Die Kälte hat die Interessenten am Freitag nicht abgeschreckt. Foto: Edgar Layher

Auch wenn bezahlbare Grundstücke in der Region Stuttgart kaum zu finden sind, lockt die Musterhaus-Siedlung in Fellbach bauwillige Menschen zum Traumhaus-Bummel an.

Der Traum vom Eigenheim muss groß sein, wenn man bei diesem Wetter vor die Türe geht. Gerade mal sieben Grad zeigt das Thermometer an, immer wieder peitschen heftige Sturmböen über die Gewerbezone an der Fellbacher Höhenstraße. Wenn es nicht windet, setzt der Nieselregen ein.

Dass die Witterung die geneigte Kundschaft abschrecken würde, lässt sich wahrlich nicht behaupten. Und die Musterhaus-Verkäufer reiben sich die Hände. „Für uns ist das Wetter optimal, es könnte nicht besser sein“, lächelt ein Berater. Zwar bummeln weniger Gäste als sonst durch das 40 000-Quadratmeter-Areal der Fertighaussiedlung. Doch auch am Freitagabend haben gut 600 Besucher den Weg gefunden.

Die Frage nach dem persönlichen Geschmack und der Energieeffizienz

Und die, die kommen, wollen nicht nur von draußen auf ihre Wohnträume schauen. Sie drücken rein wie die Kälte, inspizieren Küchen, Bäder und Schlafzimmer. „Das sieht ja bescheiden aus“, sagt die junge Frau mit Mütze, Schal und Kinderwagen über die Wohnwand im italienisch-opulenten Stil bei der abendlichen Hausbesichtigung, während ihr männlicher Begleiter mit aufmerksamem Blick das Datenblatt mit der Energieeffizienz studiert.

Die skandinavische Schlichtheit eine Tür weiter trifft vielleicht eher den Geschmack. Auch dort sind hinter großen Glasfassaden die Notebooks der Berater aufgeklappt, der Weg zum neuen Heim scheint nur ein paar Mausklicks entfernt. Ein Gutschein für einen Glühwein hat die Gesprächsatmosphäre deutlich gelockert, neben der „Architektur für die Sinne“ geht es um die Frage, wie sich bei der Finanzierung staatliche Fördertöpfe anzapfen lassen. Bis zu 45 000 Euro Energiepauschale werden in Aussicht gestellt, wenn es bei der Dämmung stimmt, Solarzellen aufs Dach kommen und eine Wärmepumpe angeschafft wird. Für Häuslesbauer ist das ein Angebot, das man nicht ablehnen kann.

Sündenfall der Architektur und ungebrochener Wunsch vieler Menschen

Denn der Traum vom Eigenheim ist trotz Flächenbedarf, Baustoff-Verbrauch und den erhöhten Energiekosten ungebrochen – auch wenn das klassische Eigenheim vielen als Sündenfall der Architektur gilt. Geprägt wird unser Bild vom Wohnen ohnehin vom Häuschen mit Garten. Satte 16 Millionen Einfamilienhäuser, das zeigt ein Blick in die Statistik, gibt es in Deutschland, das sind zwei von drei Wohngebäuden. „Bei uns wird es jetzt einfach Zeit, an ein Kinderzimmer zu denken“, sagt Markus Gmeiner und deutet auf den gewölbten Bauch seiner Sonja. Zwei Sprösslinge im Kindergartenalter springen schon durch das Musterhaus, die gemietete Wohnung wird für die Familie schlicht zu klein. Günther Neff und seine Frau sind im Rentenalter, mit eigenen vier Wänden bestens versorgt und nur in der Fellbacher Ausstellung, weil sie sich Gedanken um den Wohnkomfort ihrer Enkelin machen. Und Anja und Tobias wollen ihre Namen lieber nicht in der Zeitung stehen sehen – die Schwiegereltern wissen schließlich noch nichts davon, dass das junge Paar mit dem Gedanken liebäugelt, den großen Garten für den Bau des Eigenheims zu nutzen.

In Zeiten, in denen schon fürs Bauland vierstellige Quadratmeterpreise aufgerufen werden, lösen derartige Optionen neidvolle Blicke aus. Weil sich die Grundstückspreise in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt haben ist im Speckgürtel der Region Stuttgart für die meisten Menschen selbst ein Reihenhaus in unerreichbare Ferne gerückt. Wer schon für den Boden einen Kredit in sechsstelliger Höhe braucht, kann sich den Traum vom eigenen Häuschen fast schon abschminken – falls nicht ein weit überdurchschnittliches Gehalt oder eine große Erbschaft den Sparstrumpf füllen.

Selbst wer das Geld zum Bauen hat, schaut in der Region oft in die Röhre

Selbst wer finanziell große Reserven in der Hinterhand hat, schaut beim Hausbau im dicht besiedelten Ballungsraum oft in die Röhre. Im Kernbereich der Region Stuttgart kommen gar nicht so viel Wohngebiete auf den Markt, um die Baulust zu bedienen. Kein Wunder, dass Bauträger der Kundschaft zum Musterhaus auch gleich den Kontakt fürs Grundstück liefern – sei es in Benningen, Bretzfeld, Mühlacker oder Wüstenrot. Auch die in den Straßen rund um die Musterhaus-Siedlung parkenden Autos legen den Schluss nahe, dass Bauwillige für ihren Traum auch weite Strecken in Kauf nehmen. Autokennzeichen aus Nürtingen, Karlsruhe, Tuttlingen und Schwäbisch Hall sind in Fellbach zu sehen, etliche Nummernschilder tragen das für Backnang stehende BK. „Hierher ist es für uns auch nicht weiter als zur Musterhaus-Ausstellung in Günzburg“, sagt Julia Mader, die sich mit ihrem Mann regelmäßig in die schöne, neue Fertighaus-Welt abtaucht. Auch wer vom Hausbau träumt, will erst mal ausgiebig schauen, bevor gekauft wird.

Dass sich viele Menschen nicht auf 3-D-Modelle und Zeichnungen verlassen wollen, ist seit mehr als fünf Jahrzehnten auch das Erfolgsrezept der Fellbacher Musterhaus-Ausstellung. Pro Jahr wird die Schau von etwa 60 000 Menschen besucht. Erst der optische Eindruck vor Ort entscheidet, ob das klassische Holzhaus, der puristische Bungalow oder die verspielte Toskana-Villa das Ideal vom eigenen Heim am besten treffen. Ideengeber für das seinerzeit europaweit einmalige Projekt war der Verleger Ottmar Strebel gewesen. Er hatte als Herausgeber eines Fachblatts den Boom der Fertighäuser verfolgt und festgestellt, dass die Hersteller meist nur ein einziges Musterhaus zeigen konnten, in der Regel direkt an ihrem Werk. Wer sich einen Überblick über Architektur und Ausstattung verschaffen wollte, musste wohl oder übel eine Tour durch die halbe Republik planen – ohne Vergleichsmöglichkeit.

Die Eröffnung der Fertighaus-Schau im Jahr 1971 verschaffte dem architektonisch viel mehr von großen Wohnblöcken als von kleinen Einfamilienhäusern geprägten Fellbach nicht nur einen Publikumsmagneten, sondern auch den Ruf, ein Mekka der Häuslesbauer zu sein. Mehr als fünf Millionen Menschen haben die mehrfach erweiterte Ausstellung in den vergangenen fünf Jahrzehnten besucht, inzwischen sollen knapp 60 Musterhäuser bei den Bauwilligen für Emotionen sorgen. Dass die Hersteller die neueren Gebäude ausnahmslos mit Solarzellen ausgerüstet und mit smarter Haustechnik bestückt haben, sei am Rande erwähnt.