Theresa May führt die Briten aus der EU. Sie wählt den Irrweg in die Vergangenheit. Foto: AP

Die europäische Integration bleibt das wichtigste Projekt des Kontinents. Die Geschichte zeigt: Frieden und Stabilität müssen gerade in Europa immer aufs Neue gesichert werden.

Europa – Stuttgart - müde, erstarrt, ausgelaugt; die europäische Union – Sklave des Kapitalismus, Hort der Bürokratie, oder einfach irrelevant: Nichts ist einfacher, als unseren Kontinent und seine politische Ordnung schlechtzumachen – und nichts ist so dumm. Sicher gab es seit dem Ausbruch der Finanzkrise viele gute Anlässe, die EU zu kritisieren. Doch jeder Einwohner Europas, der als Folge daraus auf die Stärke seines Nationalstaates hofft, ist blind gegenüber der Geschichte. Man kann den Wert der EU daran messen, wie sie unseren Alltag beeinflusst. Doch die fundamentale Wahrheit ist: Scheitert Europas Einigung, wird der Kontinent im Streit zerfallen und anderen Mächten – China, den USA oder Russland – untergeordnet werden. Jeder Bürger würde das zu spüren bekommen. Diese Lehre der Geschichte ändert sich nicht deshalb, weil alle Menschen vernetzt sind und in weiten Teilen Europas seit 72 Jahren Frieden herrscht. Deshalb muss die Einheit Europas für Politiker und Bürger eine zentrale Rolle spielen.

Die Verhältnisse können sich schnell ändern. Frieden und Stabilität sind kein Grundrecht. Gewiss haben Deutschland und Europa grundlegende Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen. Doch jede politische Lehre verblasst. Gerade die Geschichte der Europäer zeigt, dass politische Dummheit und das Streben nach Vorherrschaft bisher immer einen von Vernunft und Ausgleich geprägten politischen Zustand des Kontinents zerstört haben.

Seit Jahrhunderten bemüht sich Europa um Stabilität

Seit Jahrhunderten versucht Europa, seine Verhältnisse im Rahmen eines ausgeklügelten europäischen Staatensystems zu stabilisieren. Miteinander konkurrierende, wirtschaftlich und politisch bedeutende Mächte auf engstem geografischem Raum mussten und müssen miteinander auskommen. Doch bis 1945 hat jede aufstrebende Mittelmacht – ob Spanien, Frankreich, England oder Deutschland – irgendwann dieses System der Nationalstaaten aus dem Gleichgewicht gebracht.

Nun geht Europa seit den 50er Jahren den Weg der Integration. Die Wirtschaft wird verflochten, Politik im Plenum beschlossen, Gesetze werden angeglichen. All dies in dem Wissen, dass die Konkurrenz der Mittelmächte im Inneren fortbesteht und der Druck der Machtblöcke von außen zunimmt. Frieden und Stabilität wurden gesichert – eine historische Leistung.

Großbritannien geht nun den Weg in die Vergangenheit. Seine mit dem Brexit verbundene Sehnsucht nach den alten glorreichen Zeiten wird sich nicht erfüllen. Grenzen und Mauern werden die Zumutungen der Globalisierung – die Angst um die eigene Identität, den wirtschaftlichen Druck – nicht fernhalten. Die EU zum Buhmann zu machen mag guttun, ist aber kein politisches Konzept. Es gibt Anzeichen dafür, dass Europas Jugend dies erkennt.

Die Integration verschafft Deutschland politischen Freiraum

Deutschland, das einer Hegemonialmacht derzeit am nächsten kommt, muss genau deshalb am europäischen Projekt festhalten. Seine politische Einbindung und der wirtschaftliche Ausgleich in der EU mindern Ängste und verhindern eine antideutsche Front auf dem Kontinent. Wo der Glaube an die Integration Deutschlands schwindet – etwa in Polen, Griechenland oder Frankreich – , kann man mit antideutschen Tönen Wähler ansprechen.

Europas Integration bleibt das entscheidende politische Projekt für uns alle. Nur vereint kann Europa Frieden und Stabilität wahren und seine Werte in der Welt vertreten. Allerdings müssen seine Bürger besser eingebunden werden. Nur dann werden sie die europäische Einigung aus Überzeugung mittragen. Es wird bis auf Weiteres ein Europa der Nationen bleiben. Diese Konstruktion vereint am besten die unterschiedlichen Strömungen in der EU – mehr Einheit und mehr Vielfalt. Darüber hinaus werden damit die verspäteten Nationalstaaten Osteuropas, von Polen bis Ungarn, am besten eingebunden.