Demonstrantinnen haben sich immer wieder für Jacqueline Sauvage eingesetzt. Foto: picture-alliance

Die Begnadigung Jacqueline Sauvages, die nach jahrzehntelangem Martyrium ihren gewalttätigen Ehemann umgebracht hatte, erfreut die Franzosen und erzürnt die Justiz.

Paris - „Das Gefängnis ist für Madame Sauvage heute nicht mehr der angemessene Ort“, hat Francois Hollande gesagt. Im Kreis der Familie sei sie besser aufgehoben. Die Begründung des ersten und wohl auch letzten Gnadenerlasses des scheidenden Staatspräsidenten von Frankreich war das. Der Vollzug ließ nicht lange auf sich warten. Noch am Mittwochabend öffneten sich für Jacqueline Sauvage die Tore der im Süden von Paris gelegenen Haftanstalt von Réau. Und wer wollte bestreiten, dass die im Dezember 2015 in zweiter und letzter Instanz wegen Mordes zu zehn Jahren Haft Verurteilte bei ihren Töchtern besser aufgehoben ist als im Gefängnis? Nicht einmal die Opposition mochte da widersprechen.

Ob Kommunisten, Konservative oder Rechtspopulisten, alle applaudieren sie. Die Begnadigung der 69-jährigen Französin, darüber sind sich die sonst so Zerstrittenen einig, war ein Gebot der Menschlichkeit. Die Mutter dreier Töchter hatte schließlich nicht irgendjemanden umgebracht, sondern sich in einer Verzweiflungstat ihres Ehemanns entledigt, der sie 47 Jahre lang verprügelt und vergewaltigt hatte.

Was die Frau für Notwehr hielt, war es juristisch nicht

Doch was die Gepeinigte für Notwehr hielt, war es juristisch gesehen nicht. Als sie 2012 zum Jagdgewehr griff und die tödlichen Schüsse abgab, lagen die letzten Faustschläge des Ehemanns schon zehn Minuten zurück – zu lange, um im Sinne des Notwehrparagrafen von der „Abwehr eines gegenwärtigen Angriffs“ sprechen zu können. Aus Sicht Hunderttausender von Franzosen, die in Petitionen die Freilassung der Verurteilten gefordert hatten, ein aberwitziges Ergebnis.

Jetzt geht in diesem Fall aber nicht nur um Jacqueline Sauvage, es geht auch ums demokratische Prinzip. Nämlich darum, ob das einst Monarchen zukommende Recht, einen Untertan vor Strafe zu bewahren, in einem modernen Staatswesen noch seinen Platz hat. Nein, hat es nicht, schallte es am Donnerstag dem französischen Präsidenten aus Justizkreisen entgegen. Dass die Staatsgewalt eine im Instanzenweg mehrfach bekräftigte Entscheidung der Gerichte mit einem Federstrich vom Tisch fegt, ist aus Sicht der größten französischen Richtervereinigung USM ein klarer Verstoß gegen den Grundsatz der Gewaltenteilung.

Die Richtervereinigung wirft Hollande Scheinheiligkeit vor

„Entweder gibt es eine unabhängige Gerichtsbarkeit oder aber man ist der Auffassung, dass man Entscheidungen der Gerichte nach Belieben zunichtemachen kann“, schimpfte die USM-Vorsitzende Céline Parisot. Scheinheiligkeit warf sie dem Präsidenten vor, erinnerte daran, dass Hollande im Wahlkampf das in der Verfassung verankerte Recht zur Begnadigung als nicht mehr zeitgemäß kritisiert hatte. Um eine vorzeitige Entlassung Sauvages zu ermöglichen, ohne die Entscheidungshoheit der Justiz anzutasten, hatte der Staatschef Anfang des Jahres zunächst nur eine Teilbegnadigung ausgesprochen.

Die Gerichte wollten von der ihnen damit eröffneten Möglichkeit, Sauvage auf Bewährung freizulassen, dann aber keinen Gebrauch machen. Der Verurteilten fehle es am Schuldbewusstsein, das für eine vorzeitige Entlassung unabdingbar sei, befanden sie. Sauvage sehe sich lediglich als Opfer, nicht aber auch als Täterin. Ein Opfer war und ist die Jahrzehnte lang Misshandelte freilich auch aus Sicht der meisten Franzosen. Weshalb sich Frankreichs unpopulärer Staatschef gegen Ende seiner Amtszeit einer Entscheidung rühmen kann, die seinen Landsleuten aus dem Herzen spricht.