Lachen, bis der Arzt kommt: Emil Steinberger bei einem Showauftritt Foto: Getty

83 Jahre ist der Schweizer Komiker Emil Steinberger alt, aber noch immer füllt er die Säle. Derzeit gastiert er an sechs Abenden im Stuttgarter Renitenztheater – allesamt ausverkauft. Eine Begegnung.

Stuttgart - Ob man sich vor sechzig Jahren hätte vorstellen können, dass der Mensch eines Tages ein Stadium derartiger Hochentwicklung erreicht, in welchem er von Klippen stürzt, weil er virtuellen Monstern auf dem Smartphone nachjagt? Eher nicht, das hätte man wahrscheinlich nicht mal 2015 geglaubt. Und kann man in solchen Zeiten mit Sketchen auftreten, in denen es um Telegrammsendungen geht, deren Inhalte durcheinandergeraten, weil dem Telegrafenbeamten der gedächtnisstützende Bleistift abbricht? Sicher, man kann vieles. Aber funktioniert derlei Retrokram aus unvordenklich fernen Tagen noch? Ja, tatsächlich. Zumindest im Falle Emil Steinbergers. des 83-jährigen Schweizer Komikers. Seit Dienstag spielt er im Renitenztheater täglich sein jüngstes Programm „Emil – noch einmal!“, eine Art Best-of, angereichert mit ein paar neuen Alltagsbeobachtungen. Bis Sonntag. Alle Abende sind seit langem ausverkauft.

„Im Moment kann ich die Nachfrage überhaupt nicht abdecken“, verrät Steinberger am Mittwochmorgen in der Hotellobby. In den Lauten erklingt die Schweiz. Der Mann amüsiert bekanntlich dreisprachig: regionsabhängig auf Schwyzerdütsch, Deutsch und Französisch. Am Vorabend haben die Gäste seine Texte mitunter leise mitgesprochen, auch mal vor der Pointe gelacht – sie kennen sie ja schon ihr halbes Leben lang. „Es ist verrückt, dass vierzig Jahre alte Nummern heute immer noch funktionieren“, findet der Unterhalter, „aber scheinbar gebe ich den Leuten etwas, das sie schon lange nicht mehr hatten: Unbeschwert lachen zu können. Natürlich teilweise auch über sich selbst.“

Er setzt auf Altbewährtes

Auf aktuelle Themen geht er allerdings selten ein. Mal erwähnt er etwa einen Bekannten, der behaupte, die neue App seines Handys könne herausfinden, welche Zähne an Karies litten, sobald er es sich in den Mund stecke. Falls jemand jetzt spitzfindig kommentieren möchte, Steinbergers Gäste besäßen doch ohnehin allesamt bereits die dritte Kauleiste – stimmt nicht. Das im Renitenztheater beobachtete Publikum besteht zwar größtenteils, jedoch nicht ausschließlich aus Rentenempfängern.

Die Stuttgarter seien ein nicht leicht zu begeisterndes, eher verhaltenes Publikum. Die bestgelaunte Hörerschaft erlebte er indes vor sechzig Jahren in der Schweiz: „Da wurde ich vom Landfrauenverein für einen 45-minütigen Auftritt engagiert. Ich war nach einer halben Stunde fertig, weil einfach kein einziger Lacher kam.“

Eigentlich hatte Steinberger die Bühnenfigur Emil ja 1987 begraben. Kabarettist wollte er nie werden. Es hat sich so ergeben: „Ich wollte die Leute einfach nur unterhalten. Ich hatte nie einen missionarischen Gedanken, wollte auch niemanden verändern.“ Einst arbeitete er als Postbeamter. Als er 27 war, begann er in seiner Geburtsstadt Luzern eine Ausbildung zum Grafiker, ehe sich das deutsche Fernsehen für seine Bühnenauftritte begeisterte. Auch im Zirkus und in Spielfilmen war Steinberger zu sehen.

Steinbergers Klassiker basierten seit jeher auf Alltagsbeobachtungen: Besserwissende Beifahrer, palavernde Zugpassagiere, aus Fenstern in andere Fenster gaffende Lästermäuler. Szenarien, die schon tausendfach humoristisch bearbeitet wurden. Dass die Show dennoch nicht langweilt, liegt zuvörderst an Steinbergers schauspielerischem Können, speziell an seiner Mimik.

Mit kärglicher Requisite und meist nicht mehr als einem Verkleidungsstück erschafft er wiedererkennbare Schauplätze. Darin sieht er den Grund seiner andauernden Beliebtheit: „Das ist eine Form, die nicht mehr so gepflegt wird: Das Spielerische, das Sich-Verwandeln. Comedy ist heute sehr wortlastig.“ Den Begriff „Comedy“ bringt er nur widerwillig über die Lippen.

Was ihm die heutige Comedy sagt

Spricht man ihn auf die Entwicklung des modernen deutschsprachigen Humors an – Steinberger hat sie ja zur Gänze miterlebt –, hält er sich zurück: „Da muss ich schweigen. Ich will mich auch nicht als Professor aufspielen.“ Für seine Kritik wurde er bereits gescholten, erzählt er. Aber man hakt halt dennoch nach. Er grämt sich, sein Gesichtsausdruck zeugt von Leid. Mit gedämpfter Stimme spricht er von der gegenwärtigen Komikerszene: „Ich kann’s nicht verstehen. Da fragt einer von der Bühne: Na, wie alt bist du? Was? Ein Zwölfjähriger bei mir im Publikum?‘ Und dann folgt eine Pointe à la: ‚Als ich aufgestanden bin, hatte ich eine steife Latte – oh, da sitzt ja ein Zwölfjähriger!‘“ Namen nennt er keine. Kenner können’s sich denken. Das Bitterste kommt aber noch: „Bei Interviews sagen die manchmal: Mein größtes Vorbild ist Emil!“ Um ihn nicht in die Depression zu stürzen, wechselt man flugs das Thema.

Steinbergers Komik zeichnet die Fairness gegenüber seinen Figuren aus. Er stellt sie nicht bloß. Ihrer gewissen Trotteligkeit zum Trotz, können sich die von ihm verkörperten Typen am Ende immer irgendwie mit der Situation arrangieren. Darauf habe er nie bewusst geachtet, das habe sich so ergeben. Entspricht wohl einfach seinem Naturell. Gehässigkeit liegt ihm nicht. Wer von ihm auf die Bühne geholt wird, hat nichts zu befürchten: Baut er etwa einen Gast als Co-Pilot ein, während Steinberger mit Fliegerbrille und Uniform im imaginären Cockpit sitzt, gibt’s keinen Witz auf Kosten seines Assistenten. Zum Dank schießt Steinbergers Frau dann noch schnell ein Polaroidfoto von beiden und schenkt es dem Fan.

Ein Nachtarbeiter

Die Sketche schreibt Steinberger übrigens vorzugsweise nachts. Den „Polizist beim Nachtdienst“, der Notsuchenden am Telefon Hilfreiches wie „Nein, wir können jetzt nicht kommen, im Dunkeln sehen wir ja nichts“ entgegnet, habe er in einer Nacht verfasst. Das Programm „Feuerabend“ in drei Wochen. In diesen Phasen ging er um 18 Uhr ins Bett und stand um Mitternacht auf, wenn alles ruhig war. Dann stellte er sich die Bühne vor und begann zu schreiben. Es hat Gründe, dass er diese Geschichten unberührt lässt und sie nicht etwa modernisiert: „Ich glaube, das ist wie bei einem Schlager: Man will den Text so hören, wie man ihn kennt.“ Einmal habe er neuere Videoaufzeichnungen über alte gelegt und sei selbst erstaunt gewesen, wie sehr sich die Bewegungen eingeprägt haben: Zum exakt gleichen Zeitpunkt wie einst streicht er sich beispielsweise mit der Hand übers Kinn oder runzelt die Stirn.

1993 zog er der Anonymität wegen nach New York, doch schon sechs Jahre später wieder zurück in die Schweiz. Dabei hätte er auch ohne das Rampenlicht leben können, sagt er, die Rückkehr geschah eher zufällig: Er hatte zwei Bücher geschrieben und ein Buchhändler fragte, ob Steinberger nicht eine Lesung bei ihm halten wolle. Dieser folgten zunächst ein, zwei weitere und „in Köln saßen dann bei einer Lesung sechshundert Leute – da war klar, dass ich damit auf die Bühne gehe.“ Daraus wurden neunhundert Vorstellungen. Anfang nächsten Jahres endet seine Tournee. Dann ist er 84 und der Bühnen-Emil endgültig passé. Oder? Steinberger kann es nicht sagen: „Ich weiß ja nicht, was sich jetzt wieder ergibt.“