre alter Rentner aus Woodstown nicht. Er traut Clinton nicht über den Weg.
Als unlängst ein Spendenaufruf der Demokraten bei ihm Briefkasten landete, steckte Stowers zwei Cent-Münzen in den Rückumschlag, klebte absichtlich keine Briefmarke drauf und sagte sich: „Zwei Cent, mehr habe ich für die Leute nicht mehr übrig.“ Im Café von Woodstown redet sich auch Roxanne Decktor in Rage. Schließlich sagt sie, dass sie bei der Wahl im November auf keinen Fall für Hillary Clinton stimmen werde: „Sie können mich foltern, und ich werde es nicht tun.“ Auf den Einwurf, dass sie damit womöglich indirekt für einen Präsidenten Donald Trump stimme, antwortet die Aktivistin selbstbewusst: „Ich bin es leid, mich für das bessere von zwei Übeln entscheiden zu müssen.“