Die Suche nach dem Zweijährigen gestaltet sich schwierig. Foto: Europa Press

Spanien bangt bereits seit einer Woche um den kleinen Julen. Der Zweijährige wird in einem tiefen Schacht vermutet, Helfer erleben immer wieder Rückschläge. Kann der Kleine überhaupt noch am Leben sein? Nicht ausgeschlossen, meinen Experten.

Madrid - Ein neuer Rückschlag hat die Bergung eines verschollenen Kleinkindes aus einem tiefen Schacht in Spanien am Wochenende verzögert. Bei der Bohrung eines Bergungstunnels stießen die Helfer auf einen großen Felsbrocken. Bis zum späten Sonntagabend habe man daher nur 45 von insgesamt 60 Metern geschafft, teilte der Sprecher der Helfer, Ángel García Vidal, in Totalán nahe der südlichen Küstenstadt Málaga mit. Mit den Eltern des zweijährigen Julen, die 2017 einen dreijährigen Sohn wegen eines Herzversagens verloren, leidet ganz Spanien. Die Zeitung „El Mundo“ titelte: „Eine höllische Woche“.

Am Samstag hatte man noch gehofft, den Zugang, der senkrecht zum Schacht verläuft, beim Ausbleiben neuer größerer Probleme bis zum Sonntagmorgen fertigstellen zu können. Alles deutete am Sonntag aber darauf hin, dass man Julen auf keinen Fall vor Montagabend wird finden können. Denn nach Fertigstellung des Tunnels müssen Minenarbeiter noch eine horizontale, vier Meter lange Verbindung zu dem Schacht herstellen, in dem das Kind vermutet wird. Dafür wird man amtlichen Angaben zufolge mindestens 20 Stunden benötigen.

Vom Zweijährigen gibt es seit dem 13. Januar kein Lebenszeichen

Die erfahrenen Bergleute sollen in einem eigens gebauten Metallkorb heruntergelassen werden und in dem nur einen guten Meter breiten Tunnel lediglich mit Spitzhacken und Presslufthämmern arbeiten. Wegen der Sicherheit des Kindes und auch der Helfer müsse man mit äußerster Vorsicht vorgehen, hatte der Sprecher der Einsatzkräfte Ángel García Vidal am Samstag vor Journalisten erklärt.

Vom Kleinen gibt es seit dem 13. Januar kein Lebenszeichen. Mit jeder Minute werden deshalb die Hoffnungen auf einen glücklichen Ausgang geringer. Experten versicherten noch immer, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Kind noch am Leben sei. Julen soll bei einem Ausflug seiner Familie in das Loch gefallen sein, das einen Durchmesser von nur 25 bis 30 Zentimetern hat. Bei Kamera-Aufnahmen wurde im Schacht in einer Tiefe von gut 70 Metern eine Tüte mit Süßigkeiten entdeckt, die Julen bei sich hatte. Lose Erde verhinderte, mit der Kamera tiefer vorzudringen.

Dass sich die Suche und das Zittern immer weiter in die Länge ziehen, hat bisher in Spanien praktisch nur unter Laien Kritik ausgelöst. „Was haben die da die ganze Zeit gemacht?“, fragte zum Beispiel der Rentner Juanma in einer Madrider Kneipe in die Runde, die das Drama am Fernseher verfolgte. Auch Julens Vater José („Viele Unterstützungstweets, aber wenige Mittel“) und Totaláns Bürgermeister Miguel Escaño („Es wird zu wenig gemacht und viel improvisiert“) hatten in der Anfangsphase geschimpft.

Die Liste der Probleme ist lang

Aber alle Experten weisen jede Kritik zurück. Einen solchen Notfall habe es weltweit noch nie gegeben, versicherten der Feuerwehrchef der Region um Málaga, Julián Moreno, und der Delegierte der Madrider Zentralregierung in Andalusien, Alfonso Rodríguez Gómez de Celis. Der Sprecher des Verbandes der Minen- und Wegebau-Ingenieure in Málaga, Juan López-Escobar, schlug in die gleiche Kerbe und betonte: „In den USA hat man zum Beispiel 70 Stunden gebraucht, um ein Kind zu bergen, das nur in sieben Meter Tiefe festsaß.“

In Totalán hat man es mit einer ganz anderen Kategorie zu tun: Der Schacht, der nach Medienberichten auf der Suche nach Wasser in der von Dürre geplagten Region nahe der Finca eines Verwandten von Julen gebohrt wurde, ist 107 Meter tief. Das entspricht ungefähr der Höhe eines 30-stöckigen Gebäudes. Die Retter halten es aber für denkbar, das Kind in einer Tiefe von 70 bis 80 Metern finden zu können. Da die Helfer bei der Aufstellung einer Plattform zur Stabilisierung der Hauptbohrmaschine schon rund 20 Meter tief vorgedrungen sind, musste man noch weitere 60 Meter tief bohren.

Die Liste der Probleme, auf die die Einsatzkräfte stießen, ist lang. Der Unglücksort am Hügel Cerro de la Corona ist mit größeren Fahrzeugen und schweren Maschinen aufgrund der steilen, rutschigen, kurvenreichen und engen Wege nur äußerst schwer zugänglich. Bei der Einebnung des Geländes musste man 35 000 Kubikmeter Erde und Steine abtragen. Der Corona, ursprünglich 352 Meter hoch, sei inzwischen deutlich kleiner, schrieben Medien. Der zu bohrende Boden, von dem keine geologischen Untersuchungen vorlagen, ist zum Teil sehr hart, zum Teil aber auch instabil.

Dorfbewohner unterstützen Julens Eltern und die Helfer

Und dass man keinen Kontakt zum Verschollenen hat erschwert das Ganze zusätzlich. „Wir haben aber weiterhin die Hoffnung, Julen lebend bergen und zu den Eltern bringen zu können“, beteuerte Ingenieur García Vidal und erklärte für die rund 100 Helfer. „Julen ist inzwischen zum Sohn von uns allen geworden, wir wollen und werden ihn da rausholen.“ Dorfbewohner stellten Julens Eltern und den Helfern Essen und Unterkunft zur Verfügung. Bei einer Solidaritätsaktion hielten Kinder Plakate mit der Aufschrift „Julen, halt’ durch!“ hoch.

Eine Frage hörte man in Spanien unterdessen immer wieder: Kann ein Zweijähriger in einem tiefen Loch ohne Nahrung und Wasser und möglicherweise mit Verletzungen mehr als Woche lang überleben? Iván Carabaño hegt noch Hoffnung. „In einer Extremlage kämpft der menschliche Organismus in einer unvorstellbaren Art und Weise ums Überleben“, wurde der angesehene Madrider Kinderarzt am Sonntag von der Zeitung „El País“ zitiert. Das Kind werde instinktiv versuchen, „sich mit allem zu ernähren, was es findet“. Der Arzt betont aber auch: Bei einem Kind mit einem Körpergewicht von nur elf Kilogramm wie Julen sei das Risiko einer schnellen Unterzuckerung größer.