Die eklige Kaufhof-Passage in Bad Cannstatt – Stuttgart von seiner hässlichsten Seite. Manche Berliner denken, hier ist es überall so. Foto: STZN/Uli Nagel

Ein Autor der „Berliner Zeitung“ schreibt sich seinen Abscheu gegenüber seiner alten Heimat Stuttgart von der Seele. Er spricht von „Stuggi“ – hat er die Stadt je verstanden?

Mit der Mode Großstadt-Bashing ist das so eine Sache. Der Wettbewerb, wer in verschiedenster Hinsicht am größten ist, macht wenig Sinn, aber gut verpackt viel Spaß. So wird es wohl immer Menschen geben, die Team Hamburg oder Team Berlin sind – ein Autor aus letzterer Stadt hat in der „Berliner Zeitung“ jetzt aber einen Artikel veröffentlicht, der so überschrieben ist: „Schon mal im muffigen Stuttgart gewesen? Warum mich das Berlin-Bashing nervt“

Zusammengefasst geht es darum, dass der Autor seine Wahlheimat Berlin in letzter Zeit zu häufig in anderen Texten geschmäht sieht. Dazu wäre aus Stuttgart eigentlich kein Wort zu verlieren, wären da nicht die Attacken, die der Autor, eigenen Angaben nach hier aufgewachsen, ausgerechnet gegen „Stuggi“ reitet. So nennt er Stuttgart nämlich. Für den Stuttgarter zumindest ein Indiz, sich zu fragen, ob die behauptete Stuttgart-Expertise wirklich so umfassend ist.

„Aber waren Sie schon mal in Stuttgart? Diesem muffigen Kessel, der seine besten Jahre hinter sich hat und wo man eben auch nicht alles so perfekt hinbekommt, wie es ich die schwäbische Hausfrau erträumt“, heißt es im Text. Dass die Luft hier besser sein könnte, wissen wir selber, aber warum sollte Stuttgart die besten Jahre hinter sich haben? An welche goldene Stuttgarter Ära sind seine Kindheitserinnerungen geknüpft? Vielleicht gab es nie eine?

OB der Stuttgarter will man nicht immer sein

Denn der Stuttgarter weiß genau wie der Berliner, dass seine Stadt nicht perfekt ist. Es gibt genug architektonische Verbrechen, es gibt von Zeit zu Zeit Probleme mit Jugendgewalt und fürchterliche Stadtautobahnen. All das existiert in Berlin auch, nur mit mehr Einwohnern und in manchen Bereichen vielleicht etwas verschärft. Stuttgart 21 und der Flughafen BER sind beides keine Ruhmesblätter.

Aber während in Berlin das meiste mit einem Schulterzucken hingenommen und das dort herrschende Chaos als gottgegebenes Gesetz betrachtet wird, begehrt der Stuttgarter gegen seine Obrigkeit auf. OB der Stuttgarter will man nicht immer sein. Das musste auch der amtierende Rathauschef Frank Nopper (CDU) lernen, als seine Verwaltung eine riesengroße Querdenken-Demo mitten im Lockdown genehmigt hatte. Die ökosoziale Mehrheit im Gemeinderat zitierte ihn zum Kreuzverhör. Von dem, was sich in sozialen Netzwerken über die Verwaltungsspitze ergoss, fangen wir gar nicht erst an. In Berlin erträgt man solche Verfehlungen einfach.

Die Heimat mit einem Augenzwinkern sehen

Wenn die Stuttgarter nicht gerade auf die Barrikaden gehen, bringen sie übrigens sympathischere Eigenschaften mit, als man ihnen von außen gerne mal zuschreibt. Großmannsucht gibt es auch hier, aber die Regel ist eher die: Viele Stuttgarter versuchen eben gerade nicht, sich größer zu machen, als sie sind und gehen mit ihrer Heimat augenzwinkernd um, finden die eigenen Firmenausweise ihrer Weltmarktführer-Arbeitgeber etwas ulkig, wie sie da am Gürtel baumeln. Währenddessen sind viele Berliner geradezu darauf versessen, ihren Wohlstand um jeden Preis zu verbergen hinter Altbau-Wohngemeinschaften oder Fahrrädern mit Einkaufskörben vorne dran und damit überholten schwäbischen Stereotypen viel ähnlicher, als es es wahrscheinlich die meisten Stuttgarter tatsächlich sind.

„Die Königstraße, Stuttgarts Haupteinkaufsstraße, ist in Bahnhofsnähe eine angeranzte Meile mit Handyshops und Klamottendiscountern, weiter oben dann ganz hübsch und von der Pracht vergangener Tage zeugend“, geht es im Text weiter. Jetzt gibt es vielleicht wirklich nicht allzu viel Gutes über die Königstraße sagen. Aber das wäre ein bisschen so, als würde man Berlin auf den Alexanderplatz reduzieren: Auf der Königstraße kann man wenigstens eine Zigarette rauchen, ohne siebenmal angeschnorrt zu werden. Mit „weiter oben ganz hübsch“ ist wahrscheinlich der Schlossplatz gemeint. Dort residiert bekanntlich Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) im Neuen Schloss. Wer bei ihm an „Pracht vergangener Tage“ denkt, sollte sich mal seine Hochzeitsfotos ansehen.

Stuttgart hat seine beste Zeit noch vor sich

Noch ein paar Worte zu den „Träumen der schwäbischen Hausfrau“, von denen in der „Berliner Zeitung“ die Rede ist: Die Behauptung, die Stuttgarterinnen hätten nichts als die Kehrwoche im Sinn, während sich der Gatte an der globalen Wertschöpfung beteiligt, ist ziemlich unverschämt. Wenn man sich die Frauen anschaut, die ihre Feierabendgetränke am Wilhelmsplatz (Mitte, nicht Cannstatt), am Marienplatz oder um den Hans-im-Glück-Brunnen herum konsumieren, sind das sicher keine „schrappigen, hexenwarzigen Verfechterinnen“ der Kehrwoche, wie das der verstorbene Wiglaf Droste in einer deutlich besseren, bitterbösen Stuttgart-Kritik einst geschrieben hatte – und was auch der Autor der „Berliner Zeitung“ wohl so ähnlich wahrgenommen haben will.

Es sind Frauen, die genausogut in Berlin-Friedrichshain im Café sitzen könnten, teils tätowiert, teils nicht, teils beruflich erfolgreich, teils eher in den Tag rein lebend. Aber sicher nicht von einer „perfekt funktionierenden“ Stadt träumend. Wenn es wirklich noch klassische schwäbische Hausfrauen in Stuttgart geben sollte, wäre das so ein kurioser Lebensentwurf, dass wir geneigt wären, das mit einem Porträt zu würdigen.

Dieser Text will nicht sagen, dass Stuttgart besser als Berlin ist. Doch das Stuttgart-Bashing kann man getrost den Stuttgartern überlassen. Denn wir wissen selber, was gut für uns ist. Und wenn wir uns diese Haltung bewahren, hat Stuttgart seine beste Zeit erst noch vor sich.