Ex-Riese Johannes Thiemann (li.) überzeugt von der Bank kommend. Foto: imago//Tilo Wiedensohler

Die deutschen Basketballer zermürben die favorisierten Franzosen zum Start der Europameisterschaft – das hat zwei Gründe.

Die Inszenierung war perfekt. Nicht wegen der Energiekrise wurde die Beleuchtung in der Kölner Lanxess-Arena heruntergefahren, sondern um im dezenten Scheinwerferlicht Dirk Nowitzki (44) zu würdigen. Dem deutschen Basketball-Idol wurde als erstem Spieler überhaupt die Ehre zuteil, dass sein Trikot mit der Nummer 14 in der deutschen Nationalmannschaft nicht mehr vergeben wird und stattdessen zum EM-Auftakt unters Dach der Halle hochgezogen wurde. Als Hommage. Wie sagte der aktuell wohl bekannteste Spieler, Dennis Schröder: „Es war eine große Motivation für uns, dass er dem Spiel beigewohnt hat.“ Die offensichtlich so groß war, dass die Gastgeber zum EM-Auftakt die favorisierten Franzosen nicht nur besiegten, sondern mit 13 Punkten Differenz beim 76:63 gleich mal ein Ausrufezeichen setzten.

Auch gegen den amtierenden Europameister war die Defensive das Erfolgsgeheimnis

Der extrovertierte Schröder war zwar auch in den Katakomben von Köln ein begehrter Gesprächspartner, aber die Schau gestohlen hatten ihm an diesem späten Abend andere. Zum Beispiel Maodo Lo, die Alternative auf der Position des Spielmachers. Und Schröder gab ehrlich zu: „Er hat das Team getragen.“ Nicht der aktuell vereinslose NBA-Profi, sondern der 29-Jährige von Meister Alba Berlin. Apropos Alba: Auch der ehemalige Berliner und zuletzt in Kaunas (Litauen) unter Vertrag stehende Niels Giffey (ebenfalls 13 Punkte) trumpfte groß auf – nicht zu vergessen Johannes Thiemann (14). Dem war zuvor bei den MHP Riesen Ludwigsburg erst der Sprung in die Nationalmannschaft gelungen, und der Center bekam unter dem bekennenden Defensiv-Fan John Patrick als Coach dort die oft vergessene Bedeutung der Abwehrarbeit im Basketball geradezu eingetrichtert.

Davon profitiert er jetzt. Denn der Schlüssel zum Erfolg war neben der Energie, die von den drei Bankspielern kam, als wollten sie jede Kilowattstunde in der mit 18 000 Fans vollbesetzen Halle selbst produzieren, eben diese aggressive Verteidigung, die die überforderten Franzosen zermürbte. Den Olympiazweiten bei mageren 63 Punkten zu halten spricht Bände. Und kommt nicht von ungefähr. Die deutsche Mannschaft hatte nur vier Tage zuvor in der wichtigen WM-Qualifikation Slowenien ähnlich souverän mit 90:71 besiegt. „So etwas gibt Selbstvertrauen“, sagte Thiemann. Auch gegen den amtierenden Europameister war die Defensive das Erfolgsgeheimnis oder, wie es Thiemann ausdrückte: „Unsere Identifikation.“

Der Ex-Ludwigsburger Wohlfarth-Bottermann stand überraschend in der Startformation

Da darf man dann schon mal darüber hinwegsehen, dass auch im DBB-Team in der Offensive lange Zeit nicht alles klappte. So traf Hoffnungsträger Schröder nur 29 Prozent seiner Würfe, Daniel Theis mit 33 Prozent kaum mehr, und auch der dritte NBA-Profi, Franz Wagner, hat noch etwas Luft nach oben. Was soll’s. Es könnte genau diese Breite im Kader sein, die im Laufe des Turniers den Unterschied ausmacht. Denn während Mannschaften wie Slowenien doch sehr von Superstar Luka Doncic plus ein, zwei Nebenleuten abhängig sind, sieht das bei den Deutschen anders aus.

Schröder sagte sogar: „Wir brauchen alle zwölf Spieler“ – auch wenn nicht alle zum Einsatz kamen. Bezeichnend: Der Ex-Ludwigsburger Jonas Wohlfarth-Bottermann stand überraschend in der Startformation, hatte aber nur 88 Sekunden Spielzeit, in denen er sich mit drei Fouls förmlich aufrieb. Doch wie heißt es so schön: Einer für alle, alle für einen. Lo betonte ausdrücklich: „Das war ein cooler Abend für uns, und die Mannschaft versteht sich super. Darauf müssen wir weiter aufbauen, um Spaß zu haben.“

Vielleicht sogar die Chance auf den EM-Titel?

Wie an diesem, nicht zuletzt wegen der Nowitzki-Show denkwürdigen Donnerstagabend, auch wenn Schröder sagte: „Wir haben noch vier Gruppenspiele vor uns.“ Das nächste an diesem Samstag (14.30 Uhr) gegen Bosnien-Herzegowina. Ein Journalist fragte Bundestrainer Gordon Herbert deshalb, was er über den nächsten Gegner weiß. Der Kanadier gab zu: „Nichts.“ Sein Fokus sei zu 100 Prozent auf Frankreich gelegen. Gut, dass am Freitag Ruhetag war, Zeit zur Recherche. Doch die Spieler wissen selbst am besten, dass sie noch nichts erreicht haben, aber auf einem guten Weg sind. Thiemann etwa sagte: „Wenn wir weiter so spielen, haben wir im Turnier noch viele Chancen.“

Vielleicht sogar auf den EM-Titel, den hat selbst ein Dirk Nowitzki nicht geschafft („nur“ Silber 2005). Am späten Abend jedenfalls war da sogar zu verschmerzen, dass die obligatorische Beleuchtung des markanten Bogens über der Lanxess-Arena wegen der Energiesparverordnung ausgeschaltet blieb. Dafür leuchte der Basketball-Stern!