Bauherren in Stuttgart haben aus S 21 gelernt und gewinnen die Bürger mit ausgeklügelten Aktionen.
Stuttgart - Bei festlichen Anlässen gehört es zum guten Ton, zuerst die Ehrengäste zu begrüßen. Das ist bei der Grundsteinlegung zum neuen Einkaufs- und Wohntempel Das Gerber an der Paulinenbrücke vor einigen Wochen nicht anders. „Wir freuen uns besonders, dass die Nachbarn, umliegenden Schulen und Kindergärten gekommen sind“, sagt Frank Lebsanft. Die offiziellen Vertreter der Stadt nennt der Geschäftsführer des Projektentwicklers Phoenix erst an zweiter Stelle. Und das aus gutem Grund.
Lärm und Dreck gehen Hand in Hand mit jeder Baustelle. Und nicht alles, was da geplant wird, findet das Gefallen der Anwohner und anderen Bürger. Also ist es wichtiger denn je, sie ins Boot zu holen. „Das Baumanagement erfährt einen Wandel“, sagt Immo Dehnert, Sprecher der Württembergischen Lebensversicherung, die 250 Millionen Euro in das neue Quartier steckt. Man lege viel mehr Wert auf Kommunikation und Transparenz. Beim Gerber heißt das: Baustellenführungen nicht nur für Nachbarn, Gespräche, eine aufwendig gestaltete Internetseite und ein Magazin, das regelmäßig informiert. Seit kurzem ist auch eine Aussichtsplattform im Angebot. „Sie wird von Laufkundschaft, aber auch gezielt etwa von Kindergartengruppen besucht“, so Dehnert.
Ganz ähnlich geht jetzt das Kaufhaus Breuninger sein Großprojekt an. Seit kurzem hat man ein Informationszentrum für das neue Dorotheen-Quartier am Karlsplatz, das früher mal Da Vinci hieß, eingerichtet. In der Münzstraße 10 stehen Mitarbeiterinnen für Auskünfte zur Verfügung, Bildschirme und Modelle zeigen die Pläne. „Wenn man große Projekte plant, die die Stadt verändern, muss man darüber informieren und die Möglichkeit zum Austausch bieten“, sagt Breuninger-Sprecher Christian Witt. Man könne auf diese Weise viele Probleme klären.
Im Schlossgarten dominieren Zäune das Blickfeld
Der Grund für diesen hohen Aufwand verschiedener Bauherren ist wenige Kilometer weiter im Schlossgarten zu besichtigen. Dort dominieren Zäune das Blickfeld. Bei der Eskalation der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 haben alle Seiten ein Kommunikationsdesaster beklagt. „Wir haben zwar schon immer offen über Bauvorhaben informiert, aber letzten Endes hat uns der Wutbürger dazu gebracht, so in die Offensive zu gehen“, sagt Projektentwickler Lebsanft über die Bemühungen beim Gerber. „Wenn man aus Stuttgart 21 eines lernt, dann, dass die Leute informiert sein wollen.“ Der Aufwand lohne sich, denn das Interesse an den Angeboten sei enorm.
Bei der Bahn hat man sich lange darauf verlassen, dass die Ausstellung im Bahnhofsturm genügt. Wirklich gegenzusteuern versucht hat man erst, so beklagen viele, als das Kind längst in den Brunnen gefallen war. Inzwischen tut man mehr. Das Projektbüro plant eine neue Dialogreihe, hat ein neues Magazin entworfen, den Internetauftritt überarbeitet und will die Ausstellung umgestalten. Mobile Infocenter am Fasanenhof sowie am Aichelberg und in Ulm könnten das Angebot ergänzen.
Und doch: Vieles davon kommt wohl zu spät. Und nach wie vor tut man sich mit weiteren Schritten schwer. Das Projektbüro hat zwar Aussichtspunkte im Mittleren Schlossgarten für Oktober oder November in Aussicht gestellt, aber eine endgültige Entscheidung ist noch nicht gefallen. Man sei „noch nicht ganz durch mit der Diskussion“, ließ Bahn-Technikvorstand Volker Kefer unlängst wissen. Eine Projektsprecherin sagt, man befinde sich derzeit in Gesprächen. Einige Neuheiten sollen demnach bis Anfang Juni beschlossen werden. Derzeit gebe es auf dem Baufeld ohnehin nicht viel zu sehen.
Nach jahrelangen Protesten stellte man am Flughafen Info-Container auf
Anregungen hätte man sich schon vor Jahren beim Bau der neuen Landesmesse am Flughafen holen können. Nach jahrelangen Protesten gegen das Projekt hatte man sich dort für Info-Container entschieden. Sie standen zwischen 2004 und 2007 und boten Besuchern auch die Chance, mal ihrem Ärger Luft zu machen.
Trotz aller Informationsoffensiven warnen die Beteiligten aber davor, sich unter dem Strich zu viel davon zu erwarten. „Man muss Ängste ernst nehmen und versuchen, vernünftige Anregungen mitzunehmen“, sagt Breuninger-Sprecher Witt, „es wäre aber vermessen, zu garantieren, dass alles aufgenommen wird, was kommt.“ Wahrscheinlich muss das aber auch gar nicht sein – vielen genügt es, von Anfang an einbezogen zu werden. Das gehört schließlich neuerdings zum guten Ton.