Linken-Chef Bernd Riexinger: Griechenland braucht Europas Hilfe Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

„Wir befinden uns an einem Scheideweg für Europa,“ sagt Bernd Riexinger. Ein Ausstieg aus dem Euro würde Griechenland in eine humanitäre und ökonomische Katastrophe stürzen, hätte aber auch für Europa dramatische Folgen, ist der Vorsitzende der Links-Partei,überzeugt.

Stuttgart - Ganz Europa blickt gebannt nach Athen: Bis zum Sonntag will die griechische Regierung mit den internationalen Geldgebern eine Einigung über weitere Milliardenkredite erreichen. Wenige Stunden vor Ablauf der Frist für eine neue griechische Reformliste warnt Bernd Riexinger, Parteivorsitzender der Linken, beim Besuch in unserer Redaktion vor einem „Grexit“. „Der finanzielle und politische Preis wird für ganz Europa enorm hoch sein“, sagt Riexinger. Bei einem Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras in Athen hat er sich erst am vergangenen Freitag persönlich über die Lage und über die Pläne der griechischen Regierung informiert.

Zwinge man die Regierung in Athen zum Ausstieg aus der Eurozone, hätte das unabsehbare geopolitische Folgen, sagt der Chef der größten Oppositionspartei im Bundestag. Dann bleibe ihnen gar nichts anderes übrig, als bei Russland oder China um Hilfe zu bitten. Tsipras wolle das nicht, ist Riexinger überzeugt. Der Chef der erst vor sechs Monaten gewählten griechischen Links- Rechts-Regierung wolle die Andockung an Europa. Auch die maßgeblichen Strömungen in seiner Syriza-Partei verfolgten diesen Kurs.

Aber Griechenland importiere 85 Prozent seiner Energie, 40 Prozent der Lebensmittel und fast alle Medikamente. „Was sollen sie denn machen? Entweder sie organisieren sich international Hilfe oder sie werden auf das Niveau eine Entwicklungslandes gedrückt.“ Ein Grexit sei daher nicht nur für Griechenland eine Katastrophe, sondern für die gesamte Europäische Union.

Riexingers Links-Partei, der er zusammen mit Katja Kipping seit 2012 vorsteht, unterhält enge Beziehungen zu Tsipras’ umstrittener Syriza-Partei. Die beiden Parteichefs lernten sich vor zweieinhalb Jahren in Athen kennen. Im Oktober 2012 demonstrierten sie auf dem Syntagma-Platz vor dem Parlament gegen Merkels ersten Griechenland-Besuch seit Beginn der Schuldenkrise. „Seitdem haben wir eine gute freundschaftliche Beziehung“, sagt der gebürtige Leonberger.

Der Grund warum Griechenland sich in den Verhandlungen mit Brüssel so hartleibig gibt, sei ein seriöser: „Sie sagen: Wir wollen los vom Tropf der falschen Medizin, die unsere Wirtschaft weiter zerstört. Wir müssen eine Vereinbarung hinkriegen, die es uns ermöglicht, eine wirtschaftliche Entwicklung einzuleiten. Wenn wir das nicht hinkriegen, kommen wir aus der Bettlerrolle nicht raus.“

Warum aber geht die Athener Regierung dann nicht auf das Angebot der Institutionen von EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) ein, die ein Investitionsprogramm im Umfang von 35 Milliarden Euro in Aussicht gestellt haben, will die Runde wissen. Zumal auch ein Schuldenschnitt nicht für alle Zeit vom Tisch sei. Was hat Tsipras dazu bewogen, dieses Angebot auszuschlagen? Die Bedingungen, die daran geknüpft sind, führen nicht aus dem wirtschaftlichen Desaster, ist Riexinger überzeugt. „Die Griechen haben kein Sozialsystem und leben nicht in Saus und Braus. Wer seinen Job verliert bekommt ein Jahr lang Arbeitslosengeld und dann fällt er ins Nichts. Deswegen leben ganze Generationen die arbeitslos sind, von den Renten der Eltern und Großeltern“, erklärt er, warum sich Griechenland ebenso vehement wehrt, wie gegen eine Mehrwertsteuererhöhung: „Das erhöht die Lebenshaltungskosten schlagartig. In Athen ist das Preisniveau bereits jetzt so hoch wie in Stuttgart, und das Lohnniveau deutlich darunter.“ Eine stärkere Besteuerung der Reichen sei von den Kreditgebern dagegen nie zur Bedingung gemacht worden.

Die Schuld für die griechische Misere sieht Riexinger, der kein Freund von Zoten und Stammtisch-Parolen ist, bei den Vorgängerregierungen in Athen ebenso wie bei der EU. Die früheren Regierungen hätten die Wirtschaft auf Pump finanziert: „Die Krisenpolitik von Angela Merkel und der EU ist auf der ganzen Linie gescheitert. Es war ein völlig falscher Ansatz der EU hier so viel Geld reinzupumpen. Und sicher war es auch die falsche Entscheidung, Griechenland überhaupt in den Euro zu holen.“ Es seien viele Fehlentscheidungen getroffen worden. Dass die europäischen Institutionen den Hellenen über Jahre hinweg Kredite in dieser Größenordnung mit diesen Auflagen vergeben haben, kann der gelernte Bankkaufmann und frühere Gewerkschaftsfunktionär nicht nachvollziehen. Griechenland habe ein Austeritätsprogramm (Sparpolitik) in einer Härte verordnet bekommen, wie kein anderes Land – das Resultat sei unübersehbar: 26 Prozent Minuswachstum. „Da kann man nicht sagen, dass dieses Konzept in irgendeiner Form ein Erfolg war“, das Gegenteil sei der Fall, es sei völlig kontraproduktiv gewesen. „Jetzt zu sagen: aber ihr müsst genau so weitermachen, ist doch der helle Wahnsinn.“

Riexinger tippt mit dem Zeigefinger auf den hölzernen Redaktionstisch und stellt klar: „Der Brand wurde von denen gelegt, die jetzt die Feuerwehrmänner spielen wollen.“ Syriza müsse Reformen angehen und einiges verändern, vor allem eine ordentliche Finanzverwaltung aufbauen. „Aber nicht die jetzige Links-Regierung hat den Karren in den Dreck gefahren, das haben schon die Alt-Parteien gemacht – das waren die Schwesterparteien von CDU und SPD“.

Nun müssten tragfähige Lösungen gefunden werden, für Griechenland und für ganz Europa. In Spanien und Griechenland findet nicht einmal jeder zweite Jugendliche nach dem Schulabschluss einen Job. Auch in Kroatien und Italien sieht es in puncto Jugendarbeitslosigkeit mit rund 45 Prozent nicht viel besser aus. „Wie erklären sie einem Jugendlichen, der auf Dauer keine Perspektive sieht, die europäische Idee?“, fragt Riexinger in die Runde. Die Lösung sieht er in der Rückkehr auf einen Pfad „mit wirtschaftlicher Entwicklung, sozialen Standards, Perspektiven für die Menschen“.

Es gehe um die Zukunft von ganz Europa und darum, in welche Richtung die europäische Politik in den nächsten Jahren gehen soll. Durch die Art und Weise wie in Europa Politik gemacht wird, würden die nationalistischen Tendenzen stark befördert. Wenn das Griechenland-Problem nicht gelöst werde, sei das „ein Elfmeter“ für Rechtsextreme und Rechtspopulisten wie Marine Le Pen, die Vorsitzende des französischen Front National. „Die werden sagen: Schaut her, die nationale Souveränität spielt keine Rolle mehr. Wie die Bevölkerung wählt, spielt keine Rolle mehr, von den EU-Bürokraten wird auch die Richtung aufgedrückt, wir müssen uns vor den anderen, den Fremden schützen.“

Und wie kann die Lösung aussehen? „Griechenland braucht einen Masterplan für ein Investitionsprogramm“, sagt Riexinger. Zugleich plädiert der Linken-Chef dafür, die EU zu einem Modell der Ausgleichsunion, nach Vorbild des Länderfinanzausgleichs, umzubauen. „Der Euro macht in seiner Grundstruktur Starke stärker und Schwache schwächer, die ungeschützt dem Lohnkosten- und Produktionswettbewerb ausgesetzt sind.“ Es sei ein Widerspruch wenn man eine Währungsunion aber keine Wirtschaftsunion habe. Daher müssten sich die EU-Staaten jetzt entscheiden: „Entweder mehr Integration oder weniger, aber so wie jetzt kann es nicht gehen .“