Im Viereck ahnte Charlotte Dujardin nichts von der Verletzung der zehnjährigen Stute Mount St. John Freestyle Foto: Getty

Die deutsche Dressur-Equipe freut sich über Mannschafts-Gold bei der EM, bei den Briten jedoch herrscht größte Bestürzung: Die Stute von Doppel-Olympiasiegerin Charlotte Dujardin blutet nach dem Wettkampf, das Paar wird disqualifiziert.

Rotterdam - Binnen weniger Minuten spitzt sich die Lage dramatisch zu. Zunächst tritt Isabell Werth vor Kameras und Mikrofone, sie sagt mit einer kuscheligen Zufriedenheit: „Ich bin stolz auf mein Pferd, Bella Rose hat heute mit 85,6 Prozentpunkten ihr bisher bestes Resultat in einem Grand Prix erhalten. Wir konnten als Team wieder EM-Gold holen, weil unsere vier Pferde mehr als 80 Prozentpunkte bringen können.“ Der 24. EM-Titel für eine deutsche Dressurequipe sei, „trotzdem nur eine Momentaufnahme“, denn im Grand Prix Spezial sowie in der Kür am Samstag gehe es „für uns alle wieder bei null los“. Und in Charlotte Dujardin, der Olympiasiegerin von London und Rio, sei „immer zu rechnen“.

Während sie das sagt, schaut die erfolgreichste Dressurreiterin mit einem Auge auf einen riesigen Monitor, der zeigt, wie die Britin Charlotte Dujardin gerade ihre Aufgabe reitet, ihre zehnjährige Stute Mount St. John Freestyle präsentiert. Für ihren Ritt bekommt sie nach einem leichten Fehler schließlich 81,9 Prozent, was Platz zwei bedeutet – nein, bedeuten würde: Kurz darauf wird die 34-Jährige disqualifiziert. Es herrscht ungläubiges Staunen, es geistern irritierte Blicke umher, es greift eine schreckliche Beklemmung um sich, ehe der Weltverband informiert: „Bei der obligaten Kontrolle durch die Stewarts nach dem Ritt wurde an der linken Flanke ihres Pferdes Blut festgestellt. Die Kontrolleure unterstellen der Reiterin keine Absicht, ihr Pferd verletzen zu wollen – die strengen Regeln sind jedoch dazu da, das Wohlbefinden der Pferde schützen.“

Dujardin hatte offenbar zu scharfe Sporen getragen

Charlotte Dujardin hat ihre Stute offensichtlich mit dem Sporen eine etwa drei Zentimeter lange Wunde zugefügt, die blutete. Sie hatte wohl zu scharfe Sporen umgeschnallt. Nach der vor Jahren vom Weltverband eingeführten „Blut-Regel“ führt dies unwiderruflich zur Disqualifikation. Die häufigste Art, mit dieser strikten Regel in Konflikt zu geraten, sind Wunden an den Flanken der Pferde durch die Sporen oder, wenn Pferde sich auf die Zunge beißen und es im Maul blutet. Um selbst kleinste Verletzungen zweifelsfrei zu erkennen, tragen die Kontrolleure des Weltverbandes stets weiße Handschuhe.

Immer wieder einmal kommt es zu Konflikten mit den Reitern, die sich ungerecht behandelt fühlen, wenn es sich um geringste Blutspuren handelt. Das Tragen von Sporen ist übrigens Pflicht. Proteste gegen den Ausschluss vom Wettkampf sind möglich, aber aussichtslos, weil die Null-Toleranz-Grenze gilt – Charlotte Dujardin und der britische Reiterverband akzeptieren den Ausschluss. Gegenüber britischen Medien sagte sie: „Ich bin am Boden zerstört.“ Ihr Team fiel aus den Medaillenrängen auf Platz vier zurück, die EM ist für Dujardin beendet.

Mit dem Aus für Charlotte Dujardin hat die Dressur-EM 2019 in Rotterdam einiges von ihrer beachtlichen Spannung verloren, denn die sympathische Engländerin zählt seit ihrem Olympiasieg von London 2012 zum kleinen Kreis der Konkurrentinnen, die Isabell Werth immer wieder herausfordern. Nun ist ihr Image angekratzt. Zuletzt in Aachen sagte Dujardin selbstbewusst: „Mein Ziel ist es, 2020 in Tokio mein drittes Einzelgold zu gewinnen. Ich werde immer wieder versuchen, Isabell zu schlagen.“

Isabell Werth strebt weitere EM-Medaillen an

Für Isabell Werth geht diese EM trotzdem nicht ohne Widersacher weiter: Wenn an diesem Freitag der Grand Prix Spezial ansteht und es um den EM-Einzeltitel in der klassischen Tour geht, werden sie zwei aus ihrem eigenen Team erneut unter Druck setzen: Dorothee Schneider mit ihrem 13-jährigen Hannoveraner Showtime und Sönke Rothenberger mit seinem 12-jährigen Niederländer Cosmo. Schneider, jüngst mit dem Ehrentitel „Reitmeisterin“ ausgezeichnet, sagt über ihren zweiten Platz vom Grand Prix: „Ich bin glücklich und emotional, wenn ich sehe, wie mein Pferd nach langer Verletzungspause auf dieses Weltniveau zurückgekehrt ist.“

Sönke Rothenberger wiederum, dessen Stall in Bad Homburg im Februar einem Brand zum Opfer fiel und der sein Pferd damals nur mit viel Glück aus den Flammen retten konnte, möchte trotz aller Emotionen, die er nicht los wird, im Spezial wieder eine Medaille gewinnen. Kurzum, Isabell Werth hat im Laufe dieser Woche die Chance, ihre EM-Medaillen Nummer 23 und 24 zu gewinnen. Aber geschenkt bekommt sie sie nicht.