Wagner Festspiele mit tollem Ambiente. Foto: Martin Lengemann

Bayreuth, der Ring der Nibelungen – Verheißungen, die für viele Opernfreunde unerfüllt bleiben.

Wer eine der hart umkämpften Karten für die sechswöchigen Wagner-Festspiele ergattern will, braucht einen langen Atem oder zahlt horrende Schwarzmarkt-Preise. Schneller geht es mit einer organisierten Festspiel-Reise.

Über die Tannhäuser Straße rollen sie heran. Ein Reisebus nach dem anderen. Direkt hinterm Festspielhaus klappen die Türen auf, um elegante Herrschaften in die drückend heiße Nachmittagssonne zu entlassen. Die Damen tragen lange Kleider, die Herren schwarze Anzüge. Jeder schnappt sich ein Sitzkissen aus dem Kofferraum, dann eilen sie taftraschelnd und absatzklappernd durch die Lieferanteneinfahrt zum trutzigen Musentempel. Auf dem Vorplatz ist eine Stunde vor Vorstellungsbeginn das Schaulaufen schon in vollem Gange: Festspielzeit in Bayreuth, sechs Wagner-Wochen auf dem Grünen Hügel, jede der rund 30 Opernaufführungen mit knapp 2000 Besuchern ist ausverkauft. Wer jetzt noch keine Karte hat, der kriegt auch keine mehr!

Die Herrschaften aus den Bussen haben ihre Tickets längst in der Tasche. Sie mussten weder zehn Jahre lang Bestellzettel ausfüllen und auf eine Zuteilung warten noch auf dem Schwarzmarkt um horrende Summen feilschen. Ihr Opern-Reiseveranstalter hat ihnen die gewünschten Plätze inklusive Hotel, Bustransfer und Einführungsveranstaltungen organisiert. Allerdings nicht zum Schnäppchenpreis. Doch wer dabei sein und wenigstens einmal im Leben den Mythos der Bayreuther Festspiele erleben möchte, der darf nicht knausern.

Dafür haben die Damen und Herren aus dem Bus eines Luxusreise-Veranstalters auch schon einiges intus: Am Vormittag einen Einführungsvortrag im Hotel, bei dem vor den Gästen reiferen Alters viele Details zu Wagner, zur Festspieltradition, zur phänomenalen Akustik des Hauses und zur Operninszenierung des Abends ausgebreitet wurden; vor der Abfahrt aus dem Kurort Bad Alexandersbad im Fichtelgebirge ein leichtes Souper mit Champagner, als festliche Einstimmung auf den lang ersehnten Abend und als Stärkung für die vielen Stunden auf den harten Holzsitzen.

Und die sind in der Tat hart. Wer zuvor noch hochnäsig über die Spießer mit ihren Sitzkissen gelächelt haben mag, wünscht sich im Lauf des Abends eines herbei. Beim Klang der Fanfaren raffen die Damen ihre Röcke, hängen sich bei ihren Begleitern ein und schieben zielstrebig zu den Einlasstüren. Dreimal schmettert eine Orchester-Abordnung ein Motiv aus der abendlichen Opernaufführung vom Balkon des königlichen Eingangs. Beim dritten Mal sollten alle sitzen, denn es bleibt kaum noch Zeit den halbrunden Zuschauerraum mit dem feinen hellblau-gelben Deckendekor und den creme-goldenen Wänden zu begutachten – so schnell wird es dunkel. Dann darf keiner mehr in die heilige Halle, in der noch ein paar lästige Schuhe auf den Holzboden plumpsen, ein paar Kehlen freigehüstelt werden und dann absolute Stille einkehrt.

In den einstündigen Pausen zwischen den Aufzügen der Mammut-Opernabende geht es nach wie vor bodenständig zu. Nicht mehr ganz so rustikal wie 1909 bei einem Festspiel-Besuch von Virginia Woolf, als noch keine Bäume um das Opernhaus Schatten spendeten und die Bauern direkt nebenan Rüben hakten. Heute gibt es auf dem Grünen Hügel zwar einen Park zum Flanieren, aber immer noch Schrebergärtner als Anrainer und das charmant altväterliche Luftfreibad Bürgerreuth nebst einer Kneippanlage, wo sich manch ein Festspielbesucher zwischendurch die geschwollenen Beine und die lahmen Arme kühlt.

Im Umkleideraum der Sonnenanbeter wechseln vor der Aufführung Ortskundige den Bikini gegen das lange Schwarze. Dann riecht es im Verschlag aus rohem Holz nach Chanel und wildfremde Damen helfen sich gegenseitig mit dem Reißverschluss oder teilen den halbblinden Spiegel für das große Make-up. Die Bayreuther Wagner-Festspiele bestechen nicht durch Pomp und Protz, sondern durch künstlerische Höhepunkte und schrullige Eigenwilligkeiten.

Das passt zu Richard Wagners Vision. Der Meister war üppigem Dekor und Luxus in seinem Haus Wahnfried keineswegs abgeneigt, aber auf dem Hügel hieß das Credo: "Hier gilt’s der Kunst!" Das Festspielhaus, das von weitem eher an einen Kornspeicher erinnert als an ein Opernhaus, war ganz und gar auf die vier Aufführungen des Ring der Nibelungen hin konzipiert und besticht vor allem durch die perfekte Akustik im gesamten Auditorium. Wie bequem die Besucher saßen und ob die großen Roben unter der staubigen Auffahrt oder den engen Sitzen litten, kümmerte den Meister dagegen wenig.

Unter ernsthaften Bayreuth-Reisenden wirft man sich auch heute noch festlich in Schale. Wer nichts im Schrank hat, kann vor der Aufführung in der Sophienstraße ein Original Bayreuther Abendkleid kaufen. Im Schaufenster von Fossa Design sind während der Festspielzeit elegante Gewänder aus schimmerndem Seidentaft und Wagner-Textbücher dekoriert. Die Kundinnen von Annett Elisabeth Wetzel-Schwinkowski kommen aus aller Herren Länder nach Oberfranken zu den Wagner-Wochen. Damen, die nichts von der Stange wollen oder nicht die Figur dafür haben, bezahlen zwischen 500 und 1500 Euro für eine Robe. Dagegen sind die 100 bis 225 Euro für reguläre Eintrittskarten mit Wartezeit fast ein Klacks. Aber natürlich will ihre Klientel jedes Jahr ein anderes Kleid – so wie Angela Merkel oder Thea Gottschalk. Frau Annett weiß genau, wer was trägt. Sie besucht seit Jahren die Festspiele und kriegt auch meistens Karten: "Man muss nur entsprechend bestellen", sagt sie, gibt aber zu, dass sie manchmal ihre Beziehungen spielen lässt und zu Proben eingeladen wird.

Beim Cappuccino-Brühen erzählt auch die Chefin vom Cafe Oetter am Bahnhof, dass sie wieder Karten erwischt hat, über mehrere Ecken. "Irgendwen kennt man doch immer, der jemanden kennt", meint sie verschmitzt. Dass sie so zwar nicht auf den besten Plätzen sitzt, sondern mit eingeschränkter Sicht, minimiert für sie das Vergnügen keineswegs. Dafür kostet es auch nur 14 Euro. Dabeisein ist alles. Ganz hartgesottene Fans können auch am Tag der Aufführung vor dem Kartenbüro auf zurückgegebene Tickets harren, aber die Chancen dürften im Bereich eines Lottosechsers liegen. Bleibt das Internet, wo die Tickets zwischen 560 Euro und 4500 Euro angeboten werden. Die Festspielleitung versucht den Wucher zu unterbinden, mit der Drohung, via Passkontrollen am Einlass die unrechtmäßigen Kartenhalter zu ermitteln.

Die meisten der Glücklichen, die es heute geschafft haben und am Ende der Aufführung frenetisch trampeln und klatschen, wissen noch nicht, ob sie wieder dabei sein werden, wenn sich auf dem Grünen Hügel nächstes Jahr erneut der weihevolle schwarze Vorhang hebt. Manche schießen vorsichtshalber noch ein Erinnerungsfoto vor dem romantisch erleuchteten Festspielhaus und schauen noch einmal wehmütig hinunter auf die Siegfried-Wagner-Allee, wo sich die Lichterkette der Automobile wie ein Lindwurm Richtung Innenstadt schlängelt.

Auch die Busse verlassen den Hügel eilends. Ihre Passagiere erwartet im Hotel noch ein festliches Buffet und angeregte Gespräche, über die Artikulation der Sänger, die Klangfarben des Orchesters und die Frage, woher der Veranstalter denn immer so pünktlich und zuverlässig seine Karten bekomme? Seit vielen Jahren von ein- und demselben Tickethändler. Und der wiederum? Das wissen allein die Götter. O Wotan hilf!

Info Wagner Festspiele: Die Richard Wagner Festspiele finden 2010 zum 99. Mal statt (27.7. bis 28.8.). Eintrittskarten können bis 16. Oktober 2009 im Kartenbüro bestellt werden (Tel. 09 21 / 7 87 80, http://www.bayreuther-festspiele.de). Erstbesteller müssen die Unterlagen anfordern und sich dann bis zur Zuteilung jedes Jahr erneut melden. Die Wartezeit beträgt etwa zehn Jahre. Veranstalter: Die beschriebene Opernreise wird von Classic Highlights Reisen angeboten. 2010 kostet ein Arrangement mit einer Eintrittskarte, zwei Übernachtungen/Vollpension, Einführung, Champagner und Transfers zwischen 1210 und 1645 Euro (Jonas Kaufmann Lohengrin Neuinszenierung). Der gesamte Ring mit vier Eintrittskarten und sieben Übernachtungen kostet 4495 Euro (Tel. 0 22 61 / 4 05 84 40, http://www.classic-highlights.de). Bayreuth mit Röhm-Classics (Telefon 07 61 / 3 83 87 83, http://www.roehm-classics.de): Eine Aufführung, Übernachtung/Frühstück und Einführung, 1015 bis 1220 Euro, der gesamte Ring 3680 Euro.

Allgemeine Auskünfte: Tourist Information Bayreuth, Tel. 09 21 / 8 85 88, http://www.bayreuth.de.