Jogi Löw ist siegessicher Foto: dpa

Die WM-Euphorie in Deutschland stockt. Mit dem Viertelfinale gegen Frankreich soll sich das ändern. Gut vorbereitet und siegessicher geht Joachim Löw den Weltmeisterschafsklassiker an. Der „tiefenentspannte“ Bundestrainer lässt die Lahm-Position offen.

Die WM-Euphorie in Deutschland stockt. Mit dem Viertelfinale gegen Frankreich soll sich das ändern. Gut vorbereitet und siegessicher geht Joachim Löw den Weltmeisterschafsklassiker an. Der „tiefenentspannte“ Bundestrainer lässt die Lahm-Position offen.

Rio de Janeiro - Finalchance oder raus! Die knallharte Konstellation für einen äußerlich gelassenen Joachim Löw und seine hungrigen WM-Spieler ist fast die einzige Gewissheit vor dem Viertelfinal-Hit Deutschland kontra Frankreich. „Rein oder raus. Das ist immer so ab dem Achtelfinale. Das weiß man“, erklärte Löw am Donnerstag im Finalstadion von Rio mit demonstrativer Zuversicht vor dem Weltmeisterschaftsklassiker gegen die „Grande Nation“ und übermittelte an die deutschen Fans: „Wir sind gut vorbereitet, wir sind siegessicher, wir brennen auf dieses Spiel.“

Für das DFB-Team ist das Duell der beiden großen Nachbarn am Freitag (18.00 Uhr/ARD) im Estádio do Maracanã das bedeutendste Spiel seit dem bitteren Aus im Europameisterschafts-Halbfinale vor zwei Jahren in Warschau gegen Italien. Ist die Partie für Löw „in einem Stadion mit unheimlich viel Mythos und Geschichte“ vielleicht sogar das wichtigste Match in seiner Trainerkarriere, weil ein Misserfolg auch in seinem vierten Turnier den Titeltraum beenden würde?

Seine Antwort war ein klares Nein. „Ich bin völlig tiefenentspannt, das können Sie mir abnehmen. Wir sind unter den letzten Acht und werden unter die letzten Vier kommen - und dann sehen wir weiter“, verkündete der Bundestrainer mit pastoraler Stimme. Mit möglichen Konstellationen für die Zeit nach Brasilien will sich der noch bis 2016 an den DFB gebundene Freiburger in der entscheidenden Turnierphase nicht beschäftigen.

Die Position von Lahm ist weiterhin offen

Die Marschroute für das deutsche Team ist klar, die vieldiskutierte Position von Kapitän Philipp Lahm ließ Löw dagegen offen. „Es gibt nie Entscheidungen, die für ewig zementiert sind“, erklärte der Bundestrainer zwar. Aber er sagte auch, die öffentlichen Forderungen, Lahm wieder in die Abwehr zu stellen, brächten ihn „persönlich nicht weiter“. Das klang eher nach einem weiter so mit Lahm im Spiel gegen die Franzosen, das auf den Tag genau 60 Jahre nach dem „Wunder von Bern“ und dem ersten deutschen WM-Titel ausgetragen wird.

„Keiner weiß genau, wie die Aufstellung aussehen wird. Das wird erst wieder am Spieltag der Fall sein“, sagte Startelfkandidat André Schürrle zur Lage der Fußball-Nation, die sich von Löws auserwählten Spielern gern positiv überraschen lassen würde. Frankreichs Trainer Didier Deschamps erwartet Lahm im Mittelfeld. Das Abschlusstraining konnten alle 22 noch verfügbaren Akteure absolvieren.

Löw ließ nur minimale Einblicke in das Innenleben der Mannschaft zu. „Den Matchplan habe ich schon im Kopf. Ich weiß, es kann viel passieren. Wir tauschen uns ständig aus, diskutieren alle Möglichkeiten“, sagte er im ARD-Hörfunk.

"Ein Spiel bei der WM ist kein Computerspiel"

Wie der Bundestrainer tickt und im Detail denkt, wissen oft nicht einmal mehr seine engsten Mitarbeiter. Bei langen, einsamen Strandläufen ordnete der 54-Jährige seine Gedanken und Ideen. „Hansi Flick und Andi Köpke sind meine Trainer, mit denen ich mich am Ende nochmals berate“, sagte der Chefcoach vor seinem 110. Spiel als Bundestrainer.

Sein WM-Konzept wurde von den Fans in der Heimat und auch intern in der Sportlichen Leitung des DFB-Teams kontrovers diskutiert - und wird weiter kritisch verfolgt. „Ein Spiel bei der WM ist kein Computerspiel, das so einfach zu berechnen ist“, mahnte Löw.

Der Münchner Toni Kroos kann die aufgeregten Debatten gerade um das Mittelfeld und Kapitän Lahm nur schwer nachvollziehen. „Wir haben die Spiele aus dem Mittelfeld dominiert und kontrolliert. Philipp kann die Position überragend spielen“, sagte der Bayern-Kollege, schob aber nach, „genauso wie rechts hinten“. Der Dritte Mann könnte wieder Bastian Schweinsteiger sein, der wie Sami Khedira „einsatzfähig und im Vollbesitz der Kräfte ist“, wie Löw berichtete. Der gegen Algerien pausierende Mats Hummels meldete sich auch wieder gesund und dürfte in die Innenverteidigung zurückkehren.

Die Klimawechsel setzen den deutschen Kickern zu

Einiges wird gegen Frankreich davon abhängen, ob die sieben zuletzt erkälteten Spieler vor der Partie im 73 531 Zuschauer fassenden Fußball-Tempel einen Substanzverlust erlitten haben. „Es hat sich nicht so ausgewirkt, dass es ein Gefühl der Müdigkeit gibt“, sagte Löw beruhigend und äußerte die Hoffnung, dass „alle stabil bleiben“. Vor allem die zahlreichen Klimawechsel - in Rio werden am Freitag zum Anstoß zur Mittagszeit über 30 Grad erwartet - haben den Kickern zugesetzt. „Das wirkt sich so aus, dass man sich mal müde fühlt und sich eine Erkältung holen kann“, bemerkte Teamarzt Tim Meyer.

Die Fans in der 9000 Kilometer entfernten Heimat sind skeptisch, die ganz große WM-Euphorie wie 2006 und 2010 gibt es noch nicht. „Wir haben insgesamt als Team noch nicht ganz alles gezeigt. Ich hoffe, dass wir das noch hinkommen während des Turniers“, bemerkte Kroos und verspricht einen „dominanten“ Auftritt gegen Frankreich. „Druck ist für uns nichts Neues. Die Erwartungshaltung ist groß - auch bei uns selbst.“

"Frankreich ist ein enorm starker Gegner"

Die Spieler müssten nach dem 120-Minuten-Kraftakt gegen Algerien erneut „an die Grenze gehen“, betonte Teammanager Oliver Bierhoff: „Wir sind einfach froh, dass wir diesen Stress noch haben.“ Auch Löw fordert die Mobilisierung aller Kräfte: „Es wird sicher entscheidend sein: Wie ist der Wille gerade Richtung Spielende, wie kann man sich nochmal überwinden, wie stark will man den Sieg?“, erklärte er. „Frankreich ist ein enorm starker Gegner mit vielen Topleuten.“

Doch die hat die DFB-Auswahl auch - und Torjäger Thomas Müller sieht das Team weiter als beim dritten WM-Platz 2010 in Südafrika. „Wir sind viel besser als damals. Es wäre lächerlich, etwas anderes zu behaupten“, unterstrich Müller. Den Beweis müssen er und die Mannschaft in Rio liefern.