Mit dem Abzählen kommen Schüler auf Dauer nicht weit. Foto: dpa

Kein Kind soll zurückbleiben – so lautet der Anspruch der Bildungspolitiker. Ob Schüler mit Rechenschwäche oder anderen Teilleistungsstörungen angemessen gefördert werden, hängt aber oft noch vom Zufall ab.

Stuttgart - Wenn alles gut geht, macht Daniela (Name geändert) im Sommer die mittlere Reife. In allen Fächern schreibt die 16-Jährige gute Noten – nur in Mathematik scheitert sie regelmäßig. Schon in der ersten Klasse sei ihnen aufgefallen, dass ihre Tochter „einfachste mathematische Zusammenhänge nicht nachvollziehen konnte“, berichtet die Mutter. Weil die Lehrerin auf ihre Hinweise nicht einging, wandten sich die Eltern an das Jugendamt. Tests ergaben eine massive Rechenschwäche. Ein halbes Jahr lang erhielt das Mädchen eine spezielle Förderung außerhalb der Schule, dann fielen die Zuschüsse weg.

Wie viele Kinder sich mit Mathematik schwertun, ist nicht genau bekannt. Nach der Pisa-Studie kann etwa ein Fünftel der 15-Jährigen in Deutschland höchstens auf Grundschulniveau rechnen. Die Gründe sind vielfältig: Einem Teil der Kinder fehlt ein grundlegendes Verständnis für Zahlen. Aber auch häufiger Schul- oder Lehrerwechsel oder ungeeignete Unterrichtsmethoden können Schülern den Zugang zur Mathematik erschweren.

An der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg will man dem abhelfen. Im Studium spielt das Thema Diagnose und Förderung inzwischen eine wichtige Rolle. Die künftigen Lehrer sollen nicht nur Störungen erkennen, sondern auch die Gründe dafür herausfinden. Es helfe rechenschwachen Kindern nicht, das Immergleiche zu wiederholen, sagt Jasmin Sprenger, die Mathematiklehrer ausbildet. „Sie müssen vielmehr der Logik der Kinder folgen. Nur wenn sie wissen, wie diese zu bestimmten Ergebnissen kommen, können sie ihnen wirklich helfen.“ In der Beratungsstelle der Hochschule können Studenten ein Semester lang mit betroffenen Kindern arbeiten. Ziel ist, dass sie die neuen Methoden später im Unterricht anwenden.

Schwierigkeit Probleme bei großen Klassen zu erkennen

Lange sei unterschätzt worden, wie wichtig die Qualifizierung der Mathematiklehrer in der Grundschule ist, sagt Jutta Schäfer, Mathematiklehrerin und Professorin für Sonderpädagogik an der PH Ludwigsburg. Erst vor zwei Jahren wurde die Grundschullehrerausbildung um ein auf acht Semester verlängert. „Um das Fach Mathematik im Anfangsunterricht gut zu unterrichten, bedarf es neben pädagogischen Fähigkeiten zur Klassenführung und Gesprächsführung vor allem ausgeprägter und fundierter fachdidaktischer Kenntnisse“, so Schäfer. Je früher Schwächen erkannt und angegangen würden, desto besser seien die Aussichten. Große Klassen machten es für Lehrer aber oft schwierig, „bei ihren Schülern genau hinzuhören und nachzufragen.“

Die Förderung von Schülern mit besonderen Schwierigkeiten in Mathematik sei zunächst Aufgabe der Schule, sagt ein Sprecher des Kultusministeriums. Wenn allerdings eine seelische Behinderung vorliege oder eine solche drohe, könnten Leistungen der Eingliederungshilfe in Betracht kommen. Für Mathe-Grundschullehrer bietet das Ministerium in der kommenden Woche spezielle Fortbildungen an.

Viele Lehrer über Rechenschwäche schlecht informiert

Bei einer Veranstaltung am 23. Februar informiert der Gesamtelternbeirat Stuttgart Eltern, Lehrer und andere Interessierte darüber, wie vor allem an Realschulen und Gymnasien Kinder mit Teilleistungsschwächen besser gefördert werden können. Weil die Grundschulempfehlung nicht mehr verbindlich ist, dürfte dort der Anteil von Schülern mit Lernschwierigkeiten steigen, sagt Sabine Wassmer, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats Stuttgart. Viele Lehrer wüssten über Rechenschwäche einfach nicht richtig Bescheid.

Das hat auch Danielas Mutter erlebt. Als ihre Tochter zur Realschule wechselte und sie den Mathelehrer über die Probleme ihrer Tochter informieren wollte, erklärt dieser, Dyskalkulie gebe es überhaupt nicht. Daniela sei einfach zu faul und uninteressiert. Erst der neue Klassenlehrer in der siebten Klasse bemerkte Danielas ausgeprägte Rechenschwäche. „Er hatte sich durch Fortbildung mit dem Problem befasst“, berichtet die Mutter. Außerschulische Hilfe erhielt Daniela aber auch dann nicht wieder. Dafür hätte die Familie ein psychiatrisches Gutachten vorlegen müssen, das nachweist, dass das Mädchen durch die Dyskalkulie im Alltag so beschränkt sei, dass sie nicht in der Lage sei, soziale Kontakte zu knüpfen und im täglichen Leben nicht zurecht komme. Das wollten die Eltern nicht. „Es ist unserer völlig normalen, kontaktfreudigen Tochter nicht zuzumuten, sich wegen fehlender mathematischer Kenntnisse als psychisch gestört die Zukunft verbauen zu lassen.“