Anna Maria Mühe als Dörte Helm und August Diehl als Walter Gropius in der Serie „Die Neue Zeit“ Foto: ZDF/Mathias Bothor

Anna Maria Mühe dachte immer das Bauhaus wäre eine reine Männersache gewesen – bis sie in „Die Neue Zeit“ mitspielte.

Stuttgart - Anna Maria Mühe ist in Lars Kraumes Sechsteiler „Die Neue Zeit“ die fast vergessene Künstlerin Dörte Helm, die sich einst mit Bauhaus-Gründer Walter Gropius anlegte, der in der Serie von August Diehl gespielt wird.

Frau Mühe, am Anfang Ihrer Karriere haben Sie schon einmal zusammen mit August Diehl einen Ausflug in die Weimarer Republik gemacht. Treffen Sie in „Die Neue Zeit“ eigentlich das erste Mal seit „Was nützt die Liebe in Gedanken“ aus dem Jahr 2004 wieder aufeinander?

Ja, wir haben uns in der Zwischenzeit zwar ein paar Mal gesehen, aber in „Die Neue Zeit“ stehen wir erstmals wieder gemeinsam vor der Kamera.

Macht es das Schauspielen leichter, wenn man den Filmpartner schon von früher kennt und weiß, wie er tickt?

Das kann man nicht pauschalisieren, aber in diesem Fall hat es das Drehen leichter gemacht, weil wir ja eine lange Zeit miteinander verbracht haben – insgesamt 70 Tage. Wir wussten, dass wir uns aufeinander verlassen können – und es trotzdem nie langweilig wird.

Und wie viel wussten Sie über das Bauhaus, bevor Sie für die Serie „Die Neue Zeit“ engagiert wurden?

Ich war privat vor ein paar Jahren in Dessau und habe mir dort das Bauhaus angeschaut. Vor allem das Treppenhaus mit den schönen Fenstern habe ich in bleibender Erinnerung. Ich habe mir vor den Dreharbeiten aber viel Bauhaus-Wissen angelesen und angeeignet. Das war schon eine tolle und progressive Zeit, die wir in der Serie zeigen dürfen.

Kannten Sie Dörte Helm, bevor Sie sich auf Ihre Rolle vorbereiteten?

Nein, für mich war die Bauhausgeschichte, ehrlich gesagt, mit Männern verbunden: mit Gropius, Kandinsky oder Schlemmer.

Wie würden Sie Dörte Helm beschreiben?

Für mich war Dörte Helm eine wahnsinnig mutige Frau. Sie kam aus einer erzkonservativen Familie und wuchs mit alten Moralvorstellungen auf, musste am Bauhaus aber anfangen ihre Haltung zum Leben und sich selbst als Künstlerin zu hinterfragen. Sie entwickelte einen kämpferischen Geist und engagierte sich als Feministin. Eine Frau, die das alles aus sich selbst heraus macht, finde ich sehr beeindruckend.

Walter Gropius behauptet am Ende von „Die Neue Zeit“, dass Dörte Helm nie eine große Künstlerin geworden wäre.

Ich glaube, das ist seine Art mit seinem schlechten Gewissen zurande zu kommen und damit leben zu können. Sie war eine beeindruckende Künstlerin, die unglaublich tolle, teilweise verzweifelte Selbstporträts gemacht hat.

In der Serie entsteht der Eindruck, dass Dörte Helm auch deshalb der große Erfolg verwehrt blieb, weil ihr ihre Liebe zu Walter Gropius in die Quere kam.

Na ja, ich glaube sie scheitert nicht an der Liebe, sondern sie scheitert an einem Mann, der anders als sie, im Lauf der Jahre verhärtet ist, und in seinen Haltungen so festgefahren ist, dass es da keinen Platz mehr für jemand wie Dörte Helm gibt.

In einer Szene in der Serie wirft die Journalistin Stine Branderup Gropius vor, dass das Bauhaus im Umgang mit Frauen nicht wirklich fortschrittlich gewesen wäre, weil sie zwar zugelassen aber letztlich doch unterdrückt wurden. Hat sie recht?

Ja. Das belegen all die absurden Aufzeichnungen und Mitschnitte, die erhalten sind, und der verzweifelte Versuch, eine reine Frauenklasse zu gründen, allerdings nur für die Weberei.

Ich habe sogar den Eindruck, dass einige Bauhaus-Schicksale heute ein Metoo-Fall wären.

Wahrscheinlich.

Da scheint sich in den letzten hundert Jahren wenig geändert zu haben. Auch im Filmgeschäft sind Frauen heute noch mit einer ähnlichen Unkultur der Missachtung und des Missbrauchs konfrontiert.

Ich kann von Glück reden, dass ich das nie selbst erfahren musste. Aber ich finde es wichtig, dass alle, die das erlebt haben, die Möglichkeit haben, darüber zu reden. Und sie sollten meiner Meinung nach ihre Stimme auch nutzen.

Haben es Frauen im Filmgeschäft immer noch prinzipiell schwerer als Männer?

Nehmen wir mal das Stichwort Gagenverhandlungen. Da sehe ich den Bezug zu Dörte Helm und zum Bauhaus wieder: Auch sie hat bereits für die Gleichberechtigung gekämpft. Sie will genauso Architektur studieren können wie Männer, genauso zeichnen und bauen und ernst genommen werden – und heute kämpfen wir immer noch darum, für die gleiche Arbeit das gleiche Geld wie Männer zu bekommen. Da gibt es immer noch eine große Ungerechtigkeit.

Zumindest scheint in diesem neuen Goldenen Zeitalter der TV-Serien das Rollengebot für Frauen vielfältiger und besser geworden zu sein. Sie haben zuletzt ja zum Beispiel in der Netflix-Serie „Dogs of Berlin“ sehr beeindruckt. Hat sich Ihrer Meinung nach hierzulande die Fernsehlandschaft geändert, seit Netflix auch deutsche Serien produziert?

Ich habe das Gefühl, dass Regisseure inzwischen beim Erzählen mutiger geworden sind, oder besser gesagt endlich die Geschichten erzählen können, die ihnen auf der Seele brennen. Doch obwohl Serien ein tolles Format sind, glaube ich übrigens nicht, dass jede Geschichte als Serie erzählt werden muss. Ich finde weiterhin auch Filme mit abgeschlossenen Geschichten gut – als Schauspielerin und als Zuschauerin.

Dörte Helm und das Bauhaus

Person
Die Künstlerin Dörte Helm (1898–1941) gehörte im Jahr 1919 zu den ersten Studentinnen am Bauhaus in Weimar. Sie war zum Beispiel im Jahr 1921 an Walter Gropius’ Projekt „Haus Sommerfeld“ beteiligt“.

Serie
Lars Kraumes „Die Neue Zeit“ erweitert die Bauhaus-Geschichte mit vielen fiktionalen Elementen.

Ausstrahlung
ab Sonntag, 15. September, um 22.15 Uhr im ZDF; alle sechs Episoden sind bereits in der Arte-Mediathek abrufbar.