Politische Wutrede als Kabarett-Einlage: Hans-Joachim Heist als Gernot Hassknecht. Foto: dpa

Die Politik lässt immer öfter die angemessene Sprache vermissen. Das sollte Anlass sein, darüber nachzudenken, welche Tonart wir wählen, findet Autor Jan Sellner.

Stuttgart - Mit zwei Äußerungen hat der sonst selten beachtete baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk in den vergangenen Tagen Furore gemacht. In einem verqueren Brief an die Stadt Ellwangen knüpfte er die Vergabe der Landesgartenschau 2026 mal eben an den Fortbestand der dortigen Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge. Noch größere Aufmerksamkeit erzielte Hauk mit einer Äußerung zum Asylstreit: „Dass der CSU-Vorsitzende einen Sparren weg hat, scheint auch klar zu sein.“

Die Tatsache, dass der Ausdruck „einen Sparren weghaben“ in dieser Form gar nicht existiert, weil man einen (Dach-)Sparren im allgemeinen Sprachgebrauch höchstens „locker hat“, bedeutet keine mildernden Umstände. Denn gemeint hat Hauk ja dasselbe, nämlich: Horst Seehofer ist verrückt! Was den CDU-Landesminister veranlasst hat, ausfällig zu werden, ist offen – möglicherweise war es ein Revanchefoul dafür, dass der CSU-Chef den glücklosen Hauk einmal öffentlich als „Loser“ tituliert hatte. Das Echo, das Hauk mit seinem „Sparren“ auslöste, war jedenfalls gewaltig.

„Typen“ wie Strauß oder Wehner wurde Vieles nachgesehen

Was soll man davon halten? Ein anderer, ehemaliger CSU-Vorsitzender, der legendäre Franz Josef Strauß (1915–1988), hätte Hauks Poltern vermutlich als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung betrachtet. Von Strauß sind seitenweise Sprüche überliefert, die ungetrübt sind von jeder politischen Korrektheit – ein damals in Deutschland noch unbekannter Begriff.

Strauß selbst bezeichnete sich als „führendes Mitglied des Vereins für deutliche Aussprache“. Er bevorzugte die verbale Attacke: „Ich bin nicht dafür bekannt, dass ich Kreide fresse, um eine angenehmere Stimme oder eine angenehmere Diktion vorzutäuschen, sondern ich bin dafür bekannt, dass ich sage, was ich denke, und dass ich auch denke, was ich sage.“ Und das konnte ausgesprochen derb sein. „Achte auf deine Gedanken, denn sie werden Worte“, beginnt ein berühmter Satz im jüdischen Talmud. Strauß war sich da treu.

Und nicht nur er. In dem ebenso legendären SPD-Fraktionschef Herbert Wehner (1906–1990) hatte er einen Bruder im Geiste. So scheute Wehner sich nicht, einen politischen Kontrahenten als „geistiges Eintopfgericht“ öffentlich in die Pfanne zu hauen. Den „Typen“ Strauß und Wehner wurde das nachgesehen – ihre Unflätigkeiten von damals haben heute anekdotischen Charakter.

Eine neue Direktheit und eine neue Frechheit

Neben das Grobschlächtige trat glücklicherweise das Geschliffene, besonders auf präsidialer Ebene. Richard von Weizsäcker einst oder Frank-Walter Steinmeier heute setzten Maßstäbe – unterbrochen von wiederkehrendem Wahlkampfgeschrei. Durch das Auftreten und Reden der AfD, teils auch der Linken und der CSU-Rechten, ist die politische Auseinandersetzung zuletzt jedoch deutlich ins Rüpelhafte abgeglitten. Keine Partei ist frei davon. Man denke nur an Andrea Nahles, inzwischen SPD-Vorsitzende, und ihren unmöglichen Gruß in Richtung Union nach der letzten Bundestagswahl: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ Eine neue Direktheit ist festzustellen, auch eine neue Frechheit, die sich außer in Beleidigungen in einer Vergiftung der Sprache äußert: „Asyltourismus“ ist dafür ein Beispiel. Manche Politiker meinen, sie zeigten Charakter, wenn sie à la Strauß ungeniert sagen, was sie denken – allerdings ist das, was sie denken, mitunter zum Fürchten.

Früher war’s hart, aber herzlich, heute ist es hart und schmerzlich. Der US-Einfluss spielt mit hinein. Seit dem Auftreten Donald Trumps ist eine Verrohung der Sprache festzustellen. Die Auswirkungen zeigen sich überall. Mini-Trumps trumpfen auf und geben vor, für den Mann auf der Straße zu sprechen. Hauks „Sparren“ ist noch harmlos, aber ein geeigneter Anlass, darüber nachzudenken, welche Tonart wir wählen.

jan.sellner@stzn.de