Abgase aus dem Auspuff eines älteren Dieselfahrzeugs: die Rußpartikel schädigen die Lunge Foto: dpa-Zentralbild

Keiner stirbt an Feinstaub – aber Feinstaub erhöht das Risiko, an Lungenkrebs und Herz-Lungen-Erkrankungen zu sterben. Ein Experte des Umweltbundesamts erklärt, wie gerechnet wird – und was möglicherweise auf Städte wie Stuttgart noch zukommt.

Stuttgart - 41 000 Feinstaubtote pro Jahr in Deutschland – gibt es die wirklich? Oder sind das nur Dramatisierungen der Umwelt- und Gesundheitsbürokratie? In Deutschland führt das Umweltbundesamt solche Berechnungen durch. Experte Dietrich Plaß von der dort zuständigen Abteilung verteidigt im Gespräch mit unserer Zeitung die Zahlen – und erläutert die Vorgehensweise.

Die Lunge leidet

Zur Kritik eines Stuttgarter Lungenarztes, der die Aufregung um Feinstaub für übertrieben hält, sagt Plaß: Natürlich liege kein Mensch in der Klinik mit der Krankheit Feinstaub, sagt Plaß. Es sei ja auch keiner wegen Rauchens oder fettigen Essens da. „Die Leute sind im Krankenhaus aufgrund der Erkrankungen, die daraus resultieren“, so der Gesundheitswissenschaftler. Bei Feinstaub sind das Herz-Lungen-Erkrankungen und Lungenkrebs.

Genügend Belege

Der Risikofaktor Feinstaub ist laut Plaß inzwischen gut erforscht. Vorgegangen wird so: Die Wissenschaftler schauen sich unter anderem an, wie viele Sterbefälle es wegen einer bestimmten Krankheit gibt. Dann werden Gebiete mit niedriger und hoher Feinstaubbelastung verglichen. Auf die Art wird der prozentuale Anteil der vorzeitigen Sterbefälle berechnet, der auf Feinstaub zurückzuführen ist. Bei Lungenkrebs waren dies zuletzt 16,8 Prozent, bei Herz-Lungen-Krankheiten 11,5. Vorzeitig heißt: Die Menschen sterben vor dem Erreichen ihrer statistischen Lebenserwartung. Unterm Strich bleiben diese Zahlen allerdings Schätzungen. „Man kann nicht anders vorgehen“, sagt Plaß – und erinnert daran, dass es auch ziemlich lange gedauert habe, bis das Rauchen als Risikofaktor für Lungenkrebs anerkannt wurde.

Problem Stickoxide

Auch Stickoxide machen krank – wenn auch nicht in dem Ausmaß wie Feinstaub. Deshalb gibt es für sie auch EU-Grenzwerte, die in vielen deutschen Städten nicht eingehalten werden – auch nicht in Stuttgart. Laut Plaß berechnet das Umweltbundesamt gerade, wie viele vorzeitige Sterbefälle es wegen Stickoxiden in Deutschland pro Jahr gibt. Das Ergebnis soll in den nächsten Monaten vorgelegt werden. Die Europäische Umweltagentur geht von 10 400 Stickoxid-Toten pro Jahr in Deutschland aus. Für London kommt eine Studie auf 2600 vorzeitige Sterbefälle jährlich. Da es zu Stickoxiden noch nicht so viele Studien wie zu Feinstaub gibt, sind diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen.

Killer in der Luft

Feinstaub ist laut Plaß nach allem, was man bislang weiß, der gesundheitsschädlichste Schadstoff in der Luft. Unter allen Risikofaktoren für die menschliche Gesundheit steht Feinstaub in Deutschland laut einer globalen Studie, die in Seattle gemacht wurde, auf Platz sieben. Angeführt wird die Liste laut Plaß von Bluthochdruck, gefolgt von Rauchen, Cholesterin und Diabetes sowie Übergewicht. Auf Platz sechs folgt eine eingeschränkte Nierenfunktion.

Keine Frage der Menge

Feinstaub ist auch in geringen Mengen gesundheitsschädlich. „Es gibt eigentlich keinen Schwellenwert“, sagt Plaß. Jeder Grenzwert, der festgelegt wird, ist demnach ein Kompromiss. So schlägt zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation (WHO) strengere Grenzwerte vor, als sie die Europäische Union bislang erlassen hat. Bei der Festlegung der Grenzwerte würden auch andere Interessen eine Rolle spielen, sagt Plaß. „Da ist die Gesundheit nicht die stärkste treibende Kraft.“ Was die Feinstaubgrenzwerte angeht, hat in Deutschland vor allem Stuttgart am Neckartor ein Problem. Aber in anderen EU-Staaten, zum Beispiel in Polen, sind die Werte zum Teil noch deutlich höher. Die Grenzwerte dienen als Druckmittel, um dies zu ändern.

Weitere Verschärfung?

Laut Plaß überarbeitet die WHO gerade ihre Vorgaben für die Luftqualität, die sogenannten Air Quality Guidelines. Die Vorgaben stammen nämlich aus dem Jahr 2005, sind also schon relativ alt. Obwohl die Vorgaben in weiten Teilen der Welt noch immer nicht eingehalten werden, ist es wahrscheinlich, dass die WHO sie zumindest in Teilen weiter verschärft. Plaß rechnet damit, dass die Arbeit in etwa zwei Jahren abgeschlossen ist. Sollten die Vorgaben für Feinstaub tatsächlich verschärft werden, würde laut Plaß der Druck auf die EU wachsen, ihre Grenzwerte ebenfalls abzusenken.