Ein Chinese sucht seine Wurzeln, Emma Thompson und Brendan Gleeson sind als deutsche Widerständler zu sehen, Colin Firth und Jude Law stellen sich einem Duell der Geister.
Berlin - Der Fluss des Lebens spült Menschen mal hierhin, mal dorthin – ein beliebtes Motiv in der Kunst, das nun auch im Wettbewerb der Berlinale in bewegten Bildern offen zutage getreten ist.
Das chinesische Kino hat in Berlin zuletzt oft westliche Vorbilder imitiert von Tarantino bis Kaurismäki. Regisseur Yang Chao nun versucht, originär chinesische Themen in die Gegenwart zu holen.
Er folgt einem Lastschiff auf dem Yangtse von Shanghai bis zu dem Punkt, an dem die Strömung des Flusses stärker wird als die des einströmenden Meeres. Der junge Kapitän findet unter Deck Gedichte eines Unbekannten, handelt mit Gangstern, denkt entlang seiner Stationen an alte Legenden, spricht mit einem Priester und findet immer das selbe Mädchen, das er vergeblich für sich zu gewinnen sucht.
Wieso andere kopieren, wenn die eigene Kultur so reich ist?
Magisch und buddhistisch aufgeladen ist diese vielversprechende Geschichte, die in der Inszenierung an zweierlei krankt: Die weise gemeinte Lyrik ist eher banal geraten, und viel Leerlauf führt dazu, dass der Film passagenweise vor sich hinplätschert wie der Fluss, auf dem er spielt. Die Richtung freilich stimmt: Wieso andere kopieren, wenn die eigene Kultur so reich ist? Yang Chao lässt ahnen, wie ein neues, selbstbewusstes chinesisches Kino aussehen könnte.
Nicht zu begreifen ist, wie die Verfilmung von Hans Falladas Widerstands-Roman „Jeder stirbt für sich allein“ (1947) so zäh ausfallen konnte. Dieser erzählt von einem Berliner Ehepaar, dessen einziger Sohn im Frankreich-Feldzug 1939 fällt – und das in seinem Groll auf das NS-Regime beginnt, selbst geschriebene Karten mit Anti-Hitler-Propaganda an öffentlichen Orten in Berlin zu hinterlassen.
Brendan Gleeson und Emma Thompson in den Hauptrollen hauchen diesem Paar in nuancierter Mimik und Gestik so viel Leben ein, wie unter den Umständen möglich ist, Daniel Brühl gibt den sie verfolgenden Kriminalisten als Mann im Zwiespalt, der merkt, dass eine rein professionelle Haltung allein bei diesem barbarischen Regime nicht ausreicht zur Selbstrettung.
Emma Thompson glänzt mit britischem Witz
Ausgebremst werden alle, weil trotz vieler deutscher Darsteller auf Englisch gedreht wurde und sogar Thompson offenbar genötigt wurde, ihren herrlich englischen Akzent zu verbergen wie Gleeson seinen rauen irischen. So klingen alle Dialogsätze hölzern und aufgesagt; in Deutschland wird die Synchronisation das nivellieren, ein gewisses Angestrengtsein der Sprechenden aber bleiben.
Die paranoide Atmosphäre permanenter Überwachung auch durch Nachbarn wird spürbar, Tempo oder gar Spannung aber kommen nicht auf in der Inszenierung von Vincent Perez. Wie dieser Film im Wettbewerb konnte? Berlinale-Chef Dieter Kosslick braucht Stars auf dem Roten Teppich, und diese erfüllten ihren Zweck mit einem einnehmenden Auftritt.
Das gilt besonders besonders für die strahlende Emma Thompson, die gleich zu Beginn der Pressekonferenz mit britischem Witz glänzte. Was sie von Pegida halte und der Flüchtlingsproblematik, möchte eine Kolumbianerin wissen. „Das ist ein großartiger Einstieg bei einem Film, in dem es um etwas ganz anderes geht, nämlich darum, mutig zu sein in schwierigen Zeiten“, sagt Thompson lächelnd. Mehr wolle sie nicht sagen – „ich bin ja nur von einer wolkenverhangenen, regnerischen, abgelegenen Insel“. Daniel Brühl darf dann über die neue Rechte in Deutschland zu referieren.
Colin Firth verströmt natürliche Autorität als schweigsamer, stets Hut tragender Gentle
„Dieses Paar, das sind keine außergewöhnlichen Menschen“, sagt Brendan Gleeson. „Aber sie treffen in einer Zeit großer Schrecken eine sehr persönliche Entscheidung, von der sie wissen, dass sie sie das Leben kosten kann.“ Thompson ergänzt: „Sie sind lange verheiratet, und durch ihren gemeinsamen Einsatz wird ihre eingeschlafene Ehe völlig neu belebt, das war mir sehr wichtig.“ Zudem treibe sie die Frage um, „wie wir sterben. Ich wünsche mir, dass ich dann zumindest meinen Frieden gefunden habe. Diese beiden haben das geschafft durch ihr Tun.“
In einer ganz anders gelagerten Geschichte bestimmen zwei weitere Briten das Berlinale-Geschehen: Nüchtern spielt Colin Firth den berühmten New Yorker Lektor Maxwell Perkins, der F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway entdeckt hat. Jude Law begegnet ihm als Thomas Wolfe, außergewöhnlicher Autor ohne jede Disziplin, was die Länge seiner Manuskripte angeht. Michael Grandages Film „Genius“ zeigt das Ringen zwischen dem zurückhaltenden, strukturierten Perkins und dem extravertierten, überbordenden Wolfe, das 1929 zunächst in den Debütroman „Look Homeward, Angel“ mündet und 1935 in „Of Time And The River“.
Colin Firth verströmt natürliche Autorität als schweigsamer, stets Hut tragender Gentleman. Ihm gegenüber arbeitet sich Jude Law ab als Thomas Wolfe, der ohne Unterlass die Welt erklärt, gestikuliert, umherspringt und seinen Gedankenstrom kaum zu bändigen vermag. Die Rolle ist wie gemacht für Law, der gerne dick aufträgt, oft überzieht und beides hier nun nach Lust und Laune ausleben darf. Stark ist er Law in Szenen, in denen Wolfe auf den Gefühlen anderer herumtrampelt und deutlich offenbart, dass er sich letztlich nur für eines interessiert: sich selbst.
Wie fast immer, wenn Egomanen im Spiel sind, eskaliert das Gefecht der Geister
„Wir zeigen, dass jemand heroisch sein kann, ohne in der ersten Reihe zu stehen“, sagt Firth vor der Presse. „Perkins brachte andere dazu, etwas Besonderes zu erreichen. Seine Urteilskraft und seine Integrität waren sehr ausgeprägt, zugleich wollte er unsichtbar bleiben.“ Jude Law fügt an: „Es war schwierig, die Geschwindigkeit im Denken dieser beiden großartigen Männer zum Leben zu erwecken, diese Art von Stakkato. Wir haben das endlos geprobt.“
Wie fast immer, wenn Egomanen im Spiel sind, eskaliert das Gefecht der Geister irgendwann. Wolfe bricht aus und stirbt bald überraschend an einer Krankheit seines Gehirns, das so viele wunderbare Sätze geformt hat; einige handeln, die der Film zitiert, handeln vom Fluss des Lebens, der Menschen mal hierhin spült und mal dorthin.