Mehr Fotovoltaikanlagen, auch auf allen städtischen Schulen, ist ein Ziel beim Klimaschutz. Foto: Lichtgut/Leif-Hendrik Piechowski

Elf Stunden hat die Dritte Lesung des Stuttgarter Doppelhaushalts 2020/2021 gedauert. Dann stimmte eine Mehrheit des Gemeinderats gerne zu – und die CDU, die AfD sowie die halbe Fraktion der Freien Wähler lehnten die Planung enttäuscht ab.

Stuttgart - 39 der 59 anwesenden Stadträte und Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) haben am Freitagabend nach elfstündigen Beratungen den Stadthaushalt für die beiden nächsten Jahre verabschiedet. Im Kern waren das eine öko-soziale und liberale Haushaltskoalition und dazu noch zwei Stadträte der Freien Wähler. Aus dem Linksbündnis enthielten sich Thomas Adler (Die Linke), Stefan Urbat (Piraten) und Matthias Gottfried (Tierschutzpartei). Das ablehnende Lager wurde aber von der CDU angeführt. Die Urteile über die finanzielle Grundlage der nächsten zwei Jahre waren völlig gegensätzlich.

Die OB-Position

Fritz Kuhn hatte schon beim Auftakt am Morgen angekündigt, er werde dem sich abzeichnenden Stadthaushalt 2020/2021 voller Überzeugung zustimmen. Es sei ein „Haushalt der Investitionen am Rande dessen, was momentan finanzierbar ist“. Azyklisches Investieren an der Schwelle zu möglicherweise weniger prosperierenden Jahren sei aber sinnvoll, wenn man gut dastehe. Man werde die Stadt damit widerstandsfähiger machen gegen Krisen, werde vier Jahre lang jeweils 25 Millionen Euro zusätzlich in die Grundsanierung der betagten Infrastruktur der Stuttgarter Straßenbahnen AG als dem „Herzstück der künftigen Mobilität“ stecken. Man werde auch sehr viel für Förderung des Fahrradverkehrs ausgeben. Ausdrücklich dankte Kuhn dem Gemeinderat für die „aktive Mitgestaltung“ des vor Monaten von ihm selbst vorgeschlagenen Aktionsprogramms, wonach binnen vier Jahren 200 Millionen Euro für zusätzlichen Klimaschutz ausgegeben werden sollen. Dass man nun auf Initiative der SPD 75 Millionen Euro mehr ins Energiesparprogramm nimmt, um Mietpreissteigerungen durch die energetischen Sanierungen vorzubeugen, sei auch wichtig. Auch Zusatzaufwand für den Ankauf von Baugrundstücken hob der OB hervor. Den Hinweis auf die Anhebung der Personalkostenförderung für Kindertagesstätten von freien Trägern – von 92,5 auf 95 Prozent von 2021 an – verband Kuhn mit einer Grenzziehung. Manche im Rat hätten sogar 100 Prozent befürwortet. Er halte aber nichts von Gleichmacherei des Angebots in diesem Bereich. Eine gewisse Eigenbeteiligung freier Träger für ihre spezifischen Angebote sei wichtig. Das neue Zahlenwerk sei zudem „ein Personalhaushalt pur“, nachdem der Rat noch mal 192,5 Stellen mehr wolle als die Verwaltung vorschlug, womit netto fast 850 Stellen hinzukommen. Kuhn ist aber besorgt, wie sich das umsetzen lässt. „Viel hilft nicht immer viel“, sagte er. Erstmals in so offensiver Form räumte der grüne OB ein, ihm persönlich seien manche Verwaltungsvorgänge auch „zu langsam“. Seine Sorge sei in Kenntnis dieser Planung nun, dass man mit den Folgekosten und Projekten, die man sich für die Zeit nach 2021 vornimmt, mittelfristig über die Kante des Vertretbaren geraten könnte.

Was der Finanzbürgermeister sagt

Thomas Fuhrmann (CDU) kündigte an, die Verwaltung werde Vorschläge machen, massiver Verschuldung vorzubeugen. Denn im Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung bis Ende 2024 zeichne sich ein Kreditbedarf der momentan schuldenfreien Landeshauptstadt von fast einer halben Milliarde Euro ab.

Besondere Streitpunkte

Da ragte in der Debatte neben dem Zielbeschluss zur Einführung einer Bettensteuer für private Hotelgäste die Frage hervor, ob man 2020 den Grundsteuer-Hebesatz von 520 auf 420 Punkte vom Hundert senkt. Dazu kommt es nun nicht, weil die Grünen eine frühere Absprache mit der CDU aufkündigten. Die ist empört. 2015 hätten die Grünen mitgemacht, trotz Kreditermächtigungen von 290 Millionen Euro. Jetzt sei die Stadt quasi schuldenfrei, dennoch revidierten sich die Grünen, klagte Fraktionschef Alexander Kotz. Martin Körner (SPD) verteidigte den Verzicht auf die Senkung mit grundsätzlichen Überlegungen: Man wolle nicht großen Grundbesitzern wie Daimler und Bosch jährliche Entlastungen von etwa fünf Millionen Euro bescheren und auch Einwohner mit größtem Flächenverbrauch übermäßig entlasten. Wer eine 80-Quadratmeter-Wohnung habe, würde nur 40 Euro im Jahr sparen, sagte Körner. Da setze die SPD lieber darauf, Familien mit wenig oder mit mittlerem Einkommen bei den Kitagebühren zu entlasten – um jeweils 600 Euro pro Jahr. Denn vom 1. August 2020 an bezahlen beispielsweise Familien mit Familiencard für das erste und zweite Kind unter drei Jahren jeweils 50 Euro weniger.

Schwerpunkte des Haushaltes

Bereits im Entwurf der Verwaltung und in den 67 Stunden währenden Vorberatungen seit Mitte November hatten sich viele wichtige Positionen herauskristallisiert. Die Förderung des Fahrradverkehrs wird um zwei Millionen Euro pro Jahr aufgestockt. Die Erweiterung des Theaterhauses (knapp 40 Millionen Euro) ist eines der größten Kulturprojekte, die schon beschlossen sind. Das Platzangebot in Kitas der Stadt und der freien Träger wird erweitert: um 535 zusätzliche Plätze für bis zu dreijährige Kinder. Für drei- bis sechsjährige Kinder entstehen rund 880 neue Ganztagesplätze. Dafür sind im Doppelhaushalt 39,6 Millionen Euro vorgesehen. Für die Erhaltung der Straßen stehen dem Tiefbauamt jetzt mehr Mittel zur Verfügung: im Jahr 17 Millionen Euro. Knapp neun Millionen Euro gibt es für die Erneuerung der Technik der Integrierten Verkehrsleitzentrale. Dem Wohnungsbauer SWSG werden städtische Grundstücke künftig kostenfrei überlassen.

Die wichtigsten Zahlen

Der komplette Haushalt für 2020 und 2021 hat ein Volumen von 8,1 Milliarden Euro. Davon entfallen 4,1 Milliarden auf das erste Jahr, rund 4,0 Milliarden auf das zweite Jahr. Stand heute könnte die Stadt 2021 gezwungen sein, 2,2 Millionen Euro durch Kreditaufnahmen zu finanzieren. Für das Jahr 2020 haben sich Verwaltung und Gemeinderat nun Investitionen in Höhe von rund 750 Millionen Euro vorgenommen, im folgenden Jahr beläuft sich die Summe auf 612 Millionen Euro. Am Jahresende 2019 sind aber noch annähernd 800 Millionen Euro an früheren beschlossenen Investitionsmitteln vorhanden. Das ist ein Investitionsstau, der mit der Überlastung der Bauwirtschaft und Personalmangel im Rathaus erklärt wird.