Familie Schlecker – im Bild Anton Schlecker (mitte) mit seinen Kindern Meike und Lars – erlebte den Prozess-Tag im heimatlichen Ehingen, weil der Zeuge nicht nach Stuttgart reisen konnte. Foto: dpa

Ein wichtiger Zeuge kann aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Landgericht Stuttgart kommen. Also vernimmt ihn das Gericht am Amtsgericht in Ehingen. Der mittlerweile 90-Jährige spielt seine frühere Rolle im Drogeriekonzern herunter.

Ehingen - Für einen Moment wird die Aufmerksamkeit der Wochenmarktbesucher in Ehingen (Alb-Donau-Kreis) am Dienstagvormittag vom frischen Spargel abgelenkt. Dann betritt die am Ort – aber auch nur da – bestens bekannte Familie Schlecker das Amtsgericht. Im Schlepptau eine Schar von Fotografen. „Da leben sie ihr ganzes Leben zurückgezogen und werden nun so in die Öffentlichkeit gezogen“, kommentiert einer der Kiebitze den Auftritt.

Das außerplanmäßige „Heimspiel“ von Anton Schlecker, seiner Ehefrau Christa sowie den beiden Kindern Meike und Lars ist dem Umstand geschuldet, dass der einzige Zeuge des Tages auf Anraten seiner Ärzte nicht zum Landgericht Stuttgart kommen sollte, wo den Schleckers seit März der Prozess gemacht wird. Anton Schlecker ist unter anderem wegen Betrugs, Untreue und Insolvenzverschleppung angeklagt. Es soll in insgesamt 36 Fällen Vermögenswerte beiseitegeschafft und dem Zugriff der Gläubiger entzogen haben.

Nun kehrt das Verfahren um die Pleite von Deutschlands einst größter Drogeriemarktkette an den Ausgangspunkt der Geschichte zurück. Passenderweise war der Zeuge von Anfang an dabei. Der 90-jährige frühere Prokurist des Unternehmens und langjährige Vertraute von Anton Schlecker ist 1950 in die Metzgerei von Anton Schlecker senior eingetreten und hat bis 2009 für die Familie gearbeitet, bevor es zum Bruch mit Anton Schlecker kam. Zuvor zog er nicht nur im Unternehmen die Strippen. Auch privat, etwa bei der Entführung der beiden Kinder in den 1980er Jahren, stand der Manager der Familie bei. „Er hat die Kinder aus der Hand der Entführer gelöst“, erklärte Schlecker kurz nach dem Prozessauftakt. Er habe dem Mann vertraut wie nur wenigen im Leben.

Die Tochter begrüßt der Zeuge herzlich – den Sohn gar nicht

Das heutige Verhältnis zur Familie ist divergent: „Zu Meike Schlecker sehr gut“, sagt der Zeuge, wovon sich zuvor auch die Zuschauer im Gerichtssaal überzeugen konnten. Da begrüßte er die Schlecker-Tochter mit einer innigen Umarmung, für die Eheleute Schlecker gab es einen knappen Händedruck. Nur den Sohn würdigte er keines Blickes: „Lars würde ich nicht mit der Beißzange in den Arm nehmen“, sagt er ohne weitere Erläuterung. In seiner Vernehmung soll der frühere Prokurist Auskunft über die Logistikgesellschaft LDG geben, die im Besitz von Lars und Meike Schlecker war und bei der er nach Aussagen mehrerer Zeugen maßgeblich die Fäden gezogen hat. Über den Umweg dieser Gesellschaft, die formell ein eigenständiges Unternehmen gewesen ist, habe Schlecker Vermögenswerte in Millionenhöhe aus dem Unternehmen geleitet und damit den Gläubigern entzogen, lautet der Vorwurf der Anklage. Die LDG habe von Schlecker unter anderem überhöhte Stundensätze für ihre Dienstleistungen kassiert.

Dem widerspricht der Zeuge, der die Sätze damals selbst kalkuliert hatte: Die Stundensätze von 28,50 Euro seien „absolut gerechtfertigt“ gewesen. Dass die LDG zwischen 2002 und 2009 mittels dieser Sätze eine Rendite vor Steuern (Verhältnis vom Ergebnis zum Umsatz) von mehr als 50 Prozent erzielte, habe der Zeuge nicht gewusst.

Auf die Nachfragen der Staatsanwaltschaft reagiert er impulsiv

Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft zieht diese Aussage in Zweifel: „Wieso wussten Sie nichts von den Gewinnen?“, fragt er. Zeuge: „Die LDG war eine Fremdfirma, ich habe mir die Bilanz nicht zeigen lassen.“ Staatsanwalt: „Wo wurde die Bilanz für die LDG erstellt?“ Der Zeuge ringt um Fassung: „Das ist nicht meine Sache!“ In früheren Vernehmungen wurde jedoch bereits geklärt, dass die Buchhaltung für die Logistikgesellschaft bei Schlecker angesiedelt war. Als der Staatsanwalt erneut nachhakt, platzt dem Zeugen der Kragen: „Ich lasse mir das von Ihnen nicht gefallen“, ruft er. Er wolle nicht als unglaubwürdig hingestellt werden. Die Verantwortung wies er vehement von sich – und belastete seinen früheren Chef: „Anton Schlecker und ich haben uns die Aufgaben geteilt“, sagte der Zeuge mit Blick auf die Geschäfte der LDG. „Aber das letzte Wort hatte der Herr Schlecker.“

Der Zeuge wurde im Jahr 2012 nach der Insolvenz noch einmal für Schlecker tätig. Damals habe ihn Meike Schlecker um Unterstützung bei den Verhandlungen für die LDG gebeten. Er hätte einer Rückkehr auch eingewilligt, wenn Anton Schlecker angefragt hätte, nachdem ihm bewusst geworden war, dass die Firma nicht mehr zu retten sei. „Aber, jetzt kommt’s: der Herr Schlecker war nie der Meinung, dass es zu Ende ist.“ Er sei sogar nach der Insolvenz noch überzeugt gewesen, es werde irgendwie weitergehen.