Zahlreiche Bäume und Sträucher an den Böschungen fielen der Säge zum Opfer. Foto: Sandra Hintermayr

Das Umweltamt entfernt auf den Gäubahnböschungen Sträucher und Bäume. Das soll dem seltenen Vielblütigen Backenklee zugutekommen. Anwohner allerdings kritisieren die Maßnahme als zu radikal und sorgen sich um die Sicherheit ihrer Kinder.

Dachswald - Laut pfeifen die Meisen durch die gelichteten Böschungen, Nistkästen stehen am Boden neben den abgeholzten Sträuchern. „Das sieht wirklich wüst aus“, klagt eine Dachswälderin im Vorbeigehen. Die von der Stadt Stuttgart beauftragten Arbeiter sind mit Motorsägen unterwegs, um die Bäume und Büsche zu stutzen.

Umweltamt will den Backenklee schützen

Dies ist nötig wegen des Artenschutzes, erklärt das städtische Umweltamt. Denn an den Böschungen wächst der seltene Vielblütige Backenklee. Eigentlich – denn Bäume und Sträucher verdrängen die Pflanze. „Die jetzt noch von Restbeständen des Backenklees, aber auch vielen anderer Arten wie Schmetterlingen, Heuschrecken, Wildbienen und Schnecken, besiedelten Flächen reichen nicht aus, um langfristig stabile Populationen zu gewährleisten. Deshalb müssen die Flächen erweitert werden“, sagt die stellvertretende Amtsleiterin Renate Kübler.

Blütenreiche Säume, Wiesen oder Böschungen seien wegen der Zerstörung durch den Menschen durch Landwirtschaft oder Überbauung einerseits und die zunehmende Verholzung andererseits selten geworden. Ein gutes Beispiel seien die Gäubahnböschungen; vor wenigen Jahrzehnten seien die Bereiche noch fast gehölzfrei gewesen, nun seien sie bis auf wenige Stellen zugewuchert. „Will man die auf solche Biotope angewiesene Flora und Fauna erhalten, so muss der Mensch an diesen eben nicht primär waldfreien Standorten eingreifen, damit sie nicht mit Gehölzen überwachsen werden“, sagt Kübler.

Anwohner sind verärgert über die radikalen Fällungen

Angekündigt waren die Arbeiten in der Presse und im Bezirksbeirat, die direkten Anwohner wurden schriftlich informiert. Doch einige sehen die Maßnahmen kritisch. „Die ganze Nachbarschaft ist stinksauer“, sagt Fränky Schumacher. „Es wurden Bäume gefällt, in denen Eichhörnchen und Vögel lebten. Überhaupt bleibt kaum ein Baum stehen. Das wurde uns anders verkauft“, sagt Schumacher. Das Stuttgarter Umweltamt entgegnet, dass „einige Gehölze“, zum Beispiel Eichen, Kiefern, Obstbäume, Weißdorn und Feldahorn erhalten bleiben, „aber die Fläche erhält natürlich einen Offenlandcharakter“, so Kübler.

Sorgen macht sich Fränky Schumacher um die Kinder im Dachswald. „Die Sträucher waren eine natürliche Barriere. Jetzt ist alles offen. Was, wenn ein Kind hoch auf die frei zugänglichen Gleise läuft?“ Er fragt, ob man nicht vielleicht einen Zaun aufstellen kann. Das sei wenn dann Sache der Deutschen Bahn, sagt die Stadt. Sie sehe aber keine Notwendigkeit dafür. „Die Zugänglichkeit für Kinder erhöht sich unseres Erachtens nicht wesentlich, da es sich um einen teils extrem steilen Hang handelt“, entgegnet Kübler. Zudem hätten Eltern eine Aufsichtspflicht für ihre Kinder. Auch andere Bereiche der Gäubahn seien offen zugänglich, auch dort gebe es keine Zäune.

Nistmöglichkeiten seien ausreichend vorhanden, sagt die Stadt

Schumacher ist dennoch verärgert über das radikale Vorgehen der Stadt. „Das ist ein über Jahrzehnte gewachsenes Biotop, das jetzt niedergemetzelt wird“, sagt er. „Ich habe Verständnis für den Artenschutz, aber ist das nicht übertrieben?“, fragt er. Ein weiterer Anwohner, der mit dem Auto an der Böschung vorbeifährt, ruft aus dem Fenster: „Die Vögel werden sich erstmal umschauen.“ Die Gehölze, die entfernt würden, seien noch nicht so alt, dass sich „Baumhöhlen oder andere relevante Strukturen ausgebildet hätten“, sagt Kübler. „Insofern sind sie nur für Zweigbrüter unter den Vögeln relevant. Diese können in dem Bereich jedoch problemlos ausweichen, da Gehölze an anderen Abschnitten der Bahntrasse wie auch in der sonstigen Umgebung in ausreichendem Umfang vorhanden sind. Vorhandene Nistkästen werden gegebenenfalls an geeignete Standorte umgehängt.“ Die Arbeiten vor Ort würden von städtischem Fachpersonal entweder aus der Naturschutzbehörde und/oder vom Garten-, Friedhofs- und Forstamt betreut. Die Fällungen werden noch diese Woche andauern, kündigt das Umweltamt an. Im Anschluss werde noch das Schnittgut aufgeräumt.

Neben den kritischen Stimmen aus dem Dachswald finden sich auch solche, die Verständnis haben. „Es war Zeit, dass die Stadt da eingreift“, sagt ein Mann. Zwar sehe die Böschung jetzt arg kahl aus. „Aber nächstes Jahr ist das alles wieder zugewachsen“, glaubt er. Damit es nicht so weit kommt, will das Umweltamt künftig regelmäßig im Dachswald nach dem Rechten schauen. Nach der Erstmaßnahme sind jährliche Pflegemaßnahmen vorgesehen, damit der Vielblütige Backenklee sich auf den Böschungen ausbreiten kann.