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Als Architekt des olympischen Alpinzentrums war Bernhard Russi an der Umsetzung der Winterspiele in Russland (7. bis 23. Februar) beteiligt. „Sotschi ist als Olympiaort legitim“, sagt der Schweizer Olympiasieger und bleibt kritisch – auch gegenüber der Politik.

Als Architekt des olympischen Alpinzentrums war Bernhard Russi an der Umsetzung der Winterspiele in Russland (7. bis 23. Februar) beteiligt. „ Sotschi ist als Olympiaort legitim“, sagt der Schweizer Olympiasieger und bleibt kritisch – auch gegenüber der Politik.
Sotschi - Herr Russi, erinnern Sie sich an Ihren ersten Tag in den Bergen von Sotschi?
Natürlich. Ich kannte die Gegend bereits von Kartenmaterial, das mir zur Verfügung gestellt worden war. Ich wusste: Das Gebiet ist nicht unattraktiv. Dann stand ich irgendwann tatsächlich dort. Und da, wo mittlerweile das alpine Skizentrum Rosa Khutor entstanden ist, gab es nichts.
Gar nichts, was mit Wintersport zu tun hatte?
Nicht dort. An anderer Stelle gab es etwa vier uralte Einer- und Zweier-Sessellifte, dieses kleine Gebiet sollte nun um zwei Täler erweitern werden. Ich habe mir den Berg angeschaut, dann bin ich ihn mal runtergelaufen – zum Teil in übersichtlichem, zum Großteil aber in unübersichtlichem Gelände.
Vor dem absoluten Nichts zu stehen – war das eine neue Situation für Sie?
Das nicht. In Lillehammer ist für die Spiele von 1994 das Skigebiet in Kvitfjell entstanden, das lag im Vergleich zu Rosa Khutor noch weiter weg von etwas bereits Bestehendem. Und es ist ja auch nicht so, dass es in Krasnaja Poljana oberhalb Sotschis bis dahin keinen Tourismus gegeben hätte. Es gab Leute, die zum Wandern kamen, oder Touristen, denen es in Sotschi zu heiß war.
Also zielt der Vorwurf ins Leere, dass für Olympia in Sotschi alles aus dem Nichts aus dem Boden gestampft wurde?
Das trifft zumindest nicht ganz zu. Rosa Khutor ist zwar neu entstanden, aber die Leute, die dort leben, haben auch bisher neben der Landwirtschaft und den Sommergästen ein wenig von Wintertourismus gelebt.
Es heißt doch aber: Viele Menschen mussten den Bauvorhaben weichen?
Ich kann nur für das alpine Skizentrum sprechen. Und da musste keiner weichen. Im Gegenteil: Rosa Khutor bietet den Menschen dort eine neue Perspektive, denn für die Zukunft sind Arbeitsplätze entstanden.
Hat der Skitourismus dort eine echte Zukunft?
Da bin ich mir sogar ziemlich sicher. Die Landschaft ist wunderschön, der Kaukasus hat tolle Berge mit schönen Wäldern, ähnlich wie die Alpen eine Waldgrenze auf 1800 Metern, Gipfel, die auch im Sommer weiß sind, Bergseen, Bäche – eben alles, was dazugehört. Die Anlagen sind zudem auf dem neuesten Stand, somit ist das alles vergleichbar mit den schönen Wintersportorten in Mitteleuropa. Wenn auch vielleicht nicht mit dem gleichen Charme.
Trotzdem ist alles doch ausschließlich wegen Olympia entstanden.
Ich lege meine Hand dafür ins Feuer, dass das alpine Skizentrum sehr nachhaltig ist. Und die Idee eines Skigebiets entstand, bevor Sotschi die Spiele bekam, auch meine Arbeit hat bereits vor der Entscheidung 2007 begonnen, ebenso die Bauarbeiten.
Waren die Eingriffe in die Natur noch verhältnismäßig?
Was das Skigebiet betrifft, hielt es sich in einem absolut vernünftigen Rahmen. Ich habe zum Beispiel versucht, frühere Lawinenzüge für die Pisten zu nutzen.
Um nicht noch mehr Bäume fällen zu müssen?
Ich will mich nicht grüner machen, als ich bin. Natürlich ging es auch um die Bäume, aber natürlich auch um weniger Arbeit. Ich will aber nicht verschweigen, dass wir auch Pistenverbindungen gebraucht haben, denen große Bäume zum Opfer gefallen sind.
Die Auflagen waren wohl nicht allzu streng.
Oh, doch. Es gab sogar sehr strenge Vorschriften. Für jeden Baum, der gefällt wurde, mussten wir sechs neue pflanzen. Und selbst als es am Ende noch um kleinere Korrekturen ging, war es jedes Mal ein großer Kampf, diese auch umsetzen zu dürfen.
Trotzdem gilt für die Spiele von Sotschi der Vorwurf des Gigantismus.
Olympia, so wie es heute als Ganzes daherkommt, hat mit Gigantismus zu tun. Ich gehöre aber zu den Leuten, die fragen: Warum?
Welche Antwort geben Sie selbst?
Es ist Gigantismus, weil alle alles haben wollen. Die Dachorganisationen möchten viele Sportarten, die Verbände viele Athleten, die Medien viele akkreditierte Journalisten. Ich würde es daher begrüßen, wenn das IOC sich entscheiden würde, die Winterspiele um 30 Prozent kleiner zu machen.
Weil man dann womöglich mit weniger Sportstätten auskommen würde?
Zum Beispiel. Denn die Nachhaltigkeit muss immer im Vordergrund stehen. Aber dann müssten Sie hingehen und sagen: Ihr streicht jetzt 30 Prozent eurer Disziplinen.
Das klingt kaum durchsetzbar.
Deshalb will ich immer dann, wenn man Gigantismus anprangert, auch eine Lösung geliefert bekommen.
In Sotschi finden Spiele an der Küste statt, das Klima ist subtropisch. Ist das der richtige Ort für Olympia im Winter?
Wissen Sie, ich kenne die südlichen Alpen sehr gut. Da haben wir weniger Distanz als von Sotschi nach Rosa Khutor, französische Skistationen und Orte wie Nizza oder St. Tropez. In Vancouver gab es auch Winterspiele am Meer. Von daher ist Sotschi absolut legitim.
Sie haben auch die Menschen vor Ort kennengelernt . . .
. . . musste aber erst einmal die Hürde nehmen, dass man es mit Russen zu tun hat.
Was meinen Sie damit?
Nun, von den Russen bekommt man ein Lachen nicht vom ersten Moment an geschenkt. Man muss sie erobern. Wenn sie aber erst einmal Vertrauen in einen haben, dann sind das herzensgute Menschen.
Die sich auch für das umstrittene Projekt Olympia begeistern können?
Ich hatte natürlich viel mit Leuten zu tun, die Feuer und Flamme sind für dieses Projekt. Aber wichtig ist auch: Es sind Leute, die dort auch wohnen – und die gesehen haben, welche Chancen sie dadurch haben.
Viele Arbeiter fühlen sich allerdings ausgebeutet. Wie waren die Bedingungen auf den Baustellen, auf denen Sie zu tun hatten?
Das Alpinzentrum wurde von einer türkischen Firma gebaut. Diese Menschen hatten eine sehr harte Arbeit, keine Frage, und es dauerte viele Tage, bis sie eine längere Pause bekamen. Aber die Verantwortlichen haben geschaut, dass es ihnen gutgeht. Arbeiten in der Natur funktioniert schließlich auch nur, wenn die Leute zufrieden sind. Wenn sie genug zu essen haben, trockene Kleider . . .
. . . einen guten Lohn.
Das weiß ich natürlich nicht. Aber wirklich: Ich habe nur zufriedene Arbeiter gesehen.
Sie haben auch Wladimir Putin kennengelernt. Hat sich dabei der Eindruck bestätigt, dass Sotschi sein Prestigeobjekt ist?
Ich habe ihn zu der Zeit getroffen, als Sotschi die Spiele noch gar nicht hatte. Da ging es sehr viel um Sport, ums Skifahren. Dass man Sotschi als Putins Spiele sieht, kann ich aber nachvollziehen, schließlich ist er der Präsident des Landes und hat die Kandidatur maßgeblich unterstützt.
Politisch ist vieles, was in Russland passiert, umstritten. Ist es dennoch richtig, Olympische Spiele in solche Länder zu geben?
Das ist ein schwieriges Thema. Was ich aber nicht verstehen kann, ist, dass politische Führungskräfte sagen, sie boykottieren die Spiele in Sotschi – und ein halbes Jahr vorher haben sie womöglich mit Russland noch Verträge zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen. Das ist heuchlerisch und malträtiert die Bühne des Sports.
Aber die Missstände ...
. . . sehe ich natürlich auch, ebenso seltsame Einstellungen, etwa beim Thema Homosexualität. Vieles ist auch für mich nicht nachvollziehbar, aber ich bin dann auch ehrlich und frage: Wie haben wir vor 50 Jahren getickt? Vielleicht fahren die Russen ja einfach noch auf einer anderen Zeitschiene.
Und die Politik sollte sich da raushalten?
Ich bin der Meinung, dass die Politik diese Dinge ansprechen muss. Das Beste ist allerdings, man geht hin und spricht sie dort an – zum Beispiel vor dem nächsten großen Deal. Man kann nicht die wirtschaftlichen Dinge abhandeln, und ausgerechnet wenn der Sport kommt, der per se keine Unterschiede in Sprache, Kultur, Hautfarbe und Religion kennt, dessen Bühne ausnutzen.
Zurück zu den Athleten: Werden es für die Sportler gute Olympische Spiele?
Ja, und ich gehe sogar noch einen Schritt weiter: Es wurde für die Sportler alles Menschenmögliche gemacht. Ebenso für die Sicherheit – was die Stimmung zu Beginn ein wenig dämpfen könnte.
Wird die Atmosphäre dennoch gut sein?
Die Zuschauer werden hauptsächlich Russen sein – und die müssen gefüttert werden. Sie brauchen gute Ergebnisse ihrer Athleten, dann können sie die Sau rauslassen.