Viele Ärzte empfehlen Frauen, den Beckenboden in jedem Alter zu trainieren, um die Gefahr einer Absenkung zu reduzieren. Foto: dpa-tmn/DAK/Hanuschke und Schneider

In Australien gibt es tausendfache Klagen gegen Hersteller von Vaginal-Netzen. Die betroffenen Frauen leiden unter chronischen Schmerzen. Deutsche Experten sagen, wie gefährlich diese Netze, die auch in Deutschland implantiert werden, wirklich sind.

Sydney/Alzey -  Das Produkt sollte Frauen mit Beckenbodenschwäche helfen. Viele jedoch klagen, es habe Schmerzen und Probleme nur schlimmer gemacht. Eine Frau fühlte sich, „als ob ich eine Rasierklinge in der Vagina hätte“. Wie sicher sind also die Netze, die auch in Deutschland tausendfach implantiert werden? Das sagen die Experten der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und der Deutschen Kontinenz Gesellschaft.

Wofür werden Vaginal-Netze gebraucht?

Vaginal-Netze werden bei Frauen eingesetzt, die unter einer weit fortgeschrittenen Beckenbodenschwäche leiden. Bis zu 50 Prozent aller Frauen sind im Laufe ihres Lebens von einer Beckenbodenschwäche betroffen, haben in Folge dessen Probleme mit ihrer Gebärmutter, ihrer Blase und ihrem Darm. Typische Symptome sind ein Druckgefühl im Unterbauch, Urinverlust oder Schmerzen beim Sex. Wenn die Schicht aus Bindegewebe und Muskeln die Organe nicht mehr richtig an Ort und Stelle hält, senken sich diese in Richtung ihrer Körperöffnungen ab. Bei manchen Frauen ist dies schon so weit fortgeschritten, dass die Organe sichtbar hervortreten. Nach Angaben der Deutschen Kontinenz Gesellschaft müssen sich elf Prozent dieser Patientinnen operieren lassen, davon droht jeder dritten Frau eine weitere Operation. „Die Leitlinien empfehlen, dass in der Regel versucht wird, mit Eigengewebe den Beckenboden zu stabilisieren“, sagt Christl Reisenauer. Sie ist die Leiterin des Beckenbodenzentrums der Frauenklinik am Uniklinikum Tübingen und obendrein zweite Vorsitzende der Deutschen Kontinenz Gesellschaft. Hilft das nicht, greifen Ärzte zu sogenannten Vaginal-Netzen: Das synthetische Gewebe wird in den Bauchraum eingesetzt, das die Organe an ihrem Platz hält.

Was sind die Nachteile der Netze?

In Australien klagten mehr als 1300 Frauen, weil ihnen fehlerhafte Vaginalimplantate verschiedener Hersteller eingesetzt wurden. Die Sammelklage richtete sich in erster Linie gegen den US-Pharmakonzern Johnson & Johnson wegen Gesundheitsstörungen infolge fehlerhafter Scheiden-Implantate. Sie gaben an, unter anderem an Gewebeschäden, Entzündungen und Inkontinenz zu leiden. Viele Betroffene sagten auch, keinen schmerzfreien Sex mehr haben zu können. Eine Frau sagte in dem Verfahren, die Schmerzen seien so heftig, „als ob ich eine Rasierklinge in der Vagina hätte“. Das oberste Bundesgericht gab am Donnerstag in Sydney den Frauen recht. Richterin Anna Katzmann sagte, bei der Entwicklung von sogenannten Vaginalnetzen (Vaginal Mesh) sei fahrlässig gehandelt worden. Der Konzern habe die Risiken gekannt. Auf Johnson & Johnson kommt nun eine hohe Geldstrafe zu. Deren Höhe soll im Februar festgelegt werden. Die fehlerhaften Netze hat der Hersteller schon 2017 vom Markt genommen – auch in Deutschland.

Werden solche Vaginal-Netze auch in Deutschland eingesetzt?

In Deutschland sind nach Angaben des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus in den Jahren 2017 und 2018 rund 24 000 Vaginal-Netze eingesetzt worden. Nicht bekannt ist, von welchen Herstellern diese im Einzelnen stammen. Das möchte die DGGG und auch die Deutsche Kontinenz Gesellschaft gerne geändert haben: Sie unterstützen die Entscheidung zur Errichtung eines Deutschen Implantatregisters, in dem nicht nur das Implantat und der Hersteller registriert werden soll, sondern auch, wo, wann und von wem das Implantat eingesetzt wurde.

Gibt es auch in Deutschland Klagen über fehlerhafte Netze?

Eine Sammelklage gibt es nicht. Aber auch in Deutschland gibt es Frauen, die nach einer solchen Operation Probleme mit dem Implantat haben. Aber oft stellte sich heraus: „Nicht die Netze sind gefährlich, sondern wir, die Operateure“, sagt Rainer Lange, niedergelassener Frauenarzt in Alzey und Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft für Urogynäkologie und plastische Beckenbodenrekonstruktion (AGUB) der DGGG. Lange selbst ist auch Gutachter – und hat gesehen, wann es wo zu Problemen gekommen ist. „Wenn es Komplikationen gab, war die mangelnde Expertise des Arztes der Grund.“ Wie viele solcher Fälle es in Deutschland gibt, ist allerdings unklar – eine Statistik gibt es nicht. Grundsätzlich rät die Frauenärztin Reisenauer Frauen, denen ein Vaginal-Netz eingesetzt wurde, nicht in Panik zu verfallen. „Sollten Probleme auftauchen, dann ist es wichtig, dass sich die Betroffenen an ihren Frauenarzt oder das nächstgelegene Beckenbodenzentrum wenden“, sagt die Expertin. „In den allermeisten Fällen kann dann eine gute Lösung für die Beschwerden gefunden werden.“

Sollten Vaginal-Netze verboten werden?

Ein Verbot der Vaginalnetze finden deutsche Experten schwierig. An sich sei das eine gute Methode, um schwere Beckenbodenabsenkungen zu therapieren. „Wichtig ist aber in meinen Augen, dass Patientinnen sich in zertifizierten Beckenbodenzentren behandeln lassen“, sagt Rainer Lange. Und auch Christl Reisenauer ist dieser Meinung: „Die Ärzte in Deutschland und Österreich sind im Operieren vom vaginalen Zugang aus sehr erfahren, was hilft, Risiken zu mindern.“ Grundsätzlich gilt: Wer sich für eine Operation entscheide, sollte sich zuvor gut informieren, heißt es seitens der DGGG. Als gutes Zeichen könne man werten, wenn ein Arzt mehrere Alternativen vorschlage und die Patientin in den Entscheidungsprozess mit einbinde.

Was können Frauen gegen eine Beckenbodenschwäche tun?

Viele Ärzte empfehlen Frauen, den Beckenboden in jedem Alter zu trainieren, um die Gefahr einer Absenkung zu reduzieren. Beim Auftreten erster Probleme sollte man sich schon Rat beim Frauenarzt holen. Denn medizinische Therapien schlagen in der Regel gut an: Sind die Beschwerden nur leicht, hilft ein Beckenbodentraining. Teils schlagen Ärzte auch eine Hormonbehandlung vor, die dafür sorgt, dass die Beckenbodenmuskulatur besser durchblutet wird. Bei ausgeprägten Problemen wird zu einer Pessar-Therapie geraten: Dabei werden Silikonwürfel in die Scheide eingesetzt, die Harnröhre, Gebärmutter und Blase stützen. Ähnlich wirken Elektrostimulationen, bei denen Stromimpulse in der Vagina oder im After Kontraktionen auslösen und die Beckenbodenmuskulatur auf diese Weise stimulieren.