Auf der Paulinenbrücke stehen die Baufahrzeuge fürs Gerber Schlange, während unten in der Tübinger Straße die Kehrmaschine beständig ihre Runden dreht. Foto: Horst Rudel

Mit fünf Großbaustellen müssen die Anwohner und Geschäftsleute bis 2014 an der Tübinger Straße leben. Am Österreichischen Platz kommt demnächst noch eine weitere hinzu.

S-Mitte/S-Süd - Alle drei bis fünf Minuten rollt die Kehrmaschine heran. Zuerst ist es nur ein leises unangenehmes Surren, das zwischen den übrigen Geräuschen dreier Großbaustellen an der Tübinger Straße unterzugehen droht. Doch je näher sie rückt, desto stärker macht sich das orangefarbene Fahrzeug bemerkbar. Das durchdringende, monotone Geräusch ist zum ständigen Begleiter der Geschäftsleute und Anwohner zwischen Silberburg- und Sophienstraße geworden.

Volker Gegenheimer, der Inhaber des Kiosks an der Ecke zur Paulinenstraße, versucht, den Lärm mit buddhistischer Gelassenheit zu ertragen. Er plaudert weiter entspannt mit seinen Kunden und hält für deren Hunde Leckerle bereit. Etwas anderes bleibt ihm auch kaum übrig: Schlechte Laune würde wohl mehr seiner Kunden vergraulen als die Lärmkulisse der Baustellen.

In zwei Jahren sollen die Baustellen verschwunden sein

Gegenheimer hat von seinem Tabakwaren- und Presseladen den direkten Blick auf die Baustelle des Gerber. Am Anfang hat er den Baufortschritt des Geschäfts- und Wohnkomplexes noch in Bildern festgehalten, jetzt konzentriert er sich eher auf die Zeit, wenn die Bauarbeiten für Gerber, Caleido und den Neubau der WGV um die Alte Wache herum fertig sind. „Leute, haltet durch“, sagt er seinen Nachbarn immer wieder. Die Neubauprojekte könnten ja auch was bringen und in zwei Jahren mehr Kunden in die Tübinger Straße locken, das hofft Gegenheimer zumindest. Etwas an der Baustellensituation ändern lasse sich aber ohnehin nicht. Auch die Straßenkehrmaschine muss beständig ihre Runden drehen, denn sonst wäre die Strecke zwischen Marienplatz und Eberhardstraße so verschlammt, dass sie für den normalen Autoverkehr kaum noch befahrbar wäre.

Am frühen Nachmittag ist das Durchkommen für die Autofahrer und Fahrradfahrer zurzeit kaum ein Problem. Nach anfänglich chaotischen Zuständen scheinen sich die Akteure nun besser aufeinander eingestellt zu haben. In den ersten Tagen musste die Straßenverkehrsbehörde des Amts für öffentliche Ordnung noch mahnen, weil einige Baustellenfahrzeuge die Straße blockiert haben. Zumindest in den Pfingstferien scheint der Baustellenverkehr nun besser getaktet worden zu sein: Statt auf der Tübinger Straße warten die Gerber-Baustellenfahrzeuge auf der Paulinenbrücke. Bis zu zehn der gelben Lastwagen reihen sich dort hintereinander und warten darauf, den Aushub aus der Baugrube des Gerber abzutransportieren.

Weitere Baustellen folgen

Doch noch ist nicht das Maximum an Baustellentätigkeit an dem Übergang zwischen den Stadtbezirken Mitte und Süd erreicht. Neben dem Bürogebäude Pauline 21, das die Strabag Projektentwicklung ab Mitte 2013 vermieten will, plant auch die Bietigheimer Wohnbau, in diesem Jahr am Österreichischen Platz mit den Bauarbeiten zu ihrem Wohn- und Geschäftskomplex zu beginnen. Darüber hinaus wird die Tübinger Straße in eine so genannte Shared-Space-Zone umgestaltet: ein städtisches Projekt, bei dem der 800 Meter lange Abschnitt zwischen Eberhard- und Sophienstraße in den nächsten Monaten in eine nahezu schilderfreie Zone umgebaut werden soll. Alle Verkehrsteilnehmer können dann die Straße gemeinsam nutzen, es gilt Tempo 20. Bevor das möglich ist, wird am 11. Juni der Abschnitt voll gesperrt, nur Radfahrer können die Strecke weiter nutzen.

Die Zeit der Großbaustellen wird vermutlich im Frühjahr 2014 vorbei sein, dann will das Gerber eröffnen; die Fertigstellung des Caleido ist für Juni 2013 geplant. Die Geschäftsinhaber haben aber bereits ihre ganz eigenen Techniken entwickelt, um mit dem Lärm und Dreck der Baustellen umzugehen. Im Friseurladen Hair Express dreht Inhaberin Sema Karabunar die Musik lauter, wenn die Geräuschkulisse draußen zu unangenehm wird, ansonsten bleibt die Eingangstür zu. In der Druckerei ein paar Häuser weiter müssen die Mitarbeiter den Lärm von Baustellenfahrzeugen und Kehrmaschine aushalten, weil die Geräte im Geschäft zu viel Hitze ausstrahlen.

Inwieweit die Baustellen zu Umsatzeinbußen führen, können die Ladeninhaber nur schwer einschätzen. Wenn die Presslufthammer nebenan an der Baustelle der WGV zu laut dröhnten, verlasse der ein oder andere Kunde schon mal den Laden, sagt Frank Sontag, der Inhaber des Fahrradgeschäfts bikes ’n’ boards. Die zu erwartende höhere Kundenfrequenz nach der Bautätigkeit – auch durch den geplanten Fahrradweg – sieht er aber sehr positiv. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist das Sirren der Straßenkehrmaschine dann auch nicht mehr ganz so unangenehm.

Die vier größten Projekte in Zahlen

Gerber Auf dem 14 000 Quadratmeter großen Areal entstehen bis Anfang 2014 etwa 75 Läden und Lokale, verteilt auf 24 000 Quadratmeter. Zudem sind 80 Wohnungen auf einer Fläche von 9000 Quadratmetern sowie 650 Tiefgaragen-Stellplätze geplant.

Caleido Der sechsgeschossige Komplex bietet 10 000 Quadratmeter an Bürofläche. Im Erdgeschoss sind Geschäfte und Lokale geplant. In den Obergeschossen entstehen bis Anfang nächsten Jahres 15 große Atriumwohnungen.

Pauline 21 Das siebengeschossige Gebäude soll im Herbst 2013 etwa 4400 Quadratmeter Bürofläche beherbergen.

WGV-Neubau Der Neu- und Umbau des WGV-Hauptgebäudes umfasst 14 460 Quadratmeter. Erhalten wird die denkmalgeschützte Alte Wache, in der das neue Betriebsrestaurant entsteht.