Baumpfleger versuchen in Uhlbach eine Kastanie zu retten – sie geriet ins Visier von Schädlingen Foto: Jan Reich

Die größten Feinde der Kastanienbäume messen keine fünf Millimeter. Der Miniermotte fehlt es an natürlichen Feinden. Baumliebhaberin Uta Wagner nimmt den Kampf trotzdem auf.

Stuttgart - Der Baum auf dem Anwesen der Markgräflerstraße 6 in Stuttgart-Uhlbach ist derart mächtig, dass alles drum herum unwirklich klein erscheint. Häuser werden zu Häusle neben dieser weißblühenden Rosskastanie. „Genaue Maße kann ich gar nicht nennen“, sagt Uta Wagner und richtet den Blick gen Himmel. Die Wirtin steht an der Treppe ihres Gasthofs zum Ochsen. Die äußersten Äste reichen bis an die Hauswand. Dabei ist der Stamm der Kastanie gut zehn Meter entfernt in der Mitte des angrenzenden Gartens. Geschätzte 25 Meter ist der Gigant hoch. Und verfügt über mindestens die gleiche Spannweite. Unter seinen Fittichen bietet er bis zu 80 Gästen Schattenplätze im Gartenlokal.

An diesem Tag freilich nicht. Denn in luftiger Höhe raschelt und knirscht es. Johannes Spangler und Christoph Enderich hängen im Kletterseil und gehen sturzgesichert ihrer Arbeit nach. Die beiden zertifizierten Fachleute sägen und schneiden unentwegt. Krankes Geäst, zu schwer gewordene Seitenarme, jede Menge Blätter und natürlich Kastanien purzeln im Sekundenabstand zu Boden. Unten hält Mitarbeiterin Lara Heinisch den Gehweg und die Straße frei. Einen ganzen Tag lang sind die Fachleute mit der Kastanie beschäftigt. Uta Wagner engagiert alle zwei, drei Jahre die auf alte Bäume spezialisierte Gartenbaufirma aus Nürtingen. Einen ordentlichen Betrag gibt die Ochsen-Chefin für diese Pflege aus. Aber das ist es ihr wert. Es ist ja schließlich nicht irgendein Gewächs, sondern der Baum, der Wagner schon das ganze Leben über begleitet.

Ein fast Hundertjähriger

1917 wurde er zu Ehren des im Krieg gefallenen Bruders ihres Großvaters gepflanzt. Es existiert ein Bild von 1940, das Uta Wagners Mutter bei deren Konfirmation zeigt. Sie stand neben dem Baum und hätte mit ihren Armen den glatten Stamm komplett umgreifen können. Heute braucht es dafür zwei Erwachsene. Der mächtige Holzkörper ist groß und furchig geworden. „Er hat seine kleinen Problemchen, aber für sein Alter steht er wirklich gut da“, sagt Baumpfleger Spangler über den fast Hundertjährigen. „Die Motte ist sein einziges Problem“, stimmt Uta Wagner zu.

Von der Rosskastanien-Miniermotte ist auch ihr Gewächs nicht verschont geblieben. Der Kleinschmetterling, seit rund 15 Jahren auch in Süddeutschland flächendeckend verbreitet, legt seine Eier an den Blättern ab. Die Larven fressen sich hinein, kappen die Wasser- und Nährstoffzufuhr. Das Blatt vertrocknet und wird braun, obwohl es im Sommer längst noch keine Zeit für den natürlichen Verwelkungsprozess ist. Die Miniermotte selber kann einen Baum nicht zum Absterben bringen, aber sie schwächt und macht ihn anfällig für weitere Schädlinge, beispielsweise Pilzbefall.

Aufwand ist groß, Ampullen sind teuer

Schon vor Jahren hat Uta Wagner den Kampf aufgenommen. Oberste Priorität hat die Eindämmung der Vermehrung der Motte, die pro Sommer drei bis vier Generationen ihrer Art zeugt. Dazu gehört das penible Einsammeln und Entsorgen der abgefallenen Blätter. Um die eingelagerten Mottenlarven abzutöten, muss das Laub verbrannt oder hitzestarken Kompostieranlagen zugeführt werden. Wagner versucht es zudem mit Pheromonfallen, die ihr ein Bekannter aus dem Weinbau empfahl, aber von Fachleuten wie dem städtischen Forstamtsleiter Hagen Dilling als „quasi nutzlos“ eingestuft werden. An vier Stellen im Baum hängt die 61-Jährige Ampullen mit dem künstlichen Lockstoff auf, der die Fortpflanzung der Motte bremsen soll. Auch das ist mit Aufwand verbunden. Alle vier Wochen wollen die Fallen mit frischen Ampullen (Stückpreis fünf Euro) versorgt werden.

„Insgesamt haben wir die Sache gut im Griff“, ist Uta Wagner stolz darauf, dass sich ihre Mühen lohnen. Wenn die Uhlbacherin durchs Land kommt, fällt ihr Blick ganz automatisch auf Kastanienbäume. „Wenn ich da sehe, wie ein Baum leidet, weil gar nichts für ihn gemacht wird, könnte ich heulen“, fühlt Wagner mit. Es hört sich an wie ein Appell an alle, die gesunde, kraftstrotzende Kastanienbäume lieben. So wie den Riesen in Uhlbach.