Die Digitalisierung, die ganz neue Qualifikationen der Arbeitnehmer erfordert, schreitet auch bei Daimler immer stärker voran. Foto: Daimler AG/Daimler AG - Global Communicatio

Die Koalitionsbeschlüsse ähneln auffallend deutlich dem, was aus Stuttgart gefordert wurde. Eine besondere Rolle spielt dabei ein Brief des grünen Ministerpräsidenten.

Berlin - Der Ursprung dessen, was die Berliner Koalition in der Nacht zum Donnerstag an Hilfen für die Autoindustrie auf den Weg gebracht hat, liegt in Baden-Württemberg. So machte etwa Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Morgen danach keinen Hehl daraus, dass ihn vor wenigen Tagen ein Satz eines Stuttgarter Regierungsmitglieds in kleiner Runde sehr beeindruckt hat: „Bei uns brennt die Hütte.“

 

Weniger scharf formuliert hat das Landeswirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) in einem Brief an Heil Ende November, der mehrere Vorschläge zur Ausweitung des Kurzarbeitergelds im verarbeitenden Gewerbe enthält. „Die Auftragslage in diesem Sektor lässt keine kurzfristige Erholung erwarten“, heißt es in dem Schreiben, das unter anderem auch von Südwestmetall-Chef Stefan Wolf und IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger unterzeichnet war: „Davon ist Baden-Württemberg in besonderem Maße betroffen.“

Südwesten stark betroffen

Noch mehr Eindruck hat ganz offensichtlich jedoch ein Brief von Ministerpräsident Winfried Kretschmann gemacht, den der Grüne am Dienstag, nur einen Tag vor dem Koalitionsgipfel, an Kanzlerin Angela Merkel geschickt hat. Er fordert sie in dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt, „eindringlich“ zum Handeln auf, da Baden-Württembergs Autoindustrie sich „in der tiefsten Transformation ihrer Geschichte“ befinde, der Südwesten mit rund 13000 Beschäftigten in 500 Betrieben im bundesweiten Vergleich schon jetzt am stärksten betroffen sei und kleine wie mittlere Zulieferbetriebe um ihre Existenz fürchteten: „Unser Land braucht mehr als Gipfelgespräche und Problemanalysen. Wir brauchen Taten, um den Wohlstand unseres Landes zu sichern, den Menschen Perspektiven aufzuzeigen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu wahren.“

Politisch bemerkenswert ist, wie sehr sich die nun im Kanzleramt gefassten Beschlüsse mit dem decken, was der grüne Ministerpräsident in seinem Brief gefordert hatte. Unternehmen und Beschäftigte müssten, wie auch schon beim jüngsten Autogipfel im Kanzleramt vor gut zwei Wochen besprochen, eine verlängerte Phase der „Kurzarbeit nutzen, um sich für den technologischen Wandel zu rüsten“, sei es, indem sie ihr Wissen um klimaschonende Antriebstechnologien, Mobilitätskonzepte oder Softwarekompetenzen erweiterten. Außerdem, so Kretschmann, müssten Qualifizierungsmaßnahmen nicht mehr nur einzeln, sondern für „Beschäftigtengruppen“ beantragt werden können. Die in sogenannten Transfergesellschaften angebotene Weiterbildung dürfe sich nicht länger nur auf ältere und ungelernte Arbeitskräfte konzentrieren.

Unterschiede zur Finanzkrise

Tatsächlich wurden die drei Punkte fast wortgleich beschlossen. „Wir sehen auch, dass es Regionen in Deutschland gibt, die genau von diesen Umbrüchen besonders betroffen sein werden“, sagte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus unserer Zeitung: „Aus diesem Grund haben wir die Transformationsdialoge Automobilindustrie ins Leben gerufen und Verbesserungen beim Kurzarbeitergeld und der Weiterbildung beschlossen.“

Anders als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2009, als eine Verlängerung der Kurzarbeit auf 24 Monate etwa 1,5 Millionen Arbeitsplätze sicherte, soll das Instrument nun genutzt werden können, obwohl laut Heil nur eine „Teilstörung“ des Arbeitsmarktes in bestimmten Branchen und Regionen vorliegt. Voraussetzung für die Verlängerung ist dann jedoch, dass „eine für die weitere Beschäftigung im Betrieb oder auf dem für die Beschäftigten in Betracht kommenden Arbeitsmarkt zweckmäßige Weiterbildung stattfindet“, wie es im Beschlusspapier heißt.

Das übernimmt der Staat

Wie ebenfalls von der Landesregierung gefordert, wird unter dieser Voraussetzung auch von der „Drittelerfordernis“ abgesehen. Kurzarbeitergeld wird also auch gezahlt, wenn weniger als ein Drittel der Beschäftigten betroffen sind. Auch die Hälfte der Sozialabgaben wird dann vom Staat übernommen – laut Heil verfügt die Bundesagentur für Arbeit über ein Polster von 20 Milliarden Euro, das für diese und andere Maßnahmen eingesetzt werden kann. So wird sie etwa künftig bis zu 75 Prozent der Weiterbildungskosten in Transfergesellschaften übernehmen. Wenn in einem Unternehmen bei mehr als 20 Prozent der Beschäftigten die beruflichen Kompetenzen erweitert werden sollen, erhöht die Agentur ihre Zuschüsse um zehn Prozentpunkte. Liegen betriebliche Weiterbildungsvereinbarungen oder entsprechende Tarifverträge vor, sollen es sogar 15 Prozentpunkte mehr sein.

Die Beschlüsse knüpfen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek zufolge an Konzepte der Nationalen Weiterbildungsstrategie an: „Ein Baustein sind regional abgestimmte Maßnahmen, die schnell und passgenau bei Unternehmen und Mitarbeitern ankommen“, sagte die CDU-Politikerin unserer Zeitung: „Deshalb unterstützt mein Haus schon jetzt Forschungsverbünde und Bildungsnetzwerke.“ Als Beispiele nannte sie überbetriebliche Ausbildungsstätten, in denen sich Lehrlinge beispielsweise digitales Wissen aneignen können, über das ihre eigene Firma nicht verfügt. Karliczek verwies zudem auf den Bundeswettbewerb „Innovationen für exzellente Berufliche Bildung“, der stets neue Weiterbildungsmöglichkeiten hervorbringe: „Wenn wir gemeinsam klug handeln, werden die Chancen des aktuellen Strukturwandels überwiegen.“