Geben sich als starkes Team: Seehofer und Söder Foto: dpa

Es läuft nicht mehr alles von selbst, auch in Bayern nicht. Und so entdeckt die CSU plötzlich die soziale Frage.

Nürnberg - Da gießt einer mächtig viel Salböl über sein eigenes Haupt. Im Jahr 2008, sagt Horst Seehofer, als er Ministerpräsident geworden sei, da sei Bayern die „Vorstufe zum Paradies“ gewesen. „Heute können wir uneingeschränkt sagen, es ist das Paradies.“

Nun weiß man bei Seehofer nie so genau, wie er seine Anspielungen verstanden wissen will. Er könnte beim Parteitag am Wochenende also einfach nur gemeint haben, er übergebe seinem Nachfolger einen geordneten Hof. Die zweite Interpretation: Wenn Bayern jetzt schon Paradies ist, kann es unter Markus Söder keinesfalls besser werden. Im Gegenteil: Seit den Anfängen der Menschheit birgt das Paradies immer das Risiko, hinauszufliegen. Wegen Übermuts zum Beispiel.

Risse waren beim Parteitag ohnedies unübersehbar. Seehofer zum Beispiel, ausgerechnet der Paradies-Bauer also, empfiehlt Markus Söder als nächsten Ministerpräsidenten mit den Worten: „Ich habe immer gesagt, wir gehen mit der Erfolg versprechendsten Person in den Wahlkampf.“ Das heißt: Seehofer gibt zu, nicht er selbst garantiere den meisten Erfolg, sondern ausgerechnet jener, den er bis dato für ungeeignet gehalten hat.

Viele fühlen sich übergangen

Und Markus Söder, obwohl er sich wie Horst Seehofer immer als Sohn kleiner Leute darstellt, ergänzt, dieses Bayern sei nicht nur ein Land voll „Glitzer und Glamour“; manche fühlten sich auch abgehängt und müssten jetzt wieder mitgenommen werden: „Der Zug kann nicht dauernd Volldampf fahren.“

Drei Monate nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl entdeckt die CSU auf einmal ihr soziales Gewissen, das sie bisher eingelullt hat unter Parolen wie: „Bei uns haben alle Arbeit, die wollen; noch nie ist es den Menschen in Bayern so gut gegangen wie heute.“ Der soziale Zusammenhalt ist bei der Bundestagswahl zerbrochen, obwohl sie nach CSU-Doktrin in einer politisch so huldreich hochwohlweise geführten Gesellschaft niemals hätte zerbrechen können. Die AfD hat sich etabliert und wird bis mindestens zur Landtagswahl im Herbst nicht weichen. Und diese AfD steht nicht einfach nur „rechts“ von der CSU; in ihr haben sich jene versammelt, die sich von der Überheblichkeit der bayerischen Allzeitregierungspartei sozial übersehen, übergangen und abgehängt fühlen.

Damit verbunden war eine gänzlich unerwartete politische Mobilisierung: An der Bundestagswahl haben 807 000 mehr Bayern teilgenommen als 2013, obwohl der Ausgang – ein hoher Sieg der CSU – festzustehen schien. Oder gerade deshalb. Den zusätzlichen Wählern ging es darum, diesen Sieg zu verhindern – oder zumindest ein starkes Zeichen dagegenzusetzen: Hallo, wir sind auch noch da.

Seehofer entdeckt Abstiegsängste

Seehofer selbst hat beim Parteitag in Nürnberg erstmals zugegeben, es sei „nicht nur“ die Flüchtlingskrise gewesen, die zum Wahldebakel geführt habe; es habe da auch soziale Verlust- und Abstiegsängste gegeben. Die CSU hat eingesehen – auch das kam beim Parteitag mehrfach durch –, dass sie dieser „Politisierung“ der Gesellschaft Rechnung tragen muss. Söder sagte es auf seine ruppige Weise: „Es darf keinen Wahlschlaf geben, wir machen Wahlkampf.“

Und alles wird sich auf Bayern konzentrieren. „Bayern kommt für uns immer zuerst“, sagt Seehofer. Söder, der nächste Ministerpräsident, hat für sich selber noch nie einen politischen Horizont aufgezogen, der weiter wäre als Bayern. Ein auch nur auf Deutschland bezogenes Gesamt- oder Zugehörigkeitsdenken ist bisher nicht sichtbar, von Europa gar nicht zu reden. Aber auch in diesem Gebäude sind Risse aufgebrochen; Seehofer selbst, der gelernte Bundespolitiker, scheint mittlerweile besorgt zu ahnen, wohin dieses „Bayern first“ führen wird: „Wir dürfen uns nicht selbst verzwergen“, warnte er beim Parteitag.

Horst Seehofer wurde mit 83,7 Prozent als CSU-Chef bestätigt, Markus Söder fast einstimmig zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. Als Doppelspitze wollen sie agieren, aber die „Aktionseinheit der CSU“ aufrechterhalten. Bis zur Landtagswahl mag das Konzept halten. Spätestens danach braucht die CSU eine Neuaufstellung, personell und gedanklich.