Mit dem Gedanken, dem Rotlichtmilieu den Rücken zu kehren, tragen sich die allermeisten Frauen. die von der Diakonie beraten werden. Foto: dpa/Markus Scholz

Die noch immer anhaltende Pandemie stürzt Menschen, die ihren Körper gegen Geld anbieten, in akute Existenznot. Der Kreisdiakonieverband Esslingen bietet ihnen Beratung und Unterstützung an.

Filder - Gewalt, Ausbeutung und Kriminalität sind in diesem Metier gang und gäbe. Mit dem Beschäftigungsverbot in der Prostitution, welches das Land aufgrund der Pandemie angeordnet hat, kommt für Menschen, die ihren Körper für Geld anbieten, eine akute Existenznot hinzu. „Die Corona-Krise hat die Situation von Prostituierten verschärft. Ihre Not ist besonders groß geworden“, sagt Maria Neuscheler, die Leiterin der Diakonischen Bezirksstelle Nürtingen. „Die Frauen zahlen in den Bordellen und Laufhäusern zwar Steuern, oder glauben das zumindest, haben aber dennoch keinen Zugang zum Sozialsystem“, erklärt sie. „Sie sind also nicht sozialversichert, haben meist keine Krankenversicherung. Sie bekommen nichts von niemanden.“

Der Kreisdiakonieverband Esslingen bietet seit Januar eine Beratung für Prostituierte an. „Weil wir das als unsere Aufgabe ansehen“, sagt Neuscheler, die das Angebot koordiniert. Und die Not dieser Frauen von der Gesellschaft nicht gesehen werde. Das Projekt nennt sich Rahab. Die Beratung ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Zwei Mitarbeiterinnen fahren regelmäßig zu den Prostituierten. Um die Ansteckungsgefahr klein zu halten, finden die Gespräche vorwiegend im Freien statt, „bei einem gemeinsamen Spaziergang oder auch in einem Café“, erklärt Neuscheler. Die Frauen können die Mitarbeiterinnen auch via Handy erreichen, der Aufbau einer Online-Beratung ist geplant.

Die Meisten denken über einen Ausstieg nach

Die Beraterinnen halten Kontakt zu bisher 15 Frauen, für die sie teils auch Corona-Sofort-Hilfen beantragt haben. Sie begleiten die Prostituierten zum Arzt, zur Polizei, zum Gericht und anderen Behörden. Sie helfen Anträge zu stellen und beantworten Fragen zur beruflichen Neuorientierung.

Die meisten Beratenen tragen sich laut der Bezirksstellenleiterin zumindest mit dem Gedanken, aus dem Beruf auszusteigen. Den konkreten Wunsch dazu formulierten etwa die Hälfte. Die Frauen werden über die Strafbarkeit von Zuhälterei und den Schutz vor Krankheiten aufgeklärt. Es wird über Gewalterfahrungen, Suizidgedanken, ungewollte Schwangerschaften gesprochen.

Das Team mit Sitz in Nürtingen würde sich auch eine feste Anlaufstelle auf den Fildern wünschen. „Die Fildern sind ein Hotspot der Prostitution“, sagt Neuscheler. „Dort gibt es besonders viel Prostitution.“ Doch dann bräuchte das Berater-Team zusätzliches Personal.

Während die Stadt Stuttgart die Verordnung des Landes sogar noch verschärft hat – dort ist nun jegliche Form der Prostitution verboten, ist Leinfelden-Echterdingen diesen Weg nicht gegangen. Denn aufgrund der Sperrbezirksverordnung ist das Geschäft mit dem Sex so oder so nur in den Gewerbegebieten von Echterdingen und Stetten erlaubt, dort, wo die örtlichen Bordelle liegen, wie Gerd Maier, Leiter des Ordnungsamtes, sagt. Nichtsdestotrotz wird auch in L.-E. nun versucht, private Wohnungen für Sexdienste anzumieten.

Angst davor kriminalisiert zu werden

„Die Frauen sind den macht- und gewaltgeprägten Strukturen und ihren Zuhältern nun noch mehr ausgeliefert“, sagt Neuscheler dazu. Man könne also nicht sagen, dass sich die Prostitution aufgrund der Corona-Krise schlichtweg in private Räume verlagert habe. Das Verbot der gewerblichen Prostitution mache den Frauen vielmehr Angst, nun auch noch kriminalisiert zu werden.

Zum großen Problem der Existenzsicherung kommt das große Thema Wohnungssuche. „Die Frauen haben in den Bordellen und Laufhäusern meist selbstständig gearbeitet und in diesen Räumen oft auch gelebt“, sagt sie. Manch eine müsse nun weiterhin 150 Euro pro Nacht Miete bezahlen, hat aber keine oder fast keine Einnahmen mehr. So wächst der Schuldenberg beständig.

Das Beratungsangebot der Kreisdiakonieverbandes ist also gerade jetzt besonders wichtig. Das Projekt sollte es eigentlich schon viel früher geben. Doch zunächst hatte es mit der Finanzierung nicht ganz so geklappt, wie geplant. Denn Projekte wie dieses werden von Hilfsorganisationen getragen. Auf einen ersten Antrag beim Deutschen Hilfswerk der Deutschen Fernsehlotterie im Jahr 2015 wurde zunächst nur eine halbe Stelle bewilligt. „Die Beraterinnen müssen aus unserer Sicht aber zu zweit sein“, sagt dazu Maria Neuscheler. Ein zweiter Antrag wurde gestellt. Auch jetzt ist das Angebot nur teilfinanziert und auf drei Jahre befristet.

Vergangenen Mittwoch hat das Rahab-Team seine Arbeit in Leinfelden-Echterdingen vorgestellt. Bürgermeister jener Städte und Gemeinden des Landkreises, in denen es Bordelle gibt, waren eingeladen, genauso wie Vertreter der Polizei und des Gesundheitsamtes. Ziel ist es ein Hilfe-Netzwerk für den Landkreis Esslingen aufbauen. „Wünschenswert wäre es, wenn den Frauen tatsächlich geholfen würde und sie nicht in eine Illegalität gedrängt würden“, sagt die Projektleiterin.