Ein Hinterhof wird zum grandiosen Aussichtspunkt: Die Architekten von g2o haben ein Wohn- und Geschäftshaus in der Olgastraße aufgestockt und mit einer metallischen Haut überzogen. Klicken Sie sich durch unserer Bildergalerie. Foto: © Brigida González, Stuttgart/Brigida González

Alte Häuser aufstocken und freie Flächen nutzen: Architekten haben zusammen mit der Stadt Stuttgart insgesamt 33 Projekte als beispielhaft ausgezeichnet. Wir stellen die Bauprojekte vor.

Stuttgart - Das neueste Zauberwort in der anhaltenden Debatte um den urbanen Wohnungsmangel heißt „Weiterentwicklung“. Offenbar weckt der Begriff weniger Platzängste als die sprachlich präzisere Rede von der Nachverdichtung. Unabhängig von der Rhetorik aber überrascht es nicht, dass beim Auszeichnungsverfahren „Beispielhaftes Bauen Stuttgart 2015-1019“ gleich mehrere exemplarische Projekte prämiert wurden, die verbliebene Freiflächen nutzen oder ältere Häuser aufstocken. Am Freitag haben die Veranstalter des Wettbewerbs, die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) und die Landeshauptstadt Stuttgart, die dreiunddreißig ausgezeichneten Objekte vorgestellt. „Das Bauen im Bestand wird immer wichtiger“, lautete auch das Fazit, das der Sprecher der Stuttgarter Kammergruppen der AKBW, Thomas Herrmann, aus den insgesamt 130 eingereichten Beiträgen zog.

Geldpreise winken den Gekürten nicht, wohl aber edle Bronzeplaketten. Eine davon geht an das Quartier Darmstädter Straße 1-7 / Wetzlarer Straße 14 in Cannstatt, das die Architekten Keck und Lorch erfolgreich weiterentwickelt haben. „Die geschickte Anordnung der Ergänzungsbauten schafft sorgfältig gestaltete Freiräume mit hoher Aufenthaltsqualität“, heißt es in der Begründung der sechsköpfigen Jury, zu der auch die Kulturredakteurin unserer Zeitung, Ulla Hanselmann, gehörte. Ebenfalls mit dem Prädikat „Beispielhaft gebaut“ darf sich eine ehemalige Hinterhof-Schlosserei im Lehen-Viertel schmücken. Das Büro InteriorPark verwandelte die verfallsbedrohte Werkstatt in ein industrieromantisch angehauchtes Wohnatelier. Ein weiterer Nachverdichtungsversuch gelang den Planern von der g2o GmbH mit ihrer Sanierung und Aufstockung eines Wohn- und Geschäftshauses in der Olgastraße. Der Bau aus den 1940er Jahren besticht vor allem durch seine markant geknickte Dachkonstruktion. Eine Synthese aus Alt und Neu, von der auch die Preisrichter überzeugt waren.

Generationenübergreifendes Konzept

Doch nicht nur formalästhetisch markante Lösungen sind im Augenblick gefragt – auch C02-Neutralität gehört zum Gebot der Stunde. Vorbildlich in dieser Hinsicht, weil schadstoffarm und komplett recycelbar, ist nach Ansicht der Expertenkommission das ökologische Mehrfamilienhaus auf dem Gelände des ehemaligen Olgahospitals. Explizit lobten die Juroren nicht nur die Leistung des ausführenden Büros Architekturagentur, sondern hoben auch den Auftraggeber, die Baugemeinschaft Max Acht hervor. Sie wünschten sich, dass deren generationenübergreifendes Konzept „in dem bei Baugemeinschaften unterbelichteten Stuttgart“ Schule mache. Denn, so ergänzte die AKBW-Sprecherin Carmen Mundorff: „Baugemeinschaften leben vor, dass es beim Bauen um ein ‚Wir‘ geht.“

Das Auszeichnungsverfahren existiert seit über dreißig Jahren. Von Anfang an verstand es sich auch als öffentliches Plädoyer zur Verbesserung der Baukultur. „Man baut nie für sich allein, man gestaltet immer Stadtraum mit“, sagte Mundorff. Im Unterschied zu vielen anderen Architekturwettbewerben beziehe das „Beispielhafte Bauen“ deswegen auch die jeweiligen Bauherren in die Würdigung mit ein. Wie den TSV Heumaden, der sich bei seinem Sport-Infrastrukturgebäude gegen einen seelenlosen Zweckbau entschied. FRA Fischer Rüdenauer Architekten beglückten den Verein mit zwei langgestreckten Holzgebäuden. Was auf anderen Fußballplätzen im schroffen Stil einer Fertigbaugarage daherkommt, strahlt hier dank Pergola und luftiger Holzlamellen fast schon südliche Leichtigkeit aus.

Zeichen gegen Flächenversiegelung

Besonders angetan schien der Jury-Sprecher Philipp Seidel indes von dem durch Schmelzle und Partner errichteten Verwaltungsneubau der Firma Vector Informatik in Stuttgart-Weilimdorf. In dem offenen Gebäudekonzept drücke sich eine soziale Unternehmenskultur aus. Dabei bezog Seidel auch die großzügig bemessenen Grünanlagen mit ein, die ein Zeichen gegen die Flächenversiegelung setzten: „Sie glauben, Sie stehen im Park!“

Guter Dinge war nicht zuletzt Stuttgarts Baubürgermeister Peter Pätzold. Schließlich hoben die Juroren auch einige Projekte der Landeshauptstadt aufs Podest: Unter anderen die Metamorphose des Wilhelmspalais zum Stadtmuseum (durchgeführt vom Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei) und die vom Atelier Brückner verantwortete Rundumerneuerung der Wagenhallen. Letztere seien ein besonders gelungener Modellfall für Sanierungsmaßnahmen, war der ehemalige Lok-Schuppen doch beinah schon so gut wie „weggeplant“, also für die Abrissbirne vorgesehen.

Ausdrücklich verteidigte Stuttgarts oberster Häuslebauer das Ausschreibungs- und Wettbewerbsprinzip in der Architektur. „Das kostet zwar Zeit, aber nur so kriegen Sie etwas Anständiges hin.“ Und gut Gemachtes habe auch Einfluss auf andere. Qualität ist eben ansteckend.