Aufgrund der gravierenden Pannen bei der Berlin-Wahl 2021 waren die Schlangen vor den Wahllokalen teils so lang, dass viele erst nach 18 Uhr abstimmten. Foto: dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die Pannen bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2021 waren fatal. Wie haben in der Hauptstadt lebende Schwaben das Drama erlebt? Und: Wie lebt es sich dort generell?

Falsche oder fehlende Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen und lange Schlangen vor den Wahllokalen, sodass viele in der Hauptstadt erst weit nach 18 Uhr wählten – die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2021 war von gravierenden Pannen geprägt. Letztlich waren die so fatal, dass die Abstimmung an diesem Sonntag wiederholt werden muss. An diesem Tag werden dann auch einige in Berlin lebende Schwaben wählen. Und ein paar von ihnen vermuten: So ein Chaos wie damals hätte es im „Ländle“ nicht gegeben.

„Ich würde es nicht ausschließen – schließlich überrascht Stuttgart immer wieder – aber ich glaube, Schwaben würden es besser hinbekommen“, sagt etwa Markus Weigold. Der 46-Jährige ist in Villingen-Schwenningen aufgewachsen, hat in Stuttgart studiert und dort lange gearbeitet. Seit 15 Jahren lebt er in Berlin, der laut ihm „besten Stadt der Welt“. Der gebürtige Schwenninger leitet als Partner den Berliner Standort von Drees & Sommer, einem auf Bau und Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmen mit Sitz in Vaihingen. Er spricht also aus Erfahrung, wenn er sagt: „Berlin ist nicht wegen der guten Politik und Verwaltung gewachsen, sondern trotz dieser“. Das könne man wahrscheinlich auch auf die Wahl übertragen.

„Superwahltag“ von Verantwortlichen massiv unterschätzt

Bei der Pannen-Abstimmung im September 2021 wählten die Berliner neben dem Abgeordnetenhaus und den Bezirksparlamenten – sprich der Volksvertretung auf Bezirksebene – auch den Bundestag. Zudem fand ein Volksentscheid über die Enteignung großer Wohnungsbaugesellschaften statt. Dieser „Superwahltag“ wurde von den Verantwortlichen massiv unterschätzt und schlecht vorbereitet. Dazu gab es in den Wahllokalen noch Corona-Bestimmungen, durch die Stadt verlief der Berlin-Marathon und so war das Chaos letztlich perfekt.

Weigold, der auch Vorsitzender des Vereins Baden-Württemberger in Berlin ist, fühlt sich trotz der teils chaotischen Zustände in der Hauptstadt wohl. Einzig die Verbundenheit und Verlässlichkeit aus dem Ländle vermisse er. „Dass man einen Handschlag macht und weiß: ich kann mich drauf verlassen.“ Das sei in Berlin nicht immer der Fall, weil alles anonymer und größer sei.

Bei der Chaos-Wahl 2021 stimmte er per Briefwahl ab. „Zum Glück“, sagt er rückblickend. Denn am Wahltag sei vor seinem Wahllokal noch eine 150 Meter lange Schlange gewesen – und das um 18.50 Uhr. Wählen hätte er da wahrscheinlich gar nicht mehr gekonnt, glaubt er.

Am späten Nachmittag stehen noch viele vor Wahllokal

Ähnlich sah es damals auch bei Achim Ruppel aus. Der Gründer von „Schwaben in Berlin“ – einer Kultur-Initiative, die schwäbische Theaterstücke aufführt oder schwäbische Kulturwochen organisiert – konnte gar nicht fassen, wie viele Menschen noch am späten Nachmittag vor seinem Wahllokal anstanden. Dass da etwas schieflaufe, sei leicht zu merken gewesen, sagt der 67-Jährige, der ursprünglich aus Albstadt kommt und seit 1979 in Berlin lebt. „Es ist unvorstellbar, dass es eine Stadt in Mitteleuropa schafft, eine Wahl so in den Sand zu setzen“, findet er. Er habe keine Erklärung für das Chaos damals, vielleicht seien die Verantwortlichen überfordert gewesen. Wenn etwas schiefgehe, habe das meist mit Menschen zu tun, sagt er. Denn wo die arbeiten, passieren Fehler.

Gisbert Kollenda musste im September 2021 nicht vor dem Wahllokal in der Schlange stehen. Der 65-jährige Architekt stimmte nämlich per Briefwahl ab. „Ich glaube alle Berliner waren überrascht, wie viel letztlich schiefgegangen ist“, sagt der gebürtiger Würzburger, der seit 1992 in der Hauptstadt lebt. Er kam mit fünf Jahren nach Tübingen, wuchs dort auf und „wurde in Schwaben sozialisiert“, wie er sagt. Heute würde er sich allerdings als Wahlberliner bezeichnen. Komme er ins Ländle sei das wie Urlaub, sagt er. „Tübingen kommt mir dann immer vor wie Disneyland, ein paar Alibipunks auf der Neckarbrücke und so weiter. Sonst ist es einfach schön, sauber, aufgeräumt und es funktioniert alles.“

Marathon macht es nicht einfacher

Dann hätte es ein Chaos wie das 2021 in Berlin im Ländle also nicht gegeben? „Vermutlich nicht“, antwortet Kollenda. Allerdings glaubt er auch, dass im Ländle alles dezentraler organisiert sei, womit sich die Chance verringert, dass etwas schiefgehe. „Außerdem findet nicht gleichzeitig noch ein Marathon statt“, fügt er hinzu.

Der war damals zwar nicht das Hauptproblem, machte die Sache aber auch nicht wirklich einfacher. So pilgerten viele Berliner nämlich erst gegen Nachmittag zu den Wahllokalen. Vor diesen hatten sich aber bereits lange Schlangen gebildet – zum Beispiel, weil es in einigen Wahllokalen zu wenigen Wahlkabinen gab. Und: weil die Berliner am Superwahltag insgesamt sechs Kreuze auf fünf verschiedenen Stimmzetteln machen mussten. Dafür brauchten sie – verständlicherweise – länger als vorgesehen. Am Ende standen viele bis weit nach 18 Uhr vor den Wahllokalen an, einige konnten gar nicht wählen. Und auch neue Wahlzettel zu beschaffen war schwierig, da die Innenstadt wegen des Marathons weiträumig gesperrt war.

Organisation chaotischer als in der Heimat

„Man hätte das einfach besser vorbereiten müssen“, sagt Saskia Koch, die am Wahltag per Briefwahl abstimmte. Man habe ja gewusst, dass der Marathon stattfinde. Die 29-jährige Physiotherapeutin kommt ursprünglich aus Ludwigsburg, im Ländle hat sie die meiste Zeit in Mühlacker bei Pforzheim verbracht. Das sei gerade noch so Schwaben, erzählt sie. Die Grenze zu Baden verlaufe einen Ort weiter. Seit 2013 lebt sie in der Hauptstadt, liebt ihre – wie sie sagt – „links-grün versiffte Bubble“ und die Möglichkeiten, die Berlin bietet. Zurück ins Ländle will sie nicht, obwohl das Thema Verwaltung in der Hauptstadt nervenaufreibend sein könne und alles chaotischer und unorganisierter ablaufe als in ihrer Heimat.

Den Eindruck kann die 24-jährige Viola Schoch bestätigen. „In Stuttgart ist vieles etwas mehr auf Zack“, findet sie. Deswegen wundere sie sich auch nicht über die gravierenden Wahlpannen 2021 in Berlin. Die Physiotherapeutin kam zwar erst rund einen Monat nach der Chaos-Abstimmung aus Stuttgart in die Hauptstadt. Allerdings haben ihre Schwestern, die in Berlin leben, ihr damals von der Wahl erzählt, sagt die gebürtige Backnangerin.

Schwaben blicken hoffnungsvoll auf Wahl

Schoch – heute Wahlberlinerin, im Herzen aber immer Schwäbin, wie sie sagt – blickt trotz der Pannen der vergangenen Abstimmung optimistisch auf den 12. Februar und freut sich, dass sie das erste Mal in Berlin wählen darf: „Ich glaube an das Gute und hoffe, dass man aus den Fehlern gelernt hat.“

Ähnlich optimistisch und hoffnungsvoll sind auch die anderen Schwaben in der Hauptstadt. Markus Weigold will dann am Wahlsonntag auf jeden Fall selbst vor Ort sein – und nicht wie 2021 per Briefwahl abstimmen. „Ich will das Erlebnis dieses Mal live mitbekommen – und zwar genau in dem Wahllokal, wo das letzte Mal vieles schiefgelaufen ist“, sagt er. Weigold ist sich sicher: „Wir Berliner schaffen das jetzt auch noch!“