Warum sind Beamtenkinder dem Staat ungleich mehr wert als andere? Privilegien wie der wenig bekannte 1000-Euro-Zuschlag lassen sich kaum noch rechtfertigen, meint unser Kommentator.
Nehmen wir die beiden Senioren, die Tür an Tür im Pflegeheim wohnen. Ihre Lebenssituation gleicht sich, doch der eine ist Rentner und der andere Pensionär. Die Folge: während der erste für die Zuzahlung ans Ersparte oder das Eigenheim gehen muss, bleibt das beim zweiten unangetastet – der Staat erstattet ihm bis zu 2000 Euro monatlich mehr für die Kosten.
Oder die beiden Mädchen, die nebeneinander auf der Schulbank sitzen. Beide haben drei Geschwister, doch der Vater der einen ist Beamter und der der anderen Angestellter. Die Folge: zusätzlich zum Kindergeld bekommt die Beamtenfamilie in Baden-Württemberg fast 2000 Euro monatlich vom Staat – nämlich zweimal den Zuschlag von knapp 1000 Euro vom dritten Kind an.
Selbst Beamtenbund hat Bedenken
Ist es gerecht, wenn (einstige) Beamte, ihre Ehepartner und ihre Kinder dem Staat derart viel mehr wert sind als nicht beamtete Familien? Die Frage erhebt sich regelmäßig, wenn wenig bekannte Privilegien der Staatsdiener ins Blickfeld rücken und durch Zahlen konkret werden. „Kaum nachvollziehbar“, urteilt nicht nur der Steuerzahlerbund in der aktuellen Diskussion über den Zuschlag für kinderreiche Beamte. Auch der Beamtenbund im Land nennt die Bevorzugung durch die massiv erhöhten Zahlungen „gesellschaftspolitisch schwer erklärbar“, weshalb man einst vor diesem Weg gewarnt habe. Besser wäre es aus seiner Sicht gewesen, als Konsequenz eines Karlsruher Urteils die Grundbesoldung für alle zu erhöhen.
Bloß keine Neiddebatte – das ist sonst das Standardargument von Beamtenseite, wenn der Status und die damit verbundenen Vorteile hinterfragt werden. Jedem stehe es schließlich frei, selbst in den Staatsdienst zu streben. Und so attraktiv sei die Bezahlung offenbar gar nicht, sonst mangelte es in einigen Bereichen nicht an Nachwuchs. Zudem müsse man die Pflichten und Einschränkungen sehen, etwa das Streikverbot. Alles richtig – doch wenn selbst Beamtenlobbyisten kaum mehr vermittelbare Privilegien beklagen, scheinen die Grenzen der gesellschaftlichen Akzeptanz erreicht zu sein. Selbst das zuständige Landesfinanzministerium rechtfertigt sich eher kleinlaut, man sei zur Anhebung des Kinderzuschlags verfassungsrechtlich gezwungen gewesen.
Was ist „angemessener“ Beamten-Unterhalt?
Ein wenig Neid mag bei den Kritikern auch im Spiel sein. Aber die Vorzüge für Beamten haben teilweise ein Ausmaß erreicht, das dem Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen zuwiderläuft. Verstärkt wird das durch die aktuelle Debatte, wie viel Sozialstaat sich Deutschland noch leisten kann. Während Leistungen für Schwächere zur Disposition gestellt werden, scheinen die Privilegien der Staatsdiener zementiert. Dafür sorgt das aus der Verfassung abgeleitete Alimentationsprinzip, nach dem der Staat seinen Beamten und deren Familien einen „angemessenen“ Unterhalt zahlen muss. Was angemessen ist, definieren letztlich die Richter des Bundesverfassungsgerichts mit ihrem nahezu beamtengleichen Status – wie im Fall der kinderreichen Beamtenfamilien. Der Bund und vor allem die Länder haben es umzusetzen, mit bangem Blick auf die wachsenden Pensionslasten.
Kaum ein Politiker wagt es, die Privilegien der Beamten oder gar ihren Status zu hinterfragen. Als Winfried Kretschmann vor Jahren einmal an den „hergebrachten Grundsätzen“ des Berufsbeamtentums rütteln wollte, stand er schnell alleine da. Die seien „fortzuentwickeln“, heißt es; doch da passiert wenig. Wenn das Unverständnis über den Kinderzuschlag oder die Differenz bei der Pflege dazu führen würde, dass über das System dahinter etwas offener diskutiert wird, wäre schon einiges gewonnen.