Für altersgerechte Wohnungen gibt es einen großen Bedarf. Trotzdem geriet eine darauf spezialisierte Firmengruppe aus dem Land in die Insolvenz. Die Folgen beschäftigen die Käufer – und die Zivil- und Strafjustiz.
Mit barrierefreiem Wohnen kennt sich Jens B. gleich doppelt aus: als Architekt und als Betroffener. Seit einem unverschuldeten Autounfall in jungen Jahren sitzt er selbst im Rollstuhl – und weiß auch aus eigener Erfahrung, welche Hürden beim Bauen zu vermeiden sind. Seine Expertise nutzte er in dem vom Vater gegründeten Familienunternehmen, das er zusammen mit seinem Bruder in zweiter Generation führte: der WfS-Gruppe in Neckarsulm bei Heilbronn.
„Wohnen für Senioren“, wofür das Kürzel steht, beschrieb die Zielgruppe der drei Firmen: Menschen in der „dritten Lebensphase“ oder mit Handicap. In ganz Süddeutschland, „von Rheinfelden bis Ellhofen“, realisierte WfS barrierefreie Wohnungen oder kombinierte Wohn- und Pflegeanlagen, für Selbstnutzer oder Kapitalanleger. Man entwickele „individuelle Rundum-Sorglos-Immobilien“, hieß es einst in einem Firmenvideo. Vertrieben wurden sie in enger Kooperation mit einer großen, in Stuttgart ansässigen Maklerfirma.
Baustopp macht alle Beteiligten betroffen
An Abnehmern herrschte kein Mangel, die demografische Entwicklung ließ einen stetig steigenden Bedarf erwarten. Doch die Baukrise samt explodierenden Kosten verschonte auch die WfS-Gruppe nicht: immer mehr Sorgen plagten sie und in der Folge ihre Kunden in den letzten Jahren, inzwischen mussten alle drei Firmen Insolvenz anmelden. Insolvenzverwalter für die Gesellschaften WfS-Architekten, BoPro1 und WfS Casa naturELL ist der Stuttgarter Fachanwalt Oliver Kirschnek. Viel darf er wegen des nicht öffentlichen Verfahrens nicht sagen, nur so viel: Zuletzt habe es noch ein laufendes Bauvorhaben gegeben, in Lichtenwald im Kreis Esslingen. Doch auch bei einem Projekt in Südbaden sehen die Käufer eine WfS-Firma weiterhin in der Pflicht.
In Lichtenwald wurden das Pflegeheim mit 30 Plätzen und die 15 barrierefreien Wohnungen sehnlich erwartet. Ein Viertel der Einwohner der Schurwald-Gemeinde seien Senioren, hatte Bürgermeister Ferdinand Rentschler einst betont, es gebe einen hohen Bedarf. Sämtliche Einheiten waren verkauft, als Träger für das Heim stand die Esslinger Diakoniefirma Dienste für Menschen (DfM) fest. Doch im Juni vorigen Jahres wurde das weit fortgeschrittene Vorhaben wegen der Probleme der WfS-Gruppe jäh gestoppt. Alle Beteiligten seien „sehr betroffen“, erklärte Bürgermeister Rentschler. Künftige Bewohner und Mitarbeitende hätten sich schon auf das neue Haus gefreut, bedauerte der DfM-Chef Rainer Freyer. Nun müsse man die Pläne anpassen und das Insolvenzverfahren abwarten.
Eigentümer suchen neuen Pflegeheim-Betreiber
Inzwischen hat Dienste für Menschen den Mietvertrag für das Pflegeheim gekündigt, auf Ende 2024. Die Eigentümer verhandeln laut ihrem Sprecher derzeit mit anderen Interessenten. Zugleich sprechen sie mit Generalunternehmen, die den Bau fertigstellen könnten; mehrere Begehungen haben schon stattgefunden. Der Rathauschef „unterstützt nach Kräften bei der Suche nach Planern und Betreibern“. Man hoffe, so Rentschler, dass das Pflegeheim „baldmöglichst in Betrieb“ gehen könne.
Anders stellt sich die Situation in Teningen (Kreis Emmendingen) dar. Dort errichtete die WfS-Gruppe einen aus drei Gebäuden bestehenden „Generationenpark“ mit Pflegeplätzen, Betreutem Wohnen und Wohnen mit Servicemöglichkeit. „Etwas Tolles wird hier entstehen“, jubelte Bürgermeister Heinz-Rudolf Hagenacker beim ersten Spatenstich. Inzwischen sind die Immobilen bezogen, mit erheblichen Verzögerungen. Doch für etliche Wohnungskäufer hat sich das Projekt zum Dauerärgernis entwickelt. Nachdem es auf der Baustelle in den vergangenen Jahren nicht mehr voran ging und die Baufirma sich weggeduckt habe, nahmen sie Weiterbau und Fertigstellung selbst in die Hand. Ihre Ansprüche an die WfS-Gruppe halten sie indes aufrecht.
Mehrere Zivilklagen beim Landgericht Freiburg
Beim Landgericht Freiburg waren oder sind wegen der Verzögerungen gleich mehrere Zivilverfahren anhängig. Wohnungskäufer fordern dort Schadenersatz in insgesamt sechsstelliger Höhe. Die Gebäude seien „nur teilweise und zudem mangelhaft“ fertiggestellt worden, heißt es nach Gerichtsangaben zur Begründung. Zahlungen seien mit Bescheinigungen abgerufen worden, die nicht dem tatsächlichen Baustand entsprochen hätten. Die am Bau tätigen Firmen hätten ihre Arbeit wegen erheblicher Zahlungsrückstände eingestellt.
Die beklagte WfS-Firma bestritt die Schäden, sie treffe kein Verschulden. Wegen Leistungsmängeln habe man das beauftragte Hochbauunternehmen fristlos kündigen müssen. Zudem habe die Corona-Pandemie mit Arbeitsschutzauflagen und Lieferengpässen den Bau erschwert – „höhere Gewalt“ also. Ein Verfahren um die Miete für eine temporäre Ersatzwohnung endete per Vergleich, die anderen waren bei Insolvenzeröffnung noch anhängig.
Ermittlungen gestalten sich „recht komplex“
Nach einer Strafanzeige von Betroffenen beschäftigt das Teninger Projekt auch die Staatsanwaltschaft. Betrug und Insolvenzdelikte wurde den WfS-Verantwortlichen darin vorgeworfen. Die Anzeigeerstatter vermuten, dass von ihnen gezahlte Gelder für andere Projekte verwendet worden seien. Die Freiburger Ermittlungsbehörde gab das Verfahren an die Kollegen in Heilbronn ab, wegen des Firmensitzes. Dort hieß es im Spätsommer 2024, man stehe „noch ganz am Anfang“. Auch jetzt ist ein Abschluss nicht in Sicht. „Die Ermittlungen sind recht komplex und dauern noch an“, berichtete eine Sprecherin. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Der Insolvenzverwalter ließ die Frage nach Anhaltspunkten für strafrechtliche Relevanz unbeantwortet. Von Jens B. war eine Stellungnahme zu den Vorwürfen nicht zu erhalten. Der Architekt ist inzwischen Geschäftsführer einer neuen Planungsgesellschaft, die sich ebenfalls auf barrierefreies Bauen spezialisiert hat. Gegründet wurde sie im Sommer 2024, zusammen mit der kooperierenden Maklerfirma. Offensiv wird auf der Webseite darauf verwiesen, dass der Chef selbst Rollstuhlfahrer sei. Zeitweise soll dort auch ein Foto des Teninger Projekts geprangt haben. Als man protestiert habe, berichten Betroffene, sei es schnell verschwunden.