Gesetze bündeln und Patienten in Auseinandersetzungen mit Ärzten und Kliniken den Rücken stärken: Dies soll das neue Patientenrechtegesetz leisten. Kritiker glauben, dass Behandlungsfehler weiter vertuscht werden können, und fordern Nachbesserung. Foto: dapd

Patienten, die Behandlungsfehler nachweisen wollen, müssen kämpfen – das neue Patientenrechtegesetz wird ihnen dabei kaum helfen.

Berlin - Bei einem Reitunfall vor 15 Jahren verletzte sich Regina Sieg (Name geändert) am Daumen. Sie kam sofort in ein Kompetenzzentrum für Handchirurgie, doch zu spät: Der Daumen war nicht zu retten. „Im Nachhinein habe ich erfahren, dass es eine hundertprozentige Heilungschance für meinen Daumen gegeben hätte“, sagt Regina Sieg. Ihrer Meinung nach wurde sie damals falsch behandelt. Seitdem kämpft sie darum, dass der Verlust ihres Daumens als Behandlungsfehler anerkannt und sie entschädigt wird. Es ist ein zeitintensiver und sehr belastender Kampf gegen Ärzte und Gutachter. „Ich habe jeden einzelnen Tag damit zu tun“, sagt Regina Sieg.

Geht es nach der Politik, sollten Patienten wie Regina Sieg Hilfe bekommen – und zwar mit dem neuen Patientenrechtegesetz, das Anfang 2013 in Kraft treten soll. Justiz- und Gesundheitsministerium wollen mit der Vorlage die geltenden Vorschriften bündeln und vervollständigen, die bisher in einer Vielzahl von Einzelregelungen verteilt waren. Der Entwurf beinhaltet außerdem, dass Ärzte ihre Patienten umfassend über Risiken und Chancen ihrer Behandlung aufklären. Damit will die Bundesregierung die Rechte der Patienten gegenüber Ärzten und Krankenkassen stärken.

Trotz Patientenrechtegesetz muss Betroffener beweisen, dass ihm ein Behandlungsfehler passiert ist

Doch für Regina Sieg und andere Kritiker geht der Gesetzesentwurf nicht weit genug: Der Verbraucherzentrale-Bundesverband kritisiert, dass das Gesetz deutlich hinter den Forderungen zurückbleibt, denn es werden keinerlei neue Rechte für Patienten etabliert. Nach wie vor müssen sie auch mit dem Patientenrechtegesetz beweisen, dass ihnen ein Behandlungsfehler passiert ist, um ihre Ansprüche geltend machen zu können.

Und genau dies war für Regina Sieg bisher nahezu unmöglich: Ihre Behandlungsunterlagen bekam sie erst nach jahrelangem Kampf vor Gericht ausgehändigt – allerdings unvollständig und fehlerhaft, wie sie sagt. Vor Gericht gab der Richter schließlich ein Gutachten in Auftrag. Mit dem Ergebnis, dass bei Regina Sieg kein Behandlungsfehler festgestellt werden konnte.

Diese Gutachten seien in ihrer Qualität jedoch fragwürdig, sagt Rechtsanwalt Roland Bisping, der Patienten vertritt, die wegen Behandlungsfehlern gegen ihre Ärzte und Zahnärzte vorgehen. Die Gutachten werden laut Bisping oft von fachfremden Ärzten ausgestellt und enthalten ungenaue Angaben. Er rät daher dazu, Privatgutachten erstellen zu lassen. Auch Regina Sieg ließ ein Gutachten erstellen, das zu einem anderen Ergebnis kam als das erste. Doch der Richter habe sich ausschließlich auf das Gerichtsgutachten verlassen.

Bundesgesundheitsministerium sorgt sich vor einer Klagewelle

Noch ist im Bundestag über das Gesetz nicht abgestimmt worden. Und schon jetzt äußert die Opposition Bedenken: Gute Ansätze wären beim Patientenrechtegesetz auf halber Strecke stecken geblieben, sagt etwa die grüne Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink. Ihrer Meinung nach wäre das Gesetz für die Patienten nur dann sinnvoll, wenn die Ärzte beweisen müssten, dass sie keinen Fehler gemacht haben und nicht andersherum.

Doch genau das möchte das Bundesgesundheitsministerium verhindern. Zu groß ist die Sorge vor einer Klagewelle, die dann auf die deutsche Ärzteschaft zurollen könnte. Man wolle keine amerikanischen Verhältnisse, sagt daher auch die Ministerialrätin Bettina Godschalk aus dem Bundesgesundheitsministerium.

Ihrer Meinung nach mache es keinen Sinn, eine Regelung zu schaffen, die komplett zulasten der Ärzte geht. Wer sich gegen Behandlungsfehler wehren will, muss auch die Behandlungsakten kennen. Daher sei es ein großer Fortschritt, dass Patienten nun ein Recht auf Akteneinsicht bekämen, so Godschalk.

„Ärzte geben keine Fehler zu, weil sie fürchten, dass ihre Haftpflichtversicherungen dann nicht mehr mitmachen“

Ob der Blick in die Patientenakten aber immer so aufschlussreich ist, wird sogar von Ärzten selbst bezweifelt. So glaubt Wolfgang Wodarg, selbst Arzt in Flensburg und Vorstandsmitglied bei der Antikorruptionsorganisation Transparency International, dass Ärzte durch das Patientenrechtegesetz in Zukunft daran gehindert werden, die Behandlungsakten zu manipulieren. „Ärzte geben keine Fehler zu, weil sie fürchten, dass ihre Haftpflichtversicherungen dann nicht mehr mitmachen.“

Um Patienten wirklich zu helfen, bräuchte es laut Rechtsanwalt Bisping eine fälschungssicherere und transparentere Dokumentation der Behandlung. Andere wie der Fachanwalt für Medizinrecht, Jörg Heynemann, halten die Einführung eines Härtefallfonds für sinnvoll, um Patienten mit schweren Schäden schnell und unbürokratisch zu helfen. Für Regina Sieg wäre das eine große Hilfe: Dann hätte ihr Kampf nach 15 Jahren vielleicht doch ein Ende.