Solche Autos erfassen demnächst alle Straßenzüge Stuttgarts. Zwischen 2008 und 2010 schickte Google ähnliche Autos auch durch Stuttgart. Seither ist in Street View das Stuttgart aus dieser Zeit erfasst. Einige Beispiele zeigt die Bilderstrecke. Foto: Cyclomedia

Bald fahren wieder Kameraautos durch die Stadt – diesmal jedoch nicht im Auftrag von Google. Vielmehr lässt die Stadtverwaltung das gesamte Stuttgarter Straßennetz digital und mit Rundumblick erfassen. Ob es diesmal wieder Proteste gibt?

Stuttgart - Dieser Tage fahren Autos mit Kamera auf dem Dach durch sämtliche Stuttgarter Straßen. Sie erstellen im Auftrag der Stadtverwaltung ein lückenloses 360-Grad-Abbild Stuttgarts. Bis Juli sollen die Bilder, Straßenpanoramen genannt, zentimetergenau vorliegen.

Der Begriff klingt harmlos – das Prinzip ist jedoch dasselbe wie bei dem einst hoch umstrittenen Dienst Street View: Im Frühjahr 2010 ließ Google ebenfalls Autos mit Kamera auf dem Dach durch deutsche Städte fahren. Die dabei erstellten Bilder wurden später ins Internet gestellt. Die Aufregung war groß: Lokalpolitiker schrieben Protestbriefe, Kornwestheim untersagte Aufnahmen städtischer Liegenschaften, die Stuttgarter Grünen sorgten sich um den Datenschutz. Hinzu kamen Tausende Bürger, die Google aufforderten, ihr Gebäude in Street View unkenntlich zu machen.

Will die Stuttgarter Stadtverwaltung sich alledem jetzt selbst aussetzen?

Drei Unterschiede sprechen dafür, dass der Protest geringer ausfällt. Erstens lässt diesmal die Stadtverwaltung fahren und nicht ein als Datenkrake verschrieener US-Konzern. Zweitens sollen die Bilder nur verwaltungsintern genutzt werden. Drittens dürften sich einige vor sieben Jahren sehr besorgte Bürger mittlerweile daran gewöhnt haben, dass man digital durch Straßenzüge spazieren kann.

Google wird Street View in Deutschland nicht aktualisieren

Markus Müller leitet im Rathaus die Abteilung Geoinformation und Kartografie, er hat das Projekt angestoßen. „Street View hat gezeigt, was möglich ist. Aber wir können diese Bilder nicht für uns nutzen, zumal sie völlig veraltet sind“, sagt er. Google hat damals seine Lektion gelernt und die deutschen Street-View-Bilder seit 2010 nicht aktualisiert – die Bearbeitung der vielen Widersprüche war schlicht zu aufwendig. Google habe nicht vor, neue Bilder zu erstellen, sagt ein Unternehmenssprecher. Deshalb ist in Street View das Stuttgart der Jahre 2008 bis 2010 konserviert.

Die Verwaltung braucht jedoch aktuelle Bilder – die sie für die Genehmigung für Veranstaltungen und Außengastronomie, die Kontrolle von Straßenschildern, die Anfahrtsplanung der Feuerwehr, Vermessungen sowie für Baugenehmigungen und Beweissicherung nutzen will. Auch an Visualisierungen für Architektenwettbewerbe oder Bürgerbeteiligung ist zu denken.

„Der Nutzen ist riesig“, sagt Markus Müller, das zeigten die Erfahrungen anderer deutscher Großstädte. So soll die Zahl der Außentermine reduziert und einfache Messungen vom Schreibtisch aus möglich sein. Die Straßenpanoramen ergänzten die seit Jahren angefertigten Luftbilder, so Müller. Stuttgart ist dann zumindest äußerlich lückenlos digital erfasst.

Befahrung künftig alle zwei Jahre

Die Kosten von 150 000 Euro für die erste Befahrung zahlen neun städtische Einrichtungen aus eigener Tasche; für die alle zwei Jahre geplanten Folgebefahrungen hat die Verwaltung beim Gemeinderat entsprechende Mittel beantragt.

Für die erste Befahrung, hat Cyclomedia den Zuschlag bekommen. Die niederländische Firma wird das 1600 Kilometer umfassende Stuttgarter Straßennetz zwei Wochen lang befahren, dazu etwa 100 Kilometer weitere Wege, etwa Fußgängerzonen. Die Dateien ruft die Verwaltung beim Dienstleister ab – der sich auch um das Thema Datenschutz kümmert.Cyclomedia muss sicherstellen, dass wie in Street View Gesichter und Autokennzeichen unkenntlich gemacht werden. Wie einst bei Google können Immobilienbesitzer zudem einfordern, dass ihre Immobilie unkenntlich gemacht wird, sollten die Bilder im Internet veröffentlicht werden. Diesen Widerspruch müssen sie an Cyclomedia richten.

Ein echtes Problem sieht Markus Müller in den Aufnahmen nicht: „Ein Mitarbeiter der Verwaltung könnte ja auch selbst an den jeweiligen Ort gehen“, sagt der Abteilungsleiter. Die Kameras seien so auf dem Autodach montiert, dass die Verwaltungsmitarbeiter anders als bei Street View nicht in Vorgärten hineinschauen können. Mancher Hausbesitzer, ergänzt ein Google-Sprecher, habe es sich mittlerweile ohnehin anders überlegt. Es gebe etliche Anträge, Fassaden wieder zu entpixeln – weil Street View ja ganz praktisch sein kann, wenn man etwa ein Haus verkaufen will.