Lydia und Hans sitzen gern im Esszimmer ihres Wohnhauses auf dem Aussiedlerhof, hier haben sie zwei Sofas aufgestellt Foto: Sichtlichmensch/Andy Reiner

Lydia und Hans Hornung sind Bauern in Oberschwaben. Sie wurden noch im Krieg geboren und sind seit fast 60 Jahren verheiratet. Wie die Liebe gelingt auf dem Aussiedlerhof? Anders als bei den Städtern mit ihrer Paartherapie.

Hans und Lydia erzählen es so: 85 und 82 Jahre sind sie alt, 1968 haben sie geheiratet, 79 ausgesiedelt, 250 000 Mark hat ihr Wohnhaus gekostet, 83 wurde es fertig und nach vier Jahren war es abbezahlt, 140 Viecher hatten sie, 70 Kühe und 70 Kälber, drei Kinder, 34,5 Hektar Land, 1999 haben sie die Landwirtschaft aufgegeben, 40 Kilo Himbeeren noch letztes Jahr geerntet, zwei Enkel und zwei Urenkel sind da und eine neue Hüfte bei Hans.

 

Zahlen können Lydia und Hans noch im Schlaf so leicht hervorziehen wie ihre Küchenschubladen. Und in Zahlen lässt sich ein Bauernleben ordentlich erzählen. Warum Hans und Lydia seit fast 60 Jahren glücklich verheiratet sind? Was ist das Geheimnis ihrer Liebe? Das wiederum ist etwas anderes. Lydia überlegt, Hans zuckt mit den Schultern als verstünde er die Frage nicht. „Viel Arbeit“, sagt Lydia, damit meint sie: im Stall schaffen. Nicht Beziehungsarbeit oder so.

Hans erlebt noch die letzten Kriegsjahre als Kind

Der elterliche Hof von Hans steht in Eichen, einem Ortsteil von Ochsenhausen im Landkreis Biberach, sanft eingebettet in eine von den Eiszeiten geformte Hügellandschaft, wo die rauen Winde Oberschwabens wehen. Noch vor der Geburt von Hans kauft sein Vater, Bauernsohn und drittes unter zehn Geschwistern, Anfang der 30er Jahre den Hof in Eichen. Hans erlebt die letzten Kriegsjahre als Kind. Erlebt, wie man, um eine eingestürzte Mauer auf der Wetterseite zu reparieren, vom Liebherr fünfzig Säcke Zement gegen fünfzig Pfund Schmalz bekommt. Und wie ein Panzerspähwagen in den Hof fährt und zwei Soldaten aussteigen. Es sind Franzosen. Sie sagen: „Huhn.“ Und nehmen drei Gockel mit und ein paar Hennen. Vier Wochen später bringen sie ein Reh.

Lydia und Hans bei ihrer Hochzeit im Mai 1968 Foto: Repro/Andy Reiner

Mit 19 lernt Hans aus Eichen in der Landjugend Lydia aus Ellwangen kennen. Lydia ist drei Jahre jünger als er, sie hat vier Geschwister, ist die zweite. Bei der Mutter gilt sie nichts, und zwar weil sie kein Bub ist. Lydia bleibt anfangs klein und schwach. Ein Arzt, selbst kinderlos, will Lydia am liebsten zu sich nehmen, und die Mutter würde sie wohl mitgeben. Doch der Vater sagt: „Lydia, wir geben dich nicht her.“ Als Lydia mit der Volksschule fertig ist, lassen die Eltern sie keinen Beruf lernen. Sie muss daheim schaffen wie viele Bauernkinder, aufstehen jeden Morgen um halb fünf. So ist das.

Als Lydia Hans bei der Landjugend sieht, gefällt er ihr gleich. Sie will ursprünglich ihren Kindheitsfreund Fred heiraten. Doch der Vater sagt: „Mädle, was willsch mit dem? Der hot koin Hof.“ Lydia muss folgen. Man muss immer folgen.

Streng sind die Eltern damals. Ob wer evangelisch ist oder katholisch, das ist zum Beispiel wichtig. Als Hans in der siebten Klasse ist, kommen evangelische Flüchtlingsmädchen ins Dorf, sie sind anders gekleidet als die Bauerntöchter, freizügiger. Aber Hans darf mit ihnen nicht reden. Geschweige denn, etwas anderes tun. Lydias Schulfreundin ist das einzige evangelische Mädchen in der Klasse. Bei einem tragischen Unfall stirbt das Mädchen. Außer Lydia darf kein anderes Bauernkind zu der evangelischen Beerdigung gehen. Hans und Lydia finden das ganz gesponnen mit der Furcht vor den Evangelischen.

Ohne Hof können die Bauern damals nicht heiraten

Immer samstags oder Sonntagabend fährt Hans jetzt zu Lydia nach Ellwangen, 50 Kilometer mit dem Auto seiner Eltern, wenn er es denn kriegt. Auch als Lydia ein halbes Jahr im Haushalt lernt in Villingen-Schwenningen, fährt er hin. Die gemeinsamen Stunden sind schön. Obwohl man eigentlich gar nichts macht. Lydia und Hans sitzen in der Stube und schwätzen, mal spielen sie Quartett oder „Mensch ärgere dich nicht“. Heiraten kann man natürlich erst mit Hof, also müssen Lydia und Hans warten. So lernen sie sich kennen. Zehn Jahre lang – bis Hans den elterlichen Hof übernehmen und die Geschwister auszahlen kann.

Am Tag vor ihrer Hochzeit übernachtet Lydia bei Hans, und seine Mutter sperrt Lydia zur Sicherheit in einen Verschlag auf die Bühne. Damit nix passiert. Lydia sagt zu ihr: „Mach dir koi Müh, wenn i des wollen hätt, hätt ich Gelegenheit gnug ghabt.“ Lydia ist noch Jungfrau, als sie Hans heiratet. Ein anderes Mädchen aus dem Ort wird ledig schwanger und springt in die Güllegrube. „Die hot sich wegdoa“, sagt man. Lydia schüttelt den Kopf. So etwas muss doch nicht sein. War aber damals so.

Lydia wird schwanger – doch wer fährt sie ins Krankenhaus?

An einem schönen Maientag werden Lydia und Hans in Gebrachtshofen getraut, feiern in der Wirtschaft in Ochsenhausen mit 40 Gästen. Tanzen kann der Hans ja gar nicht, ihren Brauttanz muss Lydia mit dem Schwager machen. Als Lydia ein Jahr später schwanger ist, will sie sich im Krankenhaus untersuchen lassen. Zum Doktor gehen, das gibt es bis dahin nicht. „Wie im Wilden Westen“, sagt Hans stolz. Und ist doch froh, als Lydia mit dem Mofa zum Arzt fährt und Spritzen bekommt, weil sie nämlich Rhesus-negativ ist. Das wär sonst nichts geworden mit dem tüchtigen Nachwuchs.

Lydia kann nicht wie die anderen Bauern zu Hause gebären, sie muss ins Krankenhaus. Als die Wehen einsetzen, sagt sie zu ihrer Schwiegermutter, der künftigen Oma: „Geht los. Der Hans muss mich ins Krankenhaus führa.“ Die Oma guckt sie verständnislos an: „Der Hans kann di ned führa, jetzt kommt dr Elektriker.“ Lydia eilt stöhnend in die Wirtschaft nebenan, und Gott sei Dank, die Nachbarin kann fahren. Das gleiche Spiel ein Jahr später, als Lydia wieder schwanger ist. Die Fruchtblase platzt, und die Oma sagt: „Aber des Güllefass kannsch scho no gschwindt hola?“ Lydia humpelt los, und als sie endlich zurück gestapft kommt, sagt die Oma: „Willsch no des Kraut setza?“ Lydia, die sonst immer folgt, weil man folgen muss, wird rot: „Also, Oma, i ka mi nemme bügga!“ Lachen kann Lydia darüber heute.

Lydia findet, Hans ist der beste Bauer

Denn alles geht gut. Und zum Glück schaut die Oma in diesen Jahren nach den Kindern. Hans braucht Lydia im Stall. Er muss bloß gucken, schon springt sie. Da ist er stolz. Hans will aussiedeln und einen neuen Stall bauen. Kühe halten, Viehbauer sein. Das geht nicht im beengten Hof im Ort. Hans weiß, was er will, das gefällt Lydia. Auf dem Markt mit dem Jungvieh ist er der jüngste und beste Bauer, sagt sie.

Der Aussiedlerhof wird an der Straße Richtung Laubach gebaut, wohnen bleibt die Familie unten im Ort. Das ist hart, nach den Kindern kann Lydia morgens nicht schauen, wenn sie oben im Stall ist. Die Oma schickt die Kinder los in den Kindergarten und die Schule. Die Jüngste, ’s Mädle, geht aus dem Haus „ohne d’ Hoor zopfig zu macha“, auch die Buben sind schlampig gerichtet. Das passt Lydia gar nicht. Sie müssten näher dran sein, damit sie sich kümmern kann. Gerade rechtzeitig zur Einschulung der Tochter wird das Wohnhaus am Aussiedlerhof fertig. Nur die Oma will nicht mit rausziehen. Drin im Ort, das ist ihr Haus, sagt sie, und weil die Geschwister von Hans sie warnen: „Oma, hussa bisch de Katza, da kasch zu niemand mehr.“ Hans und Lydia fehlt sie im Haushalt.

Trotzdem wirtschaftet das Bauernpaar schlau. Immer mal kaufen sie einige Hektar dazu. Lydia: „Wie secht mr? Hektar bleibt.“ Hans: „Liebe vergeht, Hektar besteht.“

Sohn Hans-Peter will den Hof übernehmen. Aber er hat keine Frau. Ohne Frau kann man einen Hof nicht umtreiben, erklärt Lydia. Obwohl der Sohn mithilft, entschließt sich das Paar, als es dem Rentenalter näher kommt, die Landwirtschaft aufzugeben. Mit 140 Viechern, das wär schon ein Hof zum Weitermachen gewesen, sagt Hans.

Dann geht das mit den Reisen los. Lydia fährt mit einer Gruppe nach Italien, nach Belgien auch und Slowenien. Schaut sich sogar manchmal eine evangelische Kirche an, warum nicht? Auf Rügen haben Hans und Lydia gemeinsame freie Zeit.

Und Sohn Hans-Peter nimmt seinen Vater noch weiter mit in die Ferne. Nach Kalifornien und zum Grand Canyon. Nach Brasilien und China. Lydia bleibt daheim. Warum, weiß sie eigentlich nicht – vielleicht, weil sie ja gar nicht so weit weg will. Und einfach, damit einer daheim ist.

Das Bauernpaar Lydia und Hans braucht einander noch immer

Der Himmel über dem Hof an der Straße nach Eichen verdunkelt sich, als Sohn Hans-Peter Schilddrüsenkrebs bekommt. Das allein wär gar nicht so schlimm, sagt Hans. Aber da ist auch was an seiner Wirbelsäule, das wird wegoperiert, und Hans-Peter kriegt so eine Brücke rein. Er hat große Schmerzen, seine Eltern pflegen ihn, sieben Jahre lang. Bis zum Schluss ist er bei vollem Verstand und hofft. Mit 48 Jahren stirbt Hans-Peter. In der Küche steht sein Foto neben Kerzen und Blumen, im Esszimmer hängt eines über dem Sofa.

Er war immer da. Jetzt ist er nie mehr da.

Hans und Lydia müssen weiter machen. Sie haben Aufgaben. Und sie brauchen einander. Morgens geht der Hans, immer in Hosenträgern wie früher, in den Garten: Kartoffel, Brokkoli, Gelbe Rüben, Zwiebel, Tomaten, Beeren, das pflanzt er noch. Hans macht auch Holz, mit der Motorsäge, er hat eine kleinere als früher. „Brennholz zu verkaufen“ steht vorne an der Straße auf einem Schild. Lydia kümmert sich in ihrer Kittelschürze um den Haushalt. Sie dekoriert alles, sammelt Glocken und Puppen. Das bringt nichts ein, aber es sieht halt schön aus.

Mittags kocht Lydia für Hans, er ist pflegeleicht, isst alles. Am liebsten saure Bohnen und Spatzen. Manchmal hilft Hans beim Kochen, wenn er sich dabei gemütlich hinsetzen kann. Dann schält er Kartoffeln. „Und ich brauch ihn noch als Chauffeur“, sagt Lydia, die keinen Führerschein hat. Ab und zu steht der Seniorentreff an. Und die Kinder kommen, manchmal die Enkel und Urenkel.

Lydia dekoriert gern das Haus und die Schränke Foto: StZN/Manz

Am Nachmittag sitzt Hans vor dem Fernseher, der jetzt da hängt, wo früher der Herrgottswinkel war über der Eckbank. Jesus ist umgezogen an die Wand gegenüber. Auf 3sat schaut Hans gern Berichte über fremde Länder, danach macht er ein kleines Schläfchen.

Hans und Lydia geht es gut, das sagt zumindest Lydia. Nie haben sie eine Grippe. Hans sagt: „Mi muss mr bloß agucka, scho han i’s.“ Lydia: „Iwo, du wirsch hundert.“ Beider Mütter sind 90 geworden. Die Mutter von Hans war eine Schafferin, erzählt er, überhaupt war sie aus einer ganz schaffigen Verwandtschaft, und da passt auch seine fleißige Frau ganz gut hinein. Ein großes Lob, denn es heißt „Ich liebe dich“ auf Bäuerisch.

Bei den Bauern gibt es keine Zeit, lange zu streiten

Heut laufen alle immer gleich weg, sagt Hans. In Eichen sind in letzter Zeit zwei junge Ehen zerbrochen. Drei Monate nach der Hochzeit hieß es: Haus zu verkaufen. Das verstehen Lydia und Hans nicht. Man muss doch nicht viel schwadronieren, es reicht, zusammen zu bleiben. „Wir haben nie viel gestritten“, sagt Lydia. Wann auch? Keine Zeit für Streit. Hans sagt, den schönen Frauen guckt er halt immer noch gern nach. Aber so gut zu Fuß ist er leider nicht mehr. Ist Hans eifersüchtig auf Lydias Kindheitsfreund Fred, den Mann ohne Hof, den Lydia damals gewollt hätte? Ach was. Hans lacht. Den sehen sie noch oft und gern.

Letztes Jahr hat Hans ein neues Auto gekauft, wieder einen Toyota, wie immer, aber jetzt einen Hybrid, der fährt sehr gut. Es ist so, man tankt um 50 Euro, und dann läuft er 800 Kilometer, braucht 3,8 Liter, sagt Hans. Und Lydia nickt.