Walter Van Beirendonck, einer der sechs großen Antwerpener Designer, sieht für die Herrenmode im Frühjahr und Sommer 2012 Rosarot. Foto: Thibault Camus/AP

In Antwerpen finden Fans von ausgefallener Kleidung jede Menge Designer und deren Läden.

Bei Sasha stehen Strickpumps im Fenster. Wie man das ausgefallene Schuhwerk tragen soll? Einerlei, toll und verwegen sehen die geringelten Pumps aus, und darauf kommt es in Antwerpen an. Ein paar Meter weiter propagiert ein Laden namens NaughtyI auf T-Shirts „Atomkraft Nein Danke“ – die Mutter aller grünen Parolen wird salopp über das goldene John Player’s Special-Logo gedruckt. Und umgekehrt.

Mode aus Antwerpen verdreht die Perspektive und hat damit Erfolg. Die isländische Sängerin Björk trägt Kleider des hier kreierenden Designers Bernhard Wilhelm, U2-Frontmann Bono Anzüge des Kollegen Dirk Schönberger. Und Veronique Banquinho entwarf Regenmäntel für die Documenta 11. Von Mailand bis Paris, von London bis New York schielen Fashion-Victims nach Antwerpen, wo die Karten im belgischen Städtequartett neu gemischt wurden. Brüssel bleibt La Capitale und europäischer Kontrollturm, Antwerpen behauptet sich als La Métropole und hipper Schmelztiegel.
Am Anfang standen die sogenannten Antwerp Six: Sechs Absolventen der Königlichen Akademie der Schönen Künste, Fachbereich Modedesign, die Ende der 80er Jahre schlagartig berühmt wurden. Das „Time Magazine“ berichtete in einer Reportage über die jungen Wilden. Was der amerikanische Journalist bei Ann Demeulemeester oder Walter Van Beirendonck gesehen hatte, ließ die Street-Gangs der Bronx brav aussehen: Abendkleider, inspiriert am Fundus von SM-Clubs. Anzüge, die mit Fetischobjekten aus dem Kongo spielten. „Look on the Wild Side“ war die Reportage überschrieben, aus der bis in die letzte Zeile zu lesen war: Dieser Kollege kehrte fassungslos nach New York zurück.

„Antwerpen lebt mit seiner Mode“, sagt Linda Loppa. Die ehemalige Direktorin des Fachbereichs Modedesign an der Antwerpener Hochschule leitet heute das Polimodo Fashion Institute in Florenz, hat ihre Wohnung in Antwerpen jedoch behalten. Loppa förderte maßgeblich die Antwerp Six. Auf ihre Initiative hin eröffnete 2002 das Modemuseum (MoMu). Die Gründe für die hohe Akzeptanz textiler Experimente liegen für Loppa zum einen in der Geschichte: „Antwerpen ist eine alte Handels- und Tuchmacherstadt. Hier weiß man, dass mit schönen Gewändern Gewinn zu machen ist.“
Auf der anderen Seite steht das in den letzten 25 Jahren aus bodenlosem Niedergang geborene Swinging Antwerp. Als die Antwerp Six anfingen, war die Stadt bis in ihr Herz baufällig. Die frühen Modeschauen der Antwerp Six im Niemandsland der verwaisten Kais führten dazu, dass die Stadt sich der Schelde, ihrer ureigensten Lebensader erinnerte. Mit Beginn der 90er Jahre trat das Projektbüro Stad aan de Stroom auf den Plan, um Stadt und Schelde wieder aneinanderzufügen. Heute ist das Schelde-Ufer Antwerpens Visitenkarte mit futuristischen Neubauten, Bars und Promenade. Krönender Abschluss der städtebaulichen Wiedergeburt ist seit Mai 2011 das Museum aan de Stroom (MAS), in dem Antwerpens Handels- und Kunstgeschichte gezeigt wird. Wie ein aus Containern aufgestapelter Turm überragt der futuristische Bau die nördlichen Hafenbecken. Von der Dachterrasse fällt der Blick auf den von Luc Tuymans gestalteten Vorplatz. Erst aus der Vogelperspektive ist das Motiv erkennbar, mit dem ihn Belgiens bekanntester lebender Künstler aus 40000 Granitsteinen zusammengesetzt hat. Es ist ein grinsender Totenschädel, dessen Vorlage von Quinten Metsys (1466–1529) stammt. Von der Dachterrasse des Museums schweift der Blick ebenfalls zu den Ateliers von Dries van Noten. Der international tonangebende Modedesigner entwirft seine Kollektionen in einem umgebauten Speicher. Sein Flagship-Store an der Nationalestraat namens Het Modepaleis ist so etwas wie das Tor zum Fashion-District. Wer den Laden betritt, darf sich entspannt umschauen. Selbst bei den ganz großen Namen der Antwerpener Mode gibt es kein elitäres Getue. Darin sind belgische Modemacher ganz Kind eines kleines Landes, das in seiner Bescheidenheit wahrhafte Größe zeigt.

In Steinwurfnähe zu Dries van Notens Modepaleis überragt ein Eckdom die Nationalestraat: Der Belle-Epoque-Koloss ist Sitz des Modemuseums. In den Museumssälen sind Antwerpens stilbildende Designer vertreten. Im Untergeschoss bietet ein Kunstbuchladen neben einer Auswahl von Modebüchern die „Antwerp Fashion Map“ an. Das Taschenbüchlein schlägt vier Modespaziergänge vor. An Walter Van Beirendoncks Flagship-Store führt dabei kein Weg vorbei: Die wechselnden Ausstellungen und der mit Alpenhütte, Förderband und einem riesigen Teddybären gestaltete Raum in der St. Antoniusstraat lässt eher an eine Kunstgalerie als an einen Laden denken.

Etwas im Abseits des Fashion-Districts und dennoch in bester Nachbarschaft liegt der Flagship-Store von Ann Demeulemeester. Der Weg zum gründerzeitlichen Eckbau an der Verlaatstraat führt vor das Museum für Schöne Künste. Auf dem gusseisernen Bankrondell am Haupteingang lässt ein qietschvergnügtes Völkchen in Rippenunterhemd, Trainingsanzug und Blümchenkleid es sich gutgehen. Bierflaschen stehen am Boden, und ein Pudel macht Männchen für die Wurst. Man setzt sich dazu, schwatzt ein bisschen über Gott und die Welt, um aus dem Augenwinkel schon einmal die Auslagen bei Anne Demeulemeester zu begutachten. So herzerfrischend bunt kann ein Modespaziergang nur sein, wenn Alltag, Kunst und Mode zu einem strapazierfähigen Stoff verwoben sind.
Antwerpens Gewebe bleibt dabei durchlässig für Experimente. Die Kammenstraat 36–38 ist ein architektonischer Albtraum in Beton, angefüllt mit Design aus den Möbelhauskatalogen der 1970er Jahre, mithin sehr hip. Was auch für die Streetwear in den Regalen gilt. Hunderte von Händen wühlen scheinbar ziellos in Hosen und Kleidern. Das Fish & Chips, so der Name des Ladens, ist das Paradies, wenn man das Akneproblem gerade gelöst und das Leben noch vor sich hat. Man kann sich freilich auch, ganz egal in welchem Alter, in ein orangefarbenes Cordsofa sinken lassen, Kaffee aus dem Automaten ziehen und der aus den Boxen wummernden Musik zuhören. Es ist so einfach in Antwerpen, für einen Augenblick wieder richtig jung zu sein.

Antwerpen

Anreise
Antwerpen ist mit dem Zug gut zu erreichen. Bei Verbindungen aus dem Süden muss man eventuell in Köln und Brüssel umsteigen ( www.bahn.de).

Unterkunft
Matelote ist ein minimalistisch gestyltes Designhotel in zwei 500 Jahre alten, miteinander verbundenen Herrenhäusern und liegt mitten in der Altstadt. Frühstück gibt es im benachbarten Szene-Gourmet-Restaurant Gin-Fish (DZ ab 140 Euro, Haarstraat 11a, www.matelote.be). Zentral und gediegen: Hotel Rubens (DZ ab 145 Euro, Oude Beurs 29, www.hotelrubensantwerp.be).

Modespaziergänge
Die „Antwerp Fashion Map“ (auch auf Deutsch, 1,50 Euro) stellt vier Modespaziergänge vor. Man bekommt das Heft im Modemuseum, Nationalestraat 28, Di.–So., 10–18 Uhr, www.momu.be.

Ausgefallene Läden
Dries van Noten: Het Modepaleis punktet allein schon durch seine gelungenen Fensterdekorationen. Nationalestraat 16, www.driesvannoten.be.

Walter Van Beirendonck: Die Theke des Australiers Marc Newson schwingt wie ein Ufo im Raum, der den Charme einer Tiefgarage versprüht. St. Antoniusstraat 12, www.waltervanbeirendonck.com.

Ann Demeulemeester: Androgyne, schmale Schnitte sind das Aushängezeichen der Designerin– Sängerin Patti Smith ist Stammkundin. Verlatstraat 38, www.anndemeulemeester.be.

Fish & Chips: Die Streetwear-Hochburg der Stadt. Nur nicht von den vielen Totenschädel auf überweiten Jeans, Kappen, schrägen Shirts irritieren lassen! Kammenstraat 36–38.

Sasha: „Not for basics“ lautet die Philosophie für den Laden, der die ungewöhnlichsten Schuhe der Stadt anbietet. Kammenstraat 42, www.sasha.nl.

Naughty I: Schrille Secondhand-Mode aus den Sechzigern und Siebzigern sowie aktuelle junge Labels. Kammenstraat 65.

Besichtigung
Der spektakuläre Neubau des Museums an de Stroom (MAS) zeigt die Geschichte der Hafenstadt Antwerpen. Allein der Blick von den oberen Etagen über Stadt und Schelde lohnt den Besuch (November–März, Di.–So., 10–17 Uhr, Hanzestedenplaats 1, www.mas.be). Auf dem Dach betreibt Sternekoch Viki Geunes das stylische Restaurant ’t Zilte.

Essen und Trinken
Flamant Dining ist eine coole Bar mit Restaurant im Flagship-Store der flämischen Interior-Design-Kette. Serviert wird französische Küche (12–23 Uhr, Lange Gasthuisstraat 12, www.flamant.com).
Antwerpens Fashion-People haben zudem ein Eckcafé aus den 1940ern entdeckt. Bei In de Roscam gibt es günstig Quiche, Salate und Suppen. Freitags verwandelt sich der Platz vor der Terrasse ab 9 Uhr in einen Flohmarkt (Di–Do u. So 10–20 Uhr, Fr 9–20 Uhr, Vrijdag Markt 12). Theo & Camper ist ein hippes Bistro, das zur Boutique des Schuh-Trendsetters gehört (Tgl. 10–18 Uhr, Nationalstraat 33).

Ausgehen
Das zum Club Café d’Anvers umgebaute Kino ist „the place to dance“ in Antwerpen. DJs in Residence, hippes Publikum. Fr., Sa. ab 23 Uhr, Verversrui 15, www.cafe-d-anvers.com.

Allgemeine Informationen
Tourismus Flandern-Brüssel, Cäcilienstr. 46, 50667 Köln, Telefon 0221/2709770, www.flandern.com. Vor Ort: Toerisme Antwerpen, Grote Markt 13, www.antwerpen.be. Hier gibt es die Antwerp City Card. Sie kostet 31 Euro, ist 48 Stunden gültig und verschafft freien Eintritt zu allerlei Attraktionen der Stadt.