Johannes Bauernfeind, Chef der AOK Baden-Württemberg, hält die Berliner Pläne zur Umverteilung von Beitragsgeldern in Milliardenhöhe für zutiefst ungerecht. Foto: AOK//THOMAS KIENZLE

Die Krankenkassen stehen vor einem riesigen Finanzloch. Um die Lücke zu füllen, will Berlin tief in die Reserven wohlhabender Krankenkassen greifen. Eine Kasse im Südwesten trifft dies besonders.

Stuttgart - Die Berliner Pläne zum Auffüllen der Finanzlöcher bei den Krankenkassen werden den Südwesten nach Berechnungen der AOK Baden-Württemberg voraussichtlich mehr als eine Milliarde Euro kosten. Ein Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den das Bundeskabinett am Mittwoch gebilligt hat, sieht unter anderem vor, dass Kassen mit hohen Finanzreserven einen Großteil davon an den Gesundheitsfonds zahlen müssen. Das trifft vor allem die AOK Baden-Württemberg, die Beitragseinnahmen in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro wieder abliefern muss.

Bundesweit soll die Abführung von Finanzreserven acht Milliarden Euro einbringen und damit die Finanzlücke von 16 Milliarden Euro zur Hälfte ausgleichen. Die andere Hälfte soll über einen Bundeszuschuss von fünf Milliarden und über eine Erhöhung des Zusatzbeitrags der Kassen um durchschnittlich 0,2 Prozent eingespielt werden.

Lucha: Bund zahlt viel zu wenig

Das Gesetzespaket stieß in der Landesregierung und bei der AOK Baden-Württemberg auf scharfe Kritik. Der Bundeszuschuss sei viel zu niedrig, erklärte Sozialminister Manne Lucha (Grüne) unserer Zeitung. Damit würden die Spielräume der Krankenkassen, für eine gute Versorgung Sorge zu tragen, viel zu stark eingeschränkt.

Scharfe Kritik kommt auch von der Südwest-AOK. Mit den Berliner Beschlüssen stehe nun „derjenige als der Dumme da, der sich zu Qualität und Stabilität, zu gutem und erfolgreichem Wirtschaften bekennt“, erklärte Vorstandschef Johannes Bauernfeind. Man verbrenne „großzügig die Rücklagen derer, die über Jahre hinweg ein effektives Gesundheitssystem unterstützt hätten – solide wirtschaftende Krankenkassen und ihre Beitragszahler“. Bauernfeind kritisiert auch, dass die Maßnahmen mit der Corona-Krise begründet würden, obwohl mehr als zwei Drittel der Lücke auf das Konto von Gesetzen aus der Zeit vor Corona gingen.

Nicht die einzige Belastung

Zur Belastung des Südwestens tragen, wie unsere Zeitung berichtet hat, auch Pläne bei, den Finanzausgleich zwischen den Kassen zu verändern. Weil es im Südwesten vergleichsweise viele Einrichtungen für sterbende Menschen gibt, sterben vergleichsweise wenig Menschen in teuren Krankenhäusern. Dies verschafft den Krankenkassen im Land einen Kostenvorteil, der nun abgeschöpft werden soll. Das wird den Südwesten rund 450 Millionen Euro pro Jahr kosten.